Sie setzt sich für Menschen in der letzten Lebensphase ein: Helene Meyer-Jenni, Präsidentin von Palliativ Luzern. Bild: Boris Bürgisser

Früher wurde mehr zusammen getrauert

Wie stellen sich die verschiedenen Religionen den Übergang zwischen dem Diesseits und dem Jenseits vor? Und wie gestalten sie diesen? Der Welthospiz- und Palliative-Care-Tag regt dazu an, über solche Fragen nachzudenken. Helene Meyer-Jenni, Präsidentin von Palliativ Luzern, erläutert im Interview, warum der Verein diesen Fokus zum diesjährigen Welttag ausgewählt hat.Von Patrizia Kalbermatten, Leiterin Geschäftsstelle Palliativ Luzern 

An jedem zweiten Samstag im Oktober macht der Welthospiz- und Palliative-Care-Tag auf die Menschen aufmerksam, die auf Pflege angewiesen sind, auch solche, die sich in der letzten Lebensphase befinden. Dabei wird die Unterstützung aller gewürdigt, die sich im Rahmen ihres beruflichen oder freiwilligen Engagements für das Wohl von Menschen mit unheilbaren, lebensbedrohlichen und/oder chronisch fortschreitenden Krankheiten und ihren Angehörigen einsetzen. Der Welthospiz- und Palliative-Care-Tag leistet ausserdem einen Beitrag zur Enttabuisierung von Themen wie Tod, Sterben und Trauer.

Seelsorgende, Imame und Rabbiner sorgen für das spirituelle Wohl schwerkranker und sterbender Menschen in Spitälern und Heimen. Warum richtet Palliativ Luzern den Fokus am diesjährigen Weltpalliativtag auf den Umgang verschiedener Religionen mit Sterben, Tod und Abschied?
Helene Meyer-Jenni: Der Welthospiz- und Palliative-Care-Tag bietet eine jährliche Plattform, auf die Bedürfnisse schwerkranker und sterbender Menschen aufmerksam zu machen und sensibilisiert die Öffentlichkeit für die wichtigen Themen. In diesem Jahr steht der internationale Tag unter dem Motto «Einhaltung des Versprechens: Flächendeckender Zugang zur Palliativversorgung» und damit den universellen Zugang zu Palliative Care für alle Menschen unabhängig von Alter und Herkunft. Palliativ Luzern widmet sich zudem 2025 gezielt den spirituellen Aspekten. Jede Religion befasst sich mit diesen Fragen. Gleichwohl erfordert die zunehmende multikulturelle Zusammensetzung unserer Gesellschaft, dass alle in der Behandlung, Pflege und Begleitung von Schwerkranken und Sterbenden Beteiligten verschiedene kulturelle Ansätze zu Krankheit und Tod berücksichtigen. Interkulturelle Kompetenzen sind dabei unerlässlich, um eine individuelle, personalisierte Behandlung und Betreuung anzubieten.

Ist diese personalisierte Form der Begleitung nicht den Seelsorgenden der verschiedenen Religionen delegierbar?
Palliative Care sieht den Menschen als Ganzes und nimmt neben der medizinischen, psychischen und sozialen auch die spirituelle Dimension in den Blick. Dies fordert Fachpersonen und Ehrenamtliche in der Palliative Care heraus, den Fokus auch auf die spirituellen Bedürfnisse zu richten. Eine gute und professionelle Interaktion mit Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörigen beinhaltet auch Wissen um den Umgang mit Sterben, Tod und Trauer in den verschiedenen Religionen und Kulturen. Im Frühling 2026 widmet Palliativ Luzern einen ganzen Nachmittag diesem wichtigen Thema. Expertinnen und Experten werden Bedeutung, Merkmale und Anwendung von Interkulturalität in Palliative-Care-Situationen beleuchten und Fachpersonen stellen Lösungsansätze vor, um die Begleitung von Patientinnen und Patienten anderer Religionen und Kulturen und deren Familien zu unterstützen.

Ende Oktober organisiert Palliativ Luzern eine öffentliche Veranstaltung mit dem Titel «Religionen am Sterbebett». Was erwartet das Publikum?
Das öffentliche Referat gibt Einblick in Glauben, Haltung und Praxis in Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus am Lebensende. Dadurch soll das Verständnis und den Respekt für religiöse und kulturelle Unterschiede in unserer Gesellschaft gefördert und eine harmonische Interaktion mit Religionen und Kulturen ausserhalb der eigenen unterstützt werden. 

Wie hat sich Sterben in unserer multikulturellen Gesellschaft verändert?
Die Individualisierung und Pluralisierung unserer Gesellschaft haben einen grossen Einfluss auf den Umgang mit Sterben und Tod und zu einer Entfremdung gegenüber zuvor etablierten Ritualen geführt. Wichtig zu beachten ist aber auch, dass sich immer mehr Schwerkranke und Sterbende keiner Religion mehr verbunden fühlen. Doch auch sie haben in existentiellen Situationen – wie es unheilbare, lebensbedrohliche Erkrankungen sind – Fragen und Bedürfnisse. Sie möchten möglichst frei von Schmerzen und belastenden Symptomen sein, ihre Angehörigen bei sich haben, getragen und aufgehoben sein und wünschen sich die Unterstützung kompetenter Gesundheitsfachpersonen. Und für die Hinterbliebenen ist der Tod eines geliebten Menschen der wohl schmerzlichste Einschnitt im Leben. Indem wir Barrieren abbauen und eine offene, solidarische Gesellschaft fördern, welche die Bedürfnisse und die Not schwerkranker, sterbender Menschen unabhängig ihrer Herkunft, Glaubensgemeinschaft und Kultur anerkennt, tragen wir zum weiteren Aufbau einer sorgenden Gemeinschaft in unserem Kanton bei. 

Sterben, Tod und Abschied: Sie schaffen Sichtbarkeit für ein Thema, dem viele gerne aus dem Weg gehen. Warum?
Trotz zunehmendem Lebensalter und längerer Betreuung in der finalen Phase, wird das Sterben heute – und vor allem auch die Trauer – in der Gesellschaft oft verdrängt; diese wichtigen Situationen erhalten zu wenig Raum und Zeit. Das war nicht immer so; in früheren Gemeinschaften wurde deutlich mehr zusammen getrauert, beklagt. In verschiedenen religiösen Ritualen finden wir noch Formen dafür. Wir sind aufgefordert, weitere Optionen zu entwickeln. Dabei ist Palliative Care mit dem Leben verbunden. Es geht nicht nur ums Sterben, sondern auch um die Zeit davor – und danach – mit dem Ziel, die Lebensqualität schwerkranker Menschen zu verbessern. Es gibt Kulturen, in denen der Tod eine hohe Sichtbarkeit hat. Dort wird das Bewusstsein gepflegt, dass Sterben Teil des Lebens ist. Wie schon Rainer Maria Rilke schrieb «Der Tod gehört zum Leben wie die Nacht zum Tag.»

Veranstaltungshinweis
Palliativ Luzern lädt am 27. Oktober 2025, 18.30 bis 20.00 Uhr, zur öffentlichen Veranstaltung ein. Unter dem Titel «Religionen am Sterbebett – Sterben, Tod und Abschied in Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus» zeigt der Theologe Pascal Mösli auf, wie sich die verschiedenen Religionen den Übergang zwischen dem Diesseits und dem Jenseits vorstellen und wie sie diesen gestalten. Türöffnung ist um 18.00 Uhr.

7. Oktober 2025 – sandra.baumeler@luzern60plus.ch