
Brachte mit seiner Rede das Publikum häufig zum Lachen: Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger.
Moritz Leuenberger – einer von uns Alten
Der Marianische Saal war proppenvoll, vor der Türe warteten noch gut 40 Personen vergeblich auf Einlass. Offenbar ist das Attribut Alt-Bundesrat kein Hindernis, um die Leute in Massen anzuziehen – im Gegenteil.
Von Hans Beat Achermann (Text) und Joseph Schmidiger (Bilder)
Gemeint ist Moritz Leuenberger (79). Eingeladen hatte das Forum Luzern60plus der Stadt Luzern zu einem Vorabendanlass unter dem herausfordernden Titel «Wir sind alt – na und?». Anlass war der von der Uno ausgerufene «Tag der älteren Menschen». Neben dem altbundesrätlichen Referat unter dem Titel «Demokratie und die Würde des Menschen» stand ein anschliessendes Podiumsgespräch auf dem Programm, in dem das Thema aus persönlicher und wissenschaftlicher Sicht vertieft wurde.
Eröffnet wurde der Abend durch eine offizielle Begrüssung durch die derzeitige Präsidentin des Grossen Stadtrats, Mirjam Fries. Doch es war mehr als ein Grusswort. Mirjam Fries sprach nicht in Politfloskeln, sondern hatte sich hörbar mit dem Thema auseinandergesetzt. Sie betonte, dass Altsein kein Makel sei, dass die älteren Menschen Teil einer lebendigen und altersfreundlichen Stadt sein dürften und müssten. Für die Politik sei das Alter lange Zeit mit dem Thema Pflegeversorgung gekoppelt und abgehakt gewesen. Heute gehe es darum, präventiv gestalterisch zu wirken, Selbstbestimmtheit, Teilhabe und Integration zu fördern. Ausdrücklich erwähnte sie «Vicino» als geglücktes Projekt für nachbarschaftliche Begegnungen über die Generationen hinweg. Zum Schluss schlug sie vor, das Fragezeichen hinter «na und?» durch ein Ausrufezeichen zu ersetzen.

Betonte in ihrer Eröffnungsrede, dass Alter kein Makel sei: Mirjam Fries, Präsidentin des Grossen Stadtrats.
Heidy Steffen, Projektleiterin der erfolgreichen Kampagne «Das hohe Alter», betonte bei ihrer Begrüssung die Bedeutung der Freiwilligenarbeit und sie widersetzte sich zunehmenden Spaltungsversuchen zwischen Jüngeren und Älteren.
Skeptiker der Digitalisierung
Gastredner Moritz Leuenberger stieg mit sehr persönlichen Bemerkungen in sein Referat ein. Es sei das erste Mal seit seinem Rücktritt als Bundesrat vor 15 Jahren, dass er über das Thema Alter referiere. Als die Einladung erfolgte, habe er sich eingestanden: «Jetzt gibt es kein Verdrängen mehr.» Er mokierte sich, wie er als Neurentner von Altersgenossen als «einer von uns» willkommen geheissen wurde, nachdem er als Jüngster im Bundesratsgremium Jahre zuvor mit den Worten «Welche Jugend, welche Kraft!» begrüsst wurde. Es war nicht das einzige Mal, dass er das Publikum zum lauten Lachen brachte. Mindestens an diesem Anlass war er «einer von uns», jetzt, nachdem er das Altsein zulässt, auch wenn er nur ungern daran denkt.
Doch der Leuenbergersche Schalk wich mehr und mehr der ernsthaften Sorge um die Zukunft der direkten Demokratie, um sich schleichend verbreitende Diskriminierungen, um eingeführte Altersguillotinen, die ohne Rücksicht auf individuelles Befinden eingeführt würden. «Die Alten sind Menschen, die nicht mehr alles leisten können, dafür aber anderes. Das Alter ist ein Teil der Persönlichkeit, aber nicht der einzige», fasste Leuenberger zusammen. Er ging dann auf verbale Verharmlosungen des Alters ein, setzte zu einer Kritik der Digitalisierung an – nicht ohne deren Vorzüge auch zu erwähnen. Die Gefahr sei jedoch, dass wir Sklaven der Algorithmen würden, immer mehr nur noch Multiple-Choice-Antworten auf wichtige Fragen zur Verfügung hätten und dass damit das selbstständige Denken verloren gehe. Es sei eine Verpflichtung der älteren Menschen den Jungen gegenüber, das Analoge weiterhin zu pflegen und weiterzugeben.
Zufrieden trotz Einschränkungen
Nach einer eingespielten siebenminütigen Strassenumfrage, bei der Junge und Alte gefragt wurden, wie alt sie werden möchten, ging es weiter mit einer angeregten Gesprächsrunde. Moderatorin Barbara Stöckli wollte gleich zu Beginn wissen, was beim Altwerden am meisten schmerze. Die Zürcher Schriftstellerin Isolde Schaad sagte, dass der langsame Energieverlust ihr grösstes Problem sei, auch wenn die Leidenschaft für das Schreiben immer noch gross sei. Für den «malenden Lebenskünstler» Pietro Abt ist das Altsein nicht mit einem Verlustgefühl verbunden, da er nichts mehr erfüllen müsse. Moritz Leuenberger stellte einen Verlust an Bekanntheit fest, der ihm aber nicht unangenehm sei. Die Altersforscherin Sabina Misoch argumentierte als Wissenschafterin und stellte in Untersuchungen fest, dass viele Alte trotz Einschränkungen ein sehr zufriedenes Leben führten, was die Wissenschaft als «Altersparadox» bezeichnet.

Nach der altbundesrätlichen Rede ergab sich eine angeregte Gesprächsrunde mit (v.l.) Pietro Abt, Isolde Schaad, Moderatorin Barbara Stöckli, Moritz Leuenberger und Sabina Misoch.
Auf die Frage nach Diskriminierungserfahrungen wurden kaum konkrete Erlebnisse genannt, hingegen Rezepte dagegen angeboten. Sowohl Isolde Schaad wie auch Pietro Abt begegnen Diskriminierungen (zum Beispiel mit dem verbreiteten Duzen) mit Gesprächsangeboten. Sabina Misoch stellte etwas ernüchtert fest, dass «wir forschen und forschen und forschen, und es passiert bei der Umsetzung in der Politik und den Unternehmen wenig bis nichts».
Was denn das Schöne sei am Alter, wollte Barbara Stöckli abschliessend wissen. Mehr Gelassenheit zu haben, war der grösstmögliche Nenner. Der bekennende Social-Media-Abstinenzler Moritz Leuenberger sagte kurz und bündig: «Ich bin kein Lebensberater.» Und erntete einen letzten Lacher.
2. Oktober 2025 – hansbeat.achermann@luzern60plus.ch