Cécile Bühlmann, ehemalige Nationalrätin der Grünen. Bild: Joseph Schmidiger

Erde, quo vadis?

Von Cécile Bühlmann

Neulich habe ich an einer Info-Veranstaltung das Konzept der planetaren Grenzen genauer kennengelernt. Ich war davon ziemlich beeindruckt. Es ist ein wissenschaftliches Modell, das errechnet, wie wir mit unseren Ressourcen umgehen und was es braucht, damit die Menschheit überleben kann. Könnte das mathematisch recht präzise Modell vielleicht sogar Klimazweifler überzeugen?

Aber alles der Reihe nach. Worum geht es da genau? Es geht darum, auszuloten, wo die Belastbarkeitsgrenzen unseres Planeten liegen. Das Zürcher Forschungsinstitut Econcept hat die Umweltbelastungen von Schweizer Unternehmen, Verwaltungen und Haushalten in sechs verschiedenen ökologischen Dimensionen untersucht. Die Belastungen umfassen alle durch Konsum verursachten Schäden entlang der weltweiten Lieferketten. In einem zweiten Schritt hat Econcept aufgrund der Belastungen bewertet, in welchen Dimensionen und wie stark die Schweiz die planetaren Grenzen überschritten hat. Das ist insofern von Bedeutung, als dass eine Überschreitung dieser Grenzen in einer oder mehreren Dimensionen die Stabilität der Ökosysteme und damit das Überleben der menschlichen Zivilisation gefährdet. Denn wenn die Belastbarkeitsgrenzen erreicht sind, werden sogenannte Kipppunkte (Point of no return) immer wahrscheinlicher. Mit dramatischen Folgen: Die Ökosysteme kippen in einen Zustand, der nicht umkehrbar ist. Es gibt keine fix definierten Kipppunkte. Aber je mehr Umweltbelastungen, umso stärker überschreiten sie die planetaren Grenzen und damit wächst die Gefahr, dass der Planet kollabiert.  

Was Econcept herausgefunden hat, ist alarmierend. Bei den klimaschädigenden CO2-Emissionen überschreitet die Schweiz die planetaren Grenzen um den Faktor 19. Der Biodiversitätsverlust übersteigt den Grenzwert um den Faktor 3,8. In den vergangenen Jahren sind in der Schweiz 35 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten vollständig verschwunden oder sind zumindest arg dezimiert. Sehr kritisch ist auch der Wasserverbrauch. Er liegt um den Faktor 2,7 über den planetaren Grenzen. Die Schweiz verfügt zwar über reichlich Süsswasser-Reserven. 82 Prozent des verbrauchten Wassers wird jedoch über Konsumgüter importiert. Die Schweiz gräbt dem Ausland buchstäblich das Wasser ab. Stickstoff und Phosphor sind überlebenswichtig. Zu viel davon bringen aber Boden- und Wasserökosysteme zum Kollabieren. In der industriellen Landwirtschaft werden Stickstoff- und Phosphordünger grossflächig angewendet. Beim Stickstoff ist die planetare Grenze mit dem Faktor 2,4 mehr als doppelt überschritten. Beim Phosphor liegen wir knapp vor der planetaren Grenze, Tendenz steigend.

Der Vergleich mit früheren Studien zu den planetaren Grenzen zeigt, dass in der Schweiz die Umweltbelastungen weiter zunehmen, trotz Umweltschutzgesetz und Klimaabkommen. Die Situation ist dramatisch. Die Fakten sind eindeutig: Die Art und Weise, wie wir leben und wirtschaften, raubt uns die Zukunft – und das immer schneller. Das stellt das langfristige Überleben der menschlichen Zivilisation in Frage. Wollen wir und künftige Generationen auf diesem Planeten weiterleben, ist es unausweichlich, in die planetaren Grenzen zurückzukehren.

Die Studie von Econcept skizziert einen bunten Strauss von Lösungsansätzen, von Suffizienzpolitik, Bürger:innenversammlungen, Kreislaufwirtschaft bis hin zur Donut-Ökonomie. Suffizienspolitik bedeutet: Wir haben genug und nicht zu wenig. Donut-Ökonomie ist eine abstrakte Modellvorstellung für eine zukunftsfähige Wirtschaft: «Gegen innen ist die Grenze des gesellschaftlichen Fundaments mit Werten wie Bildung, Gesundheit und sozialer Gerechtigkeit gesetzt. Diese Grenze soll nicht unterschritten werden. Gegen aussen bilden die planetaren Grenzen eine Barriere, die nicht überschritten werden darf. Der Bereich dazwischen zeigt den wirtschaftlichen Handlungsspielraum: In diesem Raum gelten soziale Mindeststandards. Der Handlungsspielraum ist sicher und gerecht ausgestaltet, ohne dass die planetaren Grenzen überschritten werden.»

Das Wahlresultat der nationalen Wahlen 2023 stärkt leider diese Erkenntnisse nicht: Die klimaskeptische Schweiz hat gewonnen und die ökologische Schweiz hat verloren. Dennoch müssen alle, die an eine Zukunft der Menschheit auf unserem Planeten glauben, unermüdlich und unerschütterlich in diese Richtung weitermachen. Denn es gibt keine Zukunft ausserhalb der planetaren Grenzen.

25. Dezember 2023 – cecile.buehlmann@luzern60plus.ch


Zur Person

Cécile Bühlmann ist geboren und aufgewachsen in Sempach. Sie war zuerst als Lehrerin, dann als Beauftragte und Dozentin für Interkulturelle Pädagogik beim Luzerner Bildungsdepartement und an der Pädagogischen Hochschule Luzern tätig. Von 1991 bis 2005 war sie Nationalrätin der Grünen, zwölf Jahre davon Präsidentin der Grünen Fraktion. Von 1995 bis 2007 war sie Vizepräsidentin der damals neu gegründeten Eidg. Kommission gegen Rassismus EKR. Von 2005 bis 2013 leitete sie den cfd, eine feministische Friedensorganisation, die sich für Frauenrechte und für das Empowerment von Frauen stark macht. Von 2006 bis 2018 war sie Stiftungsratspräsidentin von Greenpeace Schweiz. Sie ist seit langem Vizepräsidentin der Gesellschaft Minderheiten Schweiz GMS. Seit 2013 ist sie pensioniert.