Linguistin Helen Christen. Bild: Joseph Schmidiger

SCHMEICHELEIEN

Von Helen Christen

Die verworrene Weltlage mit ihren irrlichternden Potentaten lehrt uns momentan das wahre Grausen. Kriege, Menschenrechtsverletzungen, Lügen, Diffamierungen, «The One Big Beautiful Bill», «Reciprocal Tariffs» … Und im Kielwasser dieser Unsäglichkeiten dümpeln auf der Weltbühne neuerdings Gebaren, die mit diplomatischen Gepflogenheiten kaum mehr etwas zu tun haben. Ich meine dabei jene SCHMEICHELEIEN, die den Rahmen landläufiger Schmeicheleien vom Typ Betörungs-Schmeichelei oder Zweck-Schmeichelei (siehe unten) in fataler Weise sprengen.

Die Betörungs-Schmeichelei.
Die Betörungs-Schmeichelei zielt auf einen anderen Menschen ab, den man für sich gewinnen möchte. Wem an der Liebe, der Freundschaft, der Zuwendung eines Menschen gelegen ist, der artikuliert in einem günstigen Moment, was einem am anderen gefällt, und kleidet dies in gefällige Worte, übertreibt dabei ein klein wenig. Aber nur gerade so viel, dass die Umschmeichelten erkennen, dass sie ernsthaft als liebenswerte Menschen umworben werden und sie sich so die eine oder andere verbale Nettigkeit durchaus gefallen lassen dürfen.

Die Zweck-Schmeichelei.
Bei der Zweck-Schmeichelei sind die umschmeichelten Menschen blosses Mittel zum Zweck. Um an Geld oder an Einfluss oder an beides heranzukommen, werden Menschen als Steigbügelhalter umgarnt. Wer von uns ist nicht schon mal der Versuchung erlegen und hat – nicht ganz zweckfrei – ein aufmerksames Lob hier, eine wertschätzende Bemerkung da platziert? Ein Erfolgsmodell halt.

Die Mar-a-Lago-SCHMEICHELEI.
Die Potenzierung der Zweck-Schmeichelei ist die Mar-a-Lago-SCHMEICHELEI (mit Grossbuchstaben). Diese kommt unter dem Würgegriff massiver Abhängigkeit einerseits und egomaner Umschmeichelter andererseits zustande. Eines von zahlreichen Exempeln dafür, wie sich die Ausgestaltung einer solchen SCHMEICHELEI ausnimmt, hat in diesem Frühsommer der NATO-Generalsekretär geliefert. In einer (eigentlich privaten) SMS an den Präsidenten der Vereinigten Staaten hat sich der Generalsekretär in den Staub geworfen und dem Amerikaner eine lobhudelnde Speckseite durchs Maul gezogen, ob der mir speiübel geworden ist. Das Wohl der NATO-Mitgliedstaaten im Blick, war sich deren Generalsekretär nicht zu schade, selbst den rustikalen SCHREIB-Stil des Angeredeten unterwürfigst zu imitieren. 

Ich rechne nicht damit, dass der amerikanische Präsident Aesops Fabel vom Raben und vom Fuchs kennt, die in der abendländischen Literatur vielfach aufgegriffen und – auch, was deren Moral betrifft – variiert wurde. In der ältesten Fassung lässt sich der Rabe vom Fuchs durch Schmeicheleien zum Singen verleiten, öffnet den Schnabel und verliert dadurch seinen zuvor gestohlenen Käse an den Fuchs, der für den Geprellten nichts als Hohn und Spott übrighat. Es gibt aber auch eine Version von Gotthold Ephraim Lessing, bei der der Käse vergiftet ist, der umschmeichelte Rabe seine Haut retten kann und der schmeichelnde Fuchs letztlich das tödliche Nachsehen hat.

Ob der Käse, um den es in der NATO geht, vergiftet ist oder nicht? Ob der Rabe der SCHMEICHELEI erliegt oder sie doch durchschaut? Die Veröffentlichung der SMS lässt fast Letzteres annehmen. Und ich vermute angesichts der Persönlichkeitsarchitektur des Raben, dass es diesem womöglich nicht so sehr um die inhaltliche Substanz der SCHMEICHELEI gehen könnte. Schmeichelt ihm nicht allein die Tatsache seiner eigenen gigantischen Machtfülle, die die davon Abhängigen nötigt, sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit vor ihm zu verleugnen, sich winzig klein und lächerlich zu machen?

Schmeicheleien: Als «Nicht-ganz-Lügen» sind sie soziales Schmiermittel menschlichen Umgangs und allerhöchstens lässliche Alltagssünden. Mar-a-Lago-SCHMEICHELEIEN dagegen fussen auf Widerwillen, wenn nicht gar Verachtung. Sie beschädigen mit vorgetäuschten Kratzfüssen und devotem Zu-Kreuze-Kriechen nicht nur das diplomatische Parkett. Das heuchlerische Benehmen nämlich, das hier Einzug hält, wird – da offiziell kaum angefochten – als akzeptables Verhalten legitimiert.

«Der Zweck heiligt die Mittel» – was man auf der Müllhalde verzichtbarer Kalendersprüche wähnte, kommt unversehens zur Hintertür herein, wenn es ans Eingemachte geht. 

13. August 2025 – helen.christen@luzern60plus.ch


Zur Person
Helen Christen, geboren 1956, ist in St. Erhard aufgewachsen und wohnt seit vielen Jahren in Luzern. Bis zu ihrer Emeritierung war sie Professorin für Germanistische Linguistik an der Universität Freiburg i. Ü. Das Interesse an der deutschen Sprache in all ihren Facetten und die Lust an der Vermittlung linguistischen Wissens waren nicht nur die Triebfedern in ihrem Berufsleben, sondern prägen auch den neuen Lebensabschnitt.