Mehr tun für den Gemeinnützigen Wohnungsbau

Mark Schmid, der Präsident des Luzerner Mieterinnen- und Mieterverbandes erklärt, warum die Initianten an der „Volksinitiative für zahlbaren Wohnraum“ festhalten. Am 17. Juni wird in der Stadt über die Initiative abgestimmt.

 Der Mieter- und Mieterinnenverband Luzern (MV) hat zusammen mit der SP und den Grünen die „Volksinitiative für zahlbaren Wohnraum“ eingereicht. Fehlt bezahlbarer Wohnraum in der Stadt Luzern?

Ohne Zweifel! Wir stellen immer wieder fest, dass es Leute gibt, die nicht jenen Wohnraum finden, den sie noch bezahlen können, vor allem auch Familien und solche, die ihre Wohnung verlassen müssen. Sie werden aus der Stadt verdrängt und müssen in der Agglomeration suchen, wo die Wohnungen noch eher bezahlbar sind. Wir nehmen in der Stadt auch zur Kenntnis, dass bezahlbarer Wohnraum in spekulativer Absicht erworben, total saniert und dann in einem ganz andern Preissegment wieder vermietet oder verkauft wird.

Kennen Sie ein Beispiel?
Das Wohnhaus an der Ecke Pilatusstrasse-Winkelriedstrasse gegenüber dem Hotel Astoria gehört dazu. Die Situation, dass bezahlbarer Wohnraum fehlt, fördert geradezu die spekulative Tendenz, davon zu profitieren. Gerade darum machen wir uns für den gemeinnützigen Wohnungsbau stark. Wir wollen ein anderes Regime auf dem Wohnungsmarkt, das nicht durch Spekulation dominiert wird.

Hat der Abstimmungserfolg für günstigen Wohnraum in Zürich den MV Luzern beflügelt? Dort ist vor genau zwei Jahren eine ähnliche Initiative mit 71 Prozent Ja-Stimmen angenommen worden.
Die Ausgangslage ist nicht die gleiche wie in Luzern. Zürich hat seit Jahrzehnten einen viel grösseren Anteil an gemeinnützigen oder städtischen Wohnungen am Wohnungsmarkt. Das ist Tradition. Die Probleme bei der Wohnungssuche allerdings sind die gleichen. Der Mieter- und Mieterinnenverband Luzern hat 2009 eine kantonale Initiative zur Abstimmung gebracht, welche die Förderung des zahlbaren Wohnungsbaus als Verfassungsgrundsatz einführen wollte. Die Initiative ist in Luzern und Littau angenommen worden. Die Bevölkerung will also, dass am Wohnungsmarkt etwas geschieht. Und der Wunsch ist deshalb verständlich, weil es in der Stadt Luzern nach dem Jahrhundertwechsel  kaum mehr Anstrengungen in dieser Richtung gegeben hat. Das alles war mit ein Grund für die aktuelle Volksinitiative.

Wie ist die Abstimmungskampagne aufgebaut worden?
Nach der parlamentarischen Debatte über den Bericht und Antrag des Stadtrates zur Wohnraumpolitik und zu unsere  Initiative, bei welcher sich der Grosse Stadtrat nicht auf den Kompromiss-Gegenvorschlag einigen konnte, hat der MV Luzern versucht, aus dieser Polarisierung herauszukommen. Das Anliegen für günstigen Wohnraum ist viel breiter und führt in einem Pingpong zwischen Links- und Rechtsparteien nicht zum Ziel. Darum ist der MV Luzern froh, dass er die Abstimmungskampagne zusammen mit der abl und der Wogeno führen konnte. Damit können wir aufzeigen, dass unser Anliegen breit abgestützt ist und auch von Wohnbaugenossenschaften mitgetragen wird.

SP und Grüne sind also nicht in die Kampagne eingebunden, obwohl sie die Initiative mitgetragen haben?
Wir alle stehen nach wie vor voll hinter der Initiative. Die Linksparteien werden die Initiative mit ihren Mitteln unterstützen und sie auch zur Annahme empfehlen.

