
Simone Ries, Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Luzern, referiert im Wesmelintreff über Künstliche Intelligenz.
«KI kann Denken nicht ersetzen»
Der Saal im Wesemlintreff füllt sich an diesem Freitagmorgen mit bekannten Gesichtern aus Quartier und Stadt. Anlass: Das Forum Luzern60plus hat zu einem Referat über Künstliche Intelligenz (KI) geladen.
Von Hedy Bühlmann (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)
Die KI-Expertin Simone Ries gab einen Überblick in die generative Künstliche Intelligenz und ihre immense Auswirkung auf Gesellschaft und Wirtschaft. Jessica Thompson bot anschliessend Gelegenheit, konkrete KI-Anwendungen zu testen. Beide Frauen arbeiten als Dozentinnen an der Pädagogischen Hochschule Luzern.
Bereits mit ihrer ersten Frage zog Simone Ries das Publikum in ihren Bann: «Welche Form, Farbe und Worte assoziieren Sie mit Künstlicher Intelligenz?», fragte sie zu Beginn des Referats. Künstliche Intelligenz wurde einerseits mit Begriffen wie dunkel, düster, unbekannt, nicht fassbar, gefährlich, Fake News, Kontrolle, Manipulation, Jobverlust assoziiert, andrerseits wurden Begriffe wie Unterstützung, Schnelligkeit, Tools, maschinelles Lernen, Algorithmen, Kreativität, neue Jobs, Innovation, Zukunft genannt.
Die Expertin bringt es auf den Punkt: «KI kann vieles: sie analysiert, schreibt und komponiert. Doch KI kennt kein Staunen, keine Erinnerung, keine Zeit.» Das Zusammentreffen von Lebenserfahrung und Künstlicher Intelligenz sieht sie nicht als Gegensatz, sondern verweist auf den spannenden Unterschied zwischen Wissen, das aus Daten generiert wird, und dem Erfahrungswissen, mit dem wir Menschen Wissen zu Weisheit transformieren können.
Längst im Alltag angekommen
Auf ihre Frage, ob KI im Leben der Generation 60plus eine Rolle spielt, antwortet sie gleich selbst mit einem Zitat von Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger: «Digitalisierung ist nicht bloss eine neue Technologie, sie ist eine neue Epoche, sie prägt alle, vom Embryo bis zum Tod.»
Fakt ist: KI ist längst in unserem Alltag angekommen. Wer online einkauft, kommt ohne sie nicht aus. Wer Zugang zu Leistungen der Krankenkasse haben will oder ganz einfach Fragen hat, trifft bei einem Anruf schon länger nicht mehr auf eine menschliche Stimme, sondern auf eine künstliche Stimme, die einem Schritt für Schritt anleitet, die richtige Antwort zu finden.
Generative KI-Systeme sind darauf trainiert, Texte, Bilder, Audio, Videos oder Programmcode zu generieren, basierend auf unvorstellbar grossen Datenmengen. Wer die italienische Amtssprache nicht versteht, kann sich das Dokument in Sekundenschnelle von DeepL auf Deutsch übersetzen lassen. Wer eine grafische Vorlage für die nächste Geburtstagsparty braucht, kann sich einen Design-Vorschlag über Canva generieren lassen.
Zugegeben, im schnellen Arbeitsalltag stellt sich nicht mehr die Frage, ob wir KI nutzen wollen. Sie steht technisch zur Verfügung und kann von monotonen Arbeitsgängen entlasten. Denn gerade in den Berufsfeldern Marketing, Journalismus, Moderation kann sie durchaus beim Texten dienlich sein und beim Ordnen von Komplexität auf verdichtete Botschaften. Damit einher geht aber auch die Angst vor dem Verlust von Jobs.
KI ist neutral
KI ist eine Technik, ein Werkzeug. So kann eine Drohne Leben retten oder im Krieg gezielt Infrastruktur vernichten und Menschen töten. Simone Ries fasst zusammen: «Entscheidend ist, wer sie steuert und mit welcher Absicht. KI ist neutral, der Mensch gibt ihr die Richtung.» Für sie ist klar: Fortschritt wirft immer auch Fragen auf: Wem nützt er? Wem schadet er? Was macht der Fortschritt, also die KI, mit uns? Diesen Überlegungen gehen Simone Ries und Jessica Thompson in ihrer Forschung im Kontext der Berufsausbildung nach. Die zentrale Frage lautet: Wie verändert KI die Schule?
Simone Ries geht es nicht darum, Fortschritt blind abzufeiern. Sie wendet sich ans Publikum: «Sie haben mehrere technologische Revolutionen ‹in echt› erlebt – vom Fernseher bis zum Smartphone – und wissen aus Erfahrung, dass jede Neuerung Nutzen und Nebenwirkungen bringt.» Hier verweist sie auf den Generationenunterschied im Umgang mit Innovation: «Ältere Menschen sehen Fortschritt als Verantwortung, jüngere Generationen nehmen Innovation als selbstverständlich oder aufregend wahr.» Und ganz nebenbei erwähnt sie, dass der Stromverbrauch für eine Recherche mit KI fünfmal mehr Strom brauche als mit Google.
Wenn Altern zum Markt wird
Ältere Menschen sind für die KI ein Milliardengeschäft. Ungefragt werden wir mit unzähligen Stories zu Gesundheit überschwemmt, die Technik hilft scheinbar, die Einsamkeit zu reduzieren. Die Technik erleichtert es, personalisiert und lebenslang zu lernen und aktiv zu bleiben. KI ermöglicht auch, den eigenen Traum als Illusion zu leben. Fotos aus früheren Zeiten können mit Bewegung «belebt» und damit manipuliert werden. Dabei wird es immer schwieriger, zwischen Fantasie und Wirklichkeit zu unterscheiden.
Das heisst nicht, dass das Hirn bei der Anwendung von KI ausgeschaltet wird, nein, KI ist hilfreich, wenn wir wissen, was wir von ihr wollen, wenn wir mit ihr bewusst umgehen. Für Simone Ries sind kritische Fragen berechtigt. Sie unterscheidet zwischen guter und schlechter KI:
- Sie hilft lernen – macht gleichzeitig denkfaul
- Sie vergibt Kredite – sammelt sensible Daten
- Sie beschützt – sie bedroht
- Sie schafft neue Jobs – alte Jobs verschwinden
Simone Ries Botschaft lautet: eine offene und kritische Haltung gegenüber der KI einnehmen. Sie bewusst in den Alltag integrieren, dort, wo sie uns nützlich scheint. Ganz im Sinne von «KI kann Menschen und ihr Denken nicht ersetzen, sondern entlasten.»
11. Dezember 2025 – hedy.buehlmann@luzern60plus.ch