„Frühlingsputz für die Seele“

Von Hans Beat Achermann

Die meisten haben zu viel von allem: Doch wie wird man Überflüssiges los? Räumen heisst auch Raum schaffen. Ein Referat mit Diskussion zeigte Schwierigkeiten beim Loslassen.

Vielleicht kann man es planen, vielleicht auch nicht, aber bei den meisten älteren Menschen kommt der Moment, wo man realisiert, dass die Dingwelt, die einen umgibt, verkleinert werden muss. Sei es, weil man in eine kleinere Wohnung umziehen muss, sei es, weil man gezwungen ist, die verbliebene Lebenszeit im Alters- oder Pflegeheim zu verbringen.  Wie geht man diesen Prozess an? Wann ist der richtige Zeitpunkt? Welche Emotionen kommen da hoch beim Loslassen? Im Rahmen der Veranstaltungsreihe L’Après-Midi der reformierten Kirche referierte die Journalistin Bernadette Kurmann vor 20 interessierten älteren Menschen  zum Thema „Aufräumen und loslassen“. Im Untertitel stand „Frühlingsputz für die Seele“, was bereits auf  die reinigende Dimension des Loslassens hinwies.

Sich Zeit lassen

Ausgehend von den eigenen Schwierigkeiten beim Aufräumen und von Erfahrungen im Freundes- und Kolleginnenkreis entwickelte Bernadette Kurmann, selber Pensionärin und Mutter von drei erwachsenen Töchtern, praxisnah ihre Gedanken und Überlegungen. „Den idealen Zeitpunkt zum Aufräumen gibt es nicht“, stellte die Referentin fest, jeder und jede müsse diesen selbst herausfinden. Es sei aber eine Frage des Respekts, dass man das Räumen nicht Fremden überlasse, sondern selbstbestimmt erledige.  Auch den Kindern gegenüber könne es eine Zumutung sein, wenn diese das Räumen einmal übernehmen müssen. Man solle sich aber für den Prozess Zeit lassen, denn Räumen sei auch Abschiednehmen.  Da wir in einer „Hamstergesellschaft“ lebten, gleichzeitig die ältere Generation aber noch so erzogen wurde, möglichst nichts wegzuwerfen, sei Loslassen besonders schwierig. „Viele möchten es, aber können es nicht.“

Versöhnen und trauern

„Habgier im Alter ist eine Narrheit. Vergrössert man denn seinen Proviant, wenn man sich dem Ziel nähert?“ bemerkte schon Cicero vor 2000 Jahren. Aber es ist ja nicht nur der Gebrauchswert, der einen an den Dingen hängen lässt, oft sind es Erinnerungen und Emotionen, die es so schwer machen, loszulassen oder wegzuwerfen. Wobei: Es kann ja auch weggegeben bzw. verschenkt werden, woran vielleicht jemand anders Freude hat.

Dass das Thema voller Widersprüche und Fallen ist, hat auch die Diskussion gezeigt.  Einigen fällt es leicht, andere tun sich schwer, und wieder andere verdrängen es. Denn Loslassen von Liebgewordenem kann auch beinhalten, dass man sich der eigenen Endlichkeit bewusst wird, dass am Ende dieses Prozesses das eigene Ende steht, was oft Trauerarbeit  beinhaltet.  „Aufräumen kann aber auch die Chance sein, sich mit der eigenen Sterblichkeit und der Vergangenheit zu versöhnen“, lautete der halbwegs positive Schluss von Bernadette Kurmanns Ausführungen, so dass einige der Zuhörenden den Saal in durchaus aufgeräumter Stimmung verliessen mit dem guten Vorsatz, jetzt doch endlich den Estrich „auszumisten“ – vielleicht beginnt ein Stück neue Freiheit zuoberst.

„Aufräumen“ ist auch das Motto des diesjährigen Marktplatzes 60plus am 11. Mai in der Luzerner Kornschütte. https://www.luzern60plus.ch/marktplatz-60plus

7. Februar 2019