Cécile Bühlmann.                                                                    Foto: Joseph Schmidiger

Warum ich nicht im Widerstand
gegen die Corona-Massnahmen bin

Haben die Grünen gegenüber der Corona-Pandemie das eigenständige Denken aufgegeben? Folgen sie blind dem Bundesrat? Die ehemalige Grünen-Nationalrätin Cécile Bühlmann erteilt in ihrer Kolumne den skurrilen Positionen der «Querdenker» eine klare Absage.   Von Cécile Bühlmann

Diese Woche bekam ich wieder einmal dicke Post. Eine mir unbekannte Frau schreibt mich in meiner Funktion als Mitglied der Grünen an. Sie rege sich seit Monaten darüber auf, dass sich meine Partei nicht kritischer zur Coronakrise, zu den dazu beschlossenen Massnahmen und vor allem zur Impfung äussern würde. Diesen Ärger müsse sie loswerden, denn es sei für sie eine grosse Enttäuschung in dieser Krise, dass die ehemals kritischen Grünen quasi Gewehr bei Fuss hinter dem Bundesrat stünden. Selber denken sei doch ursprünglich eine herausstechende Eigenschaft der Grünen gewesen, das scheine in dieser Corona-Krise völlig abhandengekommen zu sein. Sie schreibt, dass die Pharma, die Medien und die Regierung die Pandemie gemacht hätten und dass die Impfung alarmierend viele Todesfälle zur Folge habe, was vertuscht würde. In diesem Stil geht es weiter und der Brief gipfelt im Fazit, dass sie sich deshalb von den Grünen ab- und dem einzigen Politiker zuwende, der sich kritisch zu äussern wage: Roger Köppel!   

Aus ihren Zeilen spricht vieles, was an den sogenannten Querdenkerdemos auch gesagt wird und was auch im umstrittenen «Club» des Schweizer Fernsehens am 3. August von den Coronamassnahmen-Skeptikern ins Feld geführt wird. Immer wieder tauchen ähnliche Aussagen auf: Die einen leugnen die Existenz der Pandemie, die andern halten sie für eine harmlose Grippe und die Dritten halten die staatlich verordneten Massnahmen dagegen für unnütz, falsch oder gar lebensbedrohlich. Allen gemeinsam ist der verschwörungserzählerische Hintergrund: Irgendwelche nicht legitimierten Mächte benutzen die Pandemie, um unsere Freiheit einzuschränken. Es geht in ihren Augen nicht darum, uns vor der Pandemie zu schützen, sondern diese als Vorwand zu missbrauchen, um uns unsere Rechte zu nehmen und eine autoritäre Diktatur zu errichten. Dagegen sei Widerstand nicht nur legitim, sondern geradezu Pflicht.  

Ich bin so froh, dass die Grünen solch skurrilen Positionen eine klare Absage erteilen. So haben sie im Kanton Zürich schon vor über einem Jahr ihren eigenen «Querdenker» Urs Hans aus der Kantonsratsfraktion und der Partei ausgeschlossen, was ich absolut notwendig und richtig finde. Wie bereits im Kampf gegen die Klimaerwärmung basiert die Politik der Grünen auch bei der Corona-Pandemie auf Erkenntnissen der Wissenschaft. Diese vertritt seit Beginn der Pandemie mit klarer Mehrheit die Ansicht, dass die Verbreitung des Coronavirus eingedämmt werden muss, um eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden und die Bevölkerung und besonders verletzliche Personen zu schützen. Auf Grund der wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden Corona-Massnahmen wie das Tragen von Masken, die Einhaltung von Abstandsregeln und das Contact Tracing zur Eindämmung der Pandemie eingeführt. In kurzer Zeit wurde ein hochwirksamer Impfstoff entwickelt, der sich als sehr effiziente Massnahme gegen weitere Corona-Ansteckungen erweist. Ich habe mich selbstverständlich so rasch als möglich impfen lassen und empfand diesen Schritt als grosse Befreiung. Die Impfung schützt aber nicht nur mich selber, sondern ist auch ein Akt der Solidarität gegenüber andern.

Zurück zu den Grünen: sie haben sich auch dafür eingesetzt, dass Corona-Tests kostenlos sind und dass auch negativ getestete oder genesene Personen ein gültiges Covid-Zertifikat erhalten. Selbstverständlich haben sie sich auch dezidiert für die Verlängerung der Kurzarbeitsentschädigung und für eine ganze Palette weiterer Massnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie stark gemacht. Ich sehe keinen vernünftigen Grund, warum ich oder die Partei in den Widerstand gegen die vom Staat angeordneten Corona-Massnahmen gehen soll. Im Gegenteil, ich bin froh, einer Partei anzugehören, die zusammen mit anderen gesellschaftlichen Gruppen eine solch pragmatische Haltung vertritt. Denn Wissenschaft und Solidarität gegenüber den Schwächsten in unserer Gesellschaft sollten uns in unseren Entscheidungen leiten und nicht irgendwelche düsteren Phantasien und Ängste.

Ich finde übrigens den Begriff Diskriminierung falsch, wenn es darum geht, dass Leute ohne Covid-Zertifikat gewisse Einschränkungen auf sich nehmen müssen. Eine Diskriminierung liegt vor, wenn jemandem auf Grund unveränderbarer Merkmale wie zum Beispiel Geschlecht oder Hautfarbe Nachteile erwachsen oder der Zugang zu Dienstleistungen verweigert wird. Das ist beim Impfen oder Testen nicht der Fall, da hat es jeder Mensch selber in der Hand, zur Gruppe der Geimpften oder Getesteten zu gehören oder nicht.

8. August 2021 – cecile.buehlmann@luzern60plus.ch

Zur Person
Cécile Bühlmann, geboren und aufgewachsen in Sempach, war zuerst als Lehrerin, dann als Beauftragte und als Dozentin für Interkulturelle Pädagogik beim Luzerner Bildungsdepartement und an der Pädagogischen Hochschule Luzern tätig. Von 1991 bis 2005 war sie Nationalrätin der Grünen, 12 Jahre davon Präsidentin der Grünen Fraktion. Von 2005 bis 2013 leitete sie den cfd, eine feministische Friedensorganisation, die sich für Frauenrechte und für das Empowerment von Frauen stark macht. Von 2006 bis 2018 war sie Stiftungsratspräsidentin von Greenpeace Schweiz und seit 2008 ist sie Vizepräsidentin der Gesellschaft Minderheiten Schweiz GMS. Seit anfangs 2014 ist sie pensioniert und lebt in Luzern.