Cécile Bühlmann. Bild: Joseph Schmidiger

Die Koordinaten verschieben sich

Von Cécile Bühlmann

Die Ermordung des amerikanischen Politaktivisten Charlie Kirk hat in den USA riesige Wellen geworfen und zu einer enormen Verschärfung des politischen Klimas und des Meinungsterrors gegen Andersdenkende geführt. Amerika ist auf dem besten Weg, die Demokratie zu zerstören und eine autoritäre Diktatur zu werden.

Diese Wellen sind längst auch über den Atlantik geschwappt und in Europa angekommen. Das zeigt beispielhaft die mediale Debatte in der Schweiz. Mir ist aufgefallen, dass im Schweizer Radio die Amerika-Expertin Claudia Brühwiler, Professorin für Amerika-Studien, Charlie Kirk konsequent als konservativ bezeichnete. Lobende Worte fand sie für seine respektvollen, eloquenten Debatten und Dialoge, seine Standpunkte fand sie auch nicht sehr extrem oder gar extremistisch. Auf die Rolle von Trump angesprochen, sagte sie, da sei er «scho echli blind».

Da wurde ich zum ersten Mal stutzig. Denn als ich erfuhr, wofür Charlie Kirk sich stark gemacht hatte, dachte ich weniger an einen Konservativen als viel mehr an einen Rechtsradikalen. Ich begann der Sache genauer nachzugehen. Dabei stiess ich auf die folgenden Befunde: 

  • Kirk bezeichnete den menschengemachten Klimawandel als Quatsch und sah darin nur ein Instrument für Macht und Kontrolle über die Bevölkerung. Den Klimawandel zu leugnen, ist ein typisches Element rechtsextremer Politik, wie sie beispielsweise von der AfD betrieben wird. 
  • In der Migrationsdebatte sprach er vom «grossen Austausch», ein Narrativ, das in Europa die extreme Rechte anwendet, um die Angst vor dem Islam zu schüren. 
  • Corona-Massnahmen lehnte er als sozialistisch ab. Corona zu leugnen gehört zum Repertoire weit aussen am rechten politischen Rand verorteter Gruppen und Parteien.
  • Frauen sollten keine politischen Rechte haben und Männern untertan sein. Bei Abtreibungen vertrat Kirk einen absolut radikalen Kurs und lehnte sie ausnahmslos ab. Er sagte sogar, Abtreibungen seien schlimmer als der Holocaust. Auch diese frauenverachtende Haltung wird in rechtsextremen Milieus vertreten.
  • Die Bürgerrechte für Schwarze, die 1965 die Rassendiskriminierung rechtlich beendeten, bezeichnete er als Fehler. Rassistische Haltungen sind ein Kernelement rechtsextremer Politik. 

Ich habe im Internet einige der wortgewaltigen Debatten von Kirk verfolgt, die er an amerikanischen Universitäten geführt hatte. Und da ist mir aufgefallen, dass es ihm nicht so sehr ums Zuhören ging, sondern darum, andere herunterzumachen und als Sieger einer Auseinandersetzung hervorzugehen. Denn er wollte ja beweisen, dass es gegen seine Ideen keine haltbaren Argumente gibt. Zugespitzte, scharfe Ausschnitte stellte er anschliessend ins Netz. Kirk war ein einflussreicher Influencer mit Millionen von Followerinnen und Followern.

Die Summe der Positionen, die Kirk vertrat, lässt für mich keinen anderen Schluss zu, als dass er nicht einfach ein normaler Konservativer war, sondern ein radikal frauen-, migrations- und queerfeindlicher weisser Nationalist und Rechtsextremist.
In den Schweizer Medien wurde Charlie Kirk nicht nur von Claudia Brühwiler, sondern auch im «Tagesanzeiger», im «Sonntagsblick» und in der NZZ als konservativ bezeichnet. Letztere schrieb, dass er ein Provokateur und Ideologe mit radikal konservativen Ansichten und ein rabiater Debattierer gewesen sei, der sich gern fetzen wollte. Tönt doch noch sympathisch, nicht? Einzig in der WOZ und in der «Republik» fand ich Artikel, die dieses Bild korrigierten und Kirk als rechtsextrem verorteten.

Da hat offensichtlich ein Wechsel im Koordinatensystem einiger Schweizer Medien stattgefunden: Vor ein paar Jahren wäre jemand mit solchen Haltungen mit Sicherheit als rechtsextrem oder als rechtsradikal bezeichnet worden. Heute bekommt er das verharmlosende Attribut «konservativ». Echte Wertkonservative müssten sich eigentlich gegen solche Vereinnahmungen wehren, stehen sie doch ein für den demokratischen Verfassungsstaat, den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, also gegen den Klimawandel, und für eine offene Gesellschaft mit Minderheitenrechten. Freuen können sich hingegen Rechtsextreme, weil sie so immer salonfähiger und wie «normale» Politiker*innen behandelt werden.

Am Beispiel von Charlie Kirk lässt sich exemplarisch zeigen, wie sich der politische Diskurs nach rechts verschoben hat. Ich sehe darin eine Konzession an den neuen Zeitgeist. Dabei wäre eine kritische Haltung der Medien und «den Mächtigen auf die Finger schauen» gerade heute wichtiger denn je. Denn die Geschichte lehrt uns, dass Entwicklungen in den USA mit Verzögerung auch bei uns eine Fortsetzung finden.

Das sollte uns beunruhigen und aufrütteln.

27. September 2025 – cecile.buehlmann@luzern60plus.ch


Zur Person
Cécile Bühlmann ist in Sempach geboren und aufgewachsen. Sie war zuerst als Lehrerin, dann als Beauftragte und Dozentin für Interkulturelle Pädagogik beim Luzerner Bildungsdepartement und an der Pädagogischen Hochschule Luzern tätig. Von 1991 bis 2005 war sie Nationalrätin der Grünen, zwölf Jahre davon Fraktionspräsidentin. Von 1995 bis 2007 war sie Vizepräsidentin der damals neu gegründeten Eidg. Kommission gegen Rassismus EKR. Von 2005 bis 2013 leitete sie den cfd, eine feministische Friedensorganisation, die sich für Frauenrechte und für das Empowerment von Frauen stark macht. Von 2006 bis 2018 war sie Stiftungsratspräsidentin von Greenpeace Schweiz. Sie war bis 2024 Vizepräsidentin der Gesellschaft Minderheiten Schweiz GMS. Seit 2013 ist sie pensioniert.