Cécile Bühlmann. Foto: Joseph Schmidiger

Was der Verantwortungsethiker Schaltegger zu den Tabaktoten meint 

Von Cécile Bühlmann

Das höchste Gut von Wissenschaft und Forschung ist die Unabhängigkeit. Ist diese in Frage gestellt, hat sie ein Glaubwürdigkeitsproblem und die Reputation ist gefährdet. Das hat den Luzerner SP-Kantonsrat Urban Sager veranlasst, eine Anfrage einzureichen, nachdem der Wirtschaftsprofessor Christoph Schaltegger an der Universität Luzern ein Institut für Schweizerische Wirtschaftspolitik IWP gegründet hat. Dieses wird nämlich vollumfänglich von Privaten finanziert, insbesondere vom Liftbaupatron Alfred N. Schindler. «Kauft sich ein Milliardär ein Institut?», fragte die Basler Zeitung, als diese Pläne im letzten Jahr bekannt wurden.

Urban Sager wollte von der Luzerner Regierung wissen, wie sie ein allfälliges Reputationsrisiko einschätze, das von Christoph Schalteggers Institut für die Universität ausgehen könnte. Dieser amtet nämlich weiterhin als Professor für Wirtschaft an der Universität Luzern und sein Lehrstuhl wird von dieser dafür vollumfänglich finanziert. Das neue Institut für Schweizerische Wirtschaftspolitik IWP betreibt er sozusagen nebenher, es nennt sich An-Institut der Uni Luzern.

Erstaunlich, dass die Universität kein Problem zu haben scheint, dass da quasi unter ihrem Vordach eine privat finanzierte liberale Denkfabrik ohne jede öffentliche Kontrolle entsteht. Auch die Luzerner Regierung beunruhigt das in keinster Weise. Auf Sagers Anfrage antwortet sie, dass die Aufgabe des Instituts in der freien Forschung und Lehre und in der Anwendung geeigneter ökonomischer Methoden bestehe. Es hätte als Forschungseinrichtung nicht den Auftrag, unterschiedliche Sichtweisen und politische Meinungen abzubilden.

Das heisst implizit, dass Ökonomie und ökonomische Theorien wertfrei seien und es keine Rolle spiele, wer ein solches Institut finanziere. Die Geldgeber tun es wohl kaum aus altruistischen Motiven und arbeiten wohl kaum zufällig mit Christoph Schaltegger zusammen, sondern weil dieser bisher durch einseitig neoliberale, wirtschaftsfreundliche Positionen aufgefallen ist. 

Was für Blüten eine solche Haltung treibt, hat Christoph Schaltegger in der Debatte um das Tabak-Werbeverbot geliefert: Da rechnete er in einer von der Tabaklobby in Auftrag gegebenen Studie vor, dass uns die Tabakkonsumierenden nicht nur nichts kosten würden, wie die Befürworter des Verbots sagen, sondern im Gegenteil uns sogar noch Gewinn brächten. Die Gesellschaft würde dank den Raucherinnen und Rauchern pro Jahr 1,6 Milliarden gewinnen, denn sie würden nicht nur mit der Tabaksteuer die AHV alimentieren, sondern diese auch nicht belasten, da sie jung sterben.

Traurige Tatsache ist, dass Raucher:innen durchschnittlich sechs bis sieben Jahre früher sterben. Auf den unethischen Gehalt dieser ungeheuerlichen Aussage angesprochen, meinte Schaltegger, er sei halt kein Gesinnungsethiker, sondern ein Verantwortungsethiker und als solcher sei er nur den wissenschaftlichen Ergebnissen verpflichtet. Tönt halt viel besser, sich als Verantwortungsethiker zu bezeichnen statt als Zyniker, der die wirtschaftlichen Interessen der Tabaklobby über die Gesundheit der Menschen stellt.

Fakt ist, dass in der Schweiz jährlich 9500 Personen an den Folgen ihres Tabakkonsums sterben. Das Bundesamt für Gesundheit BAG sagt, das habe Gesundheitskosten von drei Milliarden zur Folge, das sind 4 Prozent der gesamten Gesundheitskosten. Professor Simon Wieser von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften hat erforscht, dass nebst Lungenkrebs auch andere tabakbedingte Krankheiten wie Atemwegserkrankungen und Herzinfarkte zu diesen hohen Kosten beitragen. Zudem entstünden durch krankheitsbedingte Ausfälle der Wirtschaft Kosten in Milliardenhöhe. Er spricht von durch Rauchen bedingten Gesamtkosten von jährlich fünf Milliarden. Diese Zahl bildet nur die volkswirtschaftlichen Kosten ab. Nicht in Franken bezifferbar sind Leid und Trauer, die das Krankwerden und Sterben durch Nikotinsucht verursacht.

Interessanterweise ist die Studie von Schaltegger bisher nicht veröffentlicht worden. Der Radioredaktor, der darüber berichtete, mutmasst, dass es der Tabaklobby dabei doch nicht ganz geheuer sein könnte. Einzugestehen, dass der Tabakkonsum ein tödliches Risiko darstellt, ist das eine. Aber daraus einen gesamtgesellschaftlichen Gewinn zu konstruieren, wie es die Schaltegger-Studie tut, dieser Zynismus scheint sogar der Tabaklobby zu weit zu gehen. Es braucht schon ein eigenartiges Verständnis von Ethik, mit dem Argument des volkswirtschaftlichen Gewinns durch das frühere Sterben von Raucherinnen und Rauchern gegen ein Tabak-Werbeverbot zu weibeln. Wie schwierig offenbar ernsthafte Argumente dagegen zu finden sind, zeigt auch der unsäglich dumme Cervelatvergleich. Aber eine ganze Reihe Politikrinnen und Politiker scheint damit kein Problem zu haben und gibt ihren Namen dafür her. Da bleibe ich gern eine Gesinnungsethikerin!   

4. Februar 2022 – cecile.buehlmann@luzern60plus.ch
 

Zur Person
Cécile Bühlmann ist geboren und aufgewachsen in Sempach. Sie war zuerst als Lehrerin, dann als Beauftragte und Dozentin für Interkulturelle Pädagogik beim Luzerner Bildungsdepartement und an der Pädagogischen Hochschule Luzern tätig. Von 1991 bis 2005 war sie Nationalrätin der Grünen, 12 Jahre davon Präsidentin der Grünen Fraktion. Von 1995 -2007 war sie Vizepräsidentin der damals neu gegründeten Eidg. Kommission gegen Rassismus EKR. Von 2005 bis 2013 leitete sie den cfd, eine feministische Friedensorganisation, die sich für Frauenrechte und für das Empowerment von Frauen stark macht. Von 2006 bis 2018 war sie Stiftungsratspräsidentin von Greenpeace Schweiz. Sie ist seit langem Vizepräsidentin der Gesellschaft Minderheiten Schweiz GMS. Seit 2013 ist sie pensioniert.