
In der Luzerner Altstadt geboren, im Alter dorthin zurückgekehrt: Annemarie Fellmann.
Von der Metzgerei zur Uhrenboutique
Die Altstadt war früher voller Läden: vom Metzger bis zur Papeterie, von der Buchhandlung bis zur Bäckerei. Heute hat sich der Branchenmix völlig verändert. Der Tourismus hinterlässt seine Spuren. Annemarie Fellmann, die an der Furrengasse geboren wurde und als Rentnerin wieder dort lebt, berichtet über den Wandel im Herzen der Stadt Luzern.
Von Albert Schwarzenbach (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)
Die Liste der Geschäfte will kein Ende nehmen. In der Eisengasse gab es einen Metzger, einen Käseladen und die Bäckerei Merz. Bei Seinet an der Weggisgasse wurden frische Fische, in der Buchhandlung Haag antiquarische Bücher angeboten. In der Papeterie Bürgisser gab es Tinte, in der Mercerie Otto Müller Knöpfe, bei Dollé Blumen. Am Grendel verkaufte die Bäckerei Zai feines Brot, die Geschwister Bürkli boten Obst und Gemüse an.
Skifahren hinter dem Schirmerturm
Die Autos fuhren noch dem Rathausquai entlang bis zum Hotel des Balances. Im alten Friedhof spielten die Kinder Fussball. Wo heute im Löwengraben die Gesellschaft zu Schützen wirkt, befand sich in unmittelbarer Nähe ein privater Kindergarten. Die ersten Guuggemusigen zogen an der Fasnacht durch die Altstadt. Es gab noch Schnee, hinter dem Schirmerturm wurde Ski gefahren und geschlittelt. Fernsehapparate gab es erst wenige.
Arbeit in Deutschland
All das hatte die heute 76-jährige Annemarie Fellmann, die in einer Familie mit vier Kindern an der Furrengasse aufwuchs, noch erlebt. In dieser Wohnung wurde sie geboren. Gerne hätte sie damals die Realschule besucht, die ihrer Neigung für die Mathematik entsprochen hätte, doch waren die Eltern damit nicht einverstanden. Zuerst sollte eine «richtige» Berufsausbildung abgeschlossen werden. So fügte sich die Tochter und besuchte das städtische Lehrerseminar auf der Musegg, wo sie das Patent erwarb. Die Aufnahmeprüfung an die ETH missriet wegen Physik und Chemie. Aber dafür nahm sie ein Studium an der Universität auf.
Um Geld zu verdienen, tippte sie für einen Professor Mathematikarbeiten in eine Kugelkopf-Schreibmaschine, abends, wenn die Sekretärinnen nicht mehr im Büro waren. Als Assistentin sammelte sie weitere Erfahrungen. 1981 wechselte sie nach Frankfurt am Main, wo sie semesterweise Jobs übernahm und an einer Dissertation arbeitete. 1987 begann sie bei der Vita-Versicherung zu arbeiten, wo sie im IT-Bereich und als Mathematikerin tätig war. Bis zu ihrer Pensionierung Ende 2014 blieb sie in Deutschland.
Herzstück des Hauses
Dann kehrte Annemarie Fellmann in ihr Elternhaus an der Furrengasse zurück. Ihr Grossvater hatte es ungefähr im Jahr 1922 mit Bankkrediten, Hypotheken und der Hilfe von Freunden gekauft. Er führte einen Käseladen in der Neustadt, den er daraufhin in das von ihm gekaufte Haus zügelte. «Bei ihm ging es damals um die Existenz», erzählt Fellmann. Bis zu seinem Tod wohnte er zusammen mit seinem Sohn dort. Später beschloss die Familie, das Haus im Stockwerkeigentum zu verkaufen. Sie behielt einzig eine Wohnung, das Herzstück des Hauses. Dort zog die Rückkehrerin ein.
«Ich bin regelrecht auf die Welt gekommen. Es dauerte drei Wochen, bis ich jemanden auf der Strasse traf, den ich kannte», erinnert sie sich. Und es dauerte mehrere Jahre, bis sie sich zu Hause fühlte, was ihren vielfältigen Engagements zum Beispiel im Tourismus zu verdanken war. Die vertrauten Geschäfte waren in den Jahren ihrer Abwesenheit grösstenteils verschwunden. Die Autos verkehrten nicht mehr durch den Rathausquai. Der Grendel und der Löwengraben wurden auch noch verkehrsfrei.
Uhrengeschäfte und Souvenirshops prägten das Tor zur Altstadt. Die Fasnacht entwickelte sich zur Touristenattraktion. Und zur Wohnung an der Furrengasse drangen laute Partyklänge von der Bahnhofstrasse. «Für viele Akteure geht es nur noch darum, möglichst viel Geld zu verdienen», sagt Fellmann. Und auch bei den Bauvorhaben veränderte sich einiges: Wurde früher eine Baubewilligung sehr rasch erteilt, blockiert heute die Denkmalpflege viele Vorhaben.
Lage und Berge gegeben
Wie sieht die Altstadt in zwanzig Jahren aus? Nicht viel anders als heute, meint sie. Die Lage und die Berge seien ja gegeben. Die Alpensegler werden weiterhin den Wasserturm bevölkern. Und «es wird wohl noch genügend vernünftige Leute geben, die Auswüchse verhindern». Ja, sogar eine Renaissance bei den von Inhabern geführten Geschäften sei möglich. «Zumindest hoffe ich das.»
23. Mai 2025 – albert.schwarzenbach@luzern60plus.ch