
Cécile Bühlmann. Bild: Joseph Schmidiger
Lange leben, aber mit Stimmrecht!
Von Cécile Bühlmann
«Ärzte hassen mich. Ich bin 62, durchtrainiert und lehre menopausale Frauen, mit asiatischem Pilates einen 25-jährigen Körper mit 55 zu haben.» Diese Werbung ist typisch für unsere Zeit: Wir alternden Boomerinnen sollen Dank Fitness ewig jung bleiben. Andere schreiben, 70 sei das neue 50 und meinen, dass Menschen heute oft in einem besseren gesundheitlichen Zustand sind, als es früher bei Gleichaltrigen der Fall gewesen sei.
Und dann folgen all die Tipps, wie man länger lebt: Mittelmeerkost, Rauchverzicht, wenig Alkohol, viel Bewegung und gesunden Schlaf, viele soziale Kontakte. Damit lasse sich unser Leben um bis zu 14 Jahre verlängern. Laut wissenschaftlichen Untersuchungen hängt unser Gesundheitszustand nur zu 10 bis 30 Prozent von unseren Genen ab und der Rest von unserer individuellen Verhaltensweise und dem Umfeld. Das alles suggeriert, dass wir es weitgehend in der Hand haben, ob und wie wir alt werden.
Die Statistiken bestätigen den Trend, die Lebenserwartung steigt immer noch an. Es gibt inzwischen einen richtigen Hype, der das Ziel der Langlebigkeit auf die Spitze treibt und sogar an die Unsterblichkeit glaubt: die Longevity-Bewegung. Dass wir immer älter werden, wird aus dieser Perspektive positiv konnotiert und als erstrebenswert dargestellt.
Die Kehrseite der Medaille ist, dass uns vorgeworfen wird, wir seien zu viele und wir hätten zu viel Macht. Von «Gerontokratie», der «Herrschaft der Alten», von der «Machtübernahme der Rentner» wird geredet. Um diese zu brechen, wird sogar die Forderung laut, uns das Stimmrecht wegzunehmen. So eine Ungeheuerlichkeit! Als ich das hörte, kam ich mir komplett entmündigt und entwertet vor.
Der implizite Vorwurf lautet, weil ich alt sei, würde ich an der Urne immer nur für mich selber schauen. Dabei versuche ich seit jeher mit meiner Stimme dazu beizutragen, dass es in der Gesellschaft möglichst gerecht zu- und hergeht und die kommenden Generationen auch noch eine lebenswerte Zukunft haben. Zudem sind von den 5,4 Millionen Stimmberechtigten in der Schweiz bloss 29 Prozent älter als 65, die 18- bis 64-Jährigen hingegen machen 71 aus. Sie haben es also in der Hand.
Wer so etwas fordert, ist geschichtsblind und hat nicht mehr erlebt, wie viel es brauchte, bis wir Frauen das Stimmrecht endlich erhielten und aus der Unmündigkeit herauskamen und vollwertige Staatsbürgerinnen wurden. Bis 1971 blieb uns das Stimmrecht auf Grund des Geschlechts verwehrt, jetzt will man es auf Grund des Alters zur Disposition stellen. In der Geschichte der Demokratie gilt das Prinzip «One man, one vote» als wichtigste Errungenschaft überhaupt.
Dass dieses Prinzip jetzt auf Grund des Alters wieder in Frage gestellt wird, betrachte ich als schlimme Form des «Ageismus», der Altersdiskriminierung. Dazu passt der Begriff der «Überalterung». Hier zwei Beispiele aus jüngster Zeit: «Die Überalterung des Elektorats ist unbestritten», «Die Überalterung der Schweiz schreitet zügig voran.» Es ist ein Unwort, das für das Phänomen der alternden Gesellschaft nicht mehr gebraucht werden sollte, drücken doch Wörter, die mit «Über» beginnen, meistens etwas mit negativer Konnotation aus: Überfremdung, Überbevölkerung, Überdosis, Überdruss.
Mein Fazit aus dieser Debatte: Die alternde Gesellschaft ist zu einem Streitfall geworden. Die einen finden es gut, dass wir immer älter werden, während andere darin vor allem ein Problem sehen. Wer aber meint, diesem Problem durch Entzug des Stimmrechts beizukommen, ritzt an den Grundlagen der Demokratie und polarisiert die Diskussion.
Dem Druck, möglichst lang gesund und fit bleiben zu müssen, kann auch ich mich nicht entziehen. Und die Freude am Debattieren und Mitdenken verschwindet nicht einfach mit dem Älterwerden. Ich wünsche mir eine wertschätzende und entspannte Debatte darüber. Und nicht vergessen: Wir werden alle einmal alt!
28. Dezember 2025 – cecile.buehlmann@luzern60plus.ch
Zur Person
Cécile Bühlmann ist in Sempach geboren und aufgewachsen. Sie war zuerst als Lehrerin, dann als Beauftragte und Dozentin für Interkulturelle Pädagogik beim Luzerner Bildungsdepartement und an der Pädagogischen Hochschule Luzern tätig. Von 1991 bis 2005 war sie Nationalrätin der Grünen, zwölf Jahre davon Fraktionspräsidentin. Von 1995 bis 2007 war sie Vizepräsidentin der damals neu gegründeten Eidg. Kommission gegen Rassismus EKR. Von 2005 bis 2013 leitete sie den cfd, eine feministische Friedensorganisation, die sich für Frauenrechte und für das Empowerment von Frauen stark macht. Von 2006 bis 2018 war sie Stiftungsratspräsidentin von Greenpeace Schweiz. Sie war bis 2024 Vizepräsidentin der Gesellschaft Minderheiten Schweiz GMS. Seit 2013 ist sie pensioniert.