Die Initiative verlangt, dass der Anteil an gemeinnützigem Wohnraum in Luzern bis in 25 Jahren 16 Prozent beträgt. Nach korrigierten Berechnungen des Stadtrates würde dies die Erstellung von 2100 neuen gemeinnützigen Wohnungen bedeuten. Der Stadtrat erachtet diese Zahl auf Grund seiner beschränkten Einflussmöglichkeiten als nicht realisierbar. Was sagt der MV Luzern dazu?
Der Stadtrat hat in seinem Gegenvorschlag den Bau von 720 gemeinnützigen Wohnungen vorgeschlagen. Diese Zahl konnte uns nicht zufrieden stellen. Sie stützte sich auf bereits kommunizierte Absichten über den Bau von gemeinnützigen Wohnungen, etwa im Urnerhof und an der oberen Bernstrasse. Wir hatten ein stärkeres Engagement der Stadt erwartet. Der Stadtrat listet in seinem Bericht ja selber grössere Siedlungsgebiete auf, in denen man nach unserer Meinung grosse Anteile für den gemeinnützigen Wohnungsbau zur Verfügung stellen könnte. Zum Beispiel im Raum Hallenbad-Steghof-Industriestrasse, im Stadtteil Littau im Raum Ruopigen und Udelboden. Es gibt auch innerhalb der bestehenden Siedlungsräume im Rahmen von Verdichtungen Möglichkeiten für den Bau von gemeinnützigen Wohnungen. Und es gibt neue Gebiete: Nach dem Tod des Salle-Modulable-Projekts könnten auf dem Gelände des Lidoparkplatzes gemeinnützige Wohnungen erstellt werden. Die Stadt hat durchaus Spielraum, um die Wohnungen gemäss Initiative zu realisieren.

Der Stadtrat kritisiert auch den Planungshorizont von 25 Jahren. Er sei zu lang und mit Unsicherheiten verbunden.
Der Planungshorizont von 25 Jahren macht durchaus Sinn. Ich kann aber nachvollziehen, dass sich der Stadtrat zuerst einen Zielzeitraum von 15 Jahren vorgegeben hat. Trotzdem: Der Mieter- und Mieterinnenverband hat ein klares Ziel mit der Volksinitiative. Das Ziel soll eine Herausforderung sein. Wir sagen aber auch, dass der Weg dazu nach Etappen von jeweils fünf Jahren immer wieder überprüft werden muss. Das steht so in der Initiative. Darum erachte ich den Planungshorizont von 25 Jahren als gute Vorgabe.

Neben der SVP, die jede staatliche Förderung für den gemeinnützigen Wohnungsbau ablehnt, opponierte im Stadtparlament vor allem die CVP. Markus Mächler sagte, die Forderung der Initiative sei „massiv zu hoch“. Warum fordert der MV so viel?
Sicher sind 2100 neue Wohnungen innert 25 Jahren eine stolze Vorgabe. Ich meine aber, dass eine Zielvorgabe auch ein kreatives Potential zum Weiterdenken auslösen soll. Und wir müssen mehr bezahlbaren Wohnraum bekommen. In der Stadt werden immer wieder neue Wohnsiedlungen gebaut, im Schnitt etwa 300 Wohnungen pro Jahr Dabei werden Chancen für den gemeinnützigen Wohnungsbau zu wenig genutzt. Zum Beispiel beim Projekt Industriestrasse, wo 80 Wohnungen unter dem Titel der Gemeinnützigkeit hätten realisiert werden können. Die Stadt jedoch will nach einem Wettbewerb, bei dem u.a. der gebotene Preis ein Kriterium war, das ganze Areal an einen privaten Investor verkaufen. Das zeigt: Innert 25 Jahren ist es leider möglich, viele solche Projekte ohne gemeinnützige Wohnungen voranzutreiben, wenn keine gesetzliche Zielvorgabe besteht. Unsere Forderung entspräche etwa 80 Wohnungen, einem Viertel der Neubautätigkeit. Das Industriestrasse-Grundstück z.B. ist nur ein kleiner Teil der ganzen Entwicklungszone für die nächsten Jahrzehnte über den Steghof bis zum Hallenbad.

Gemeinnütziger Wohnraum liesse sich auch in bestehenden Bauten einrichten.
Sicher. Wir sprechen immer nur über jene Grundstücke, die aktuell für Überbauungen zur Diskussion stehen. Dabei müssten wir auch an bestehende Wohnbauten denken. Zum Beispiel an die Sanierungspläne der Kantonalen Pensionskasse an der Tribschenstrasse, wo viele ältere Bewohner und Bewohnerinnen mit höhern Mietzinsen zum Auszug gezwungen werden. Es wäre durchaus denkbar, dass auch bestehende Überbauungen teilweise in eine gemeinnützige Form überführt werden. Das müsste für eine Pensionskasse eine Variante sein. Damit würde sie die spekulative Abschöpfung von Mehrwert ausschliessen, das investierte Kapital könnte trotzdem fair verzinst werden.

Wie rasch kann eine Umsetzung der Initiative nach Annahme in Gang kommen?
Der Stadtrat hat mit dem Reglement ja bereits eine Form für die Umsetzung erarbeitet. Aus unserer Sicht kann dieses Reglement wieder hervorgenommen werden, ergänzt werden mit der Zahl von 2100 Wohnungen in 25 Jahren, und rasch verabschiedet werden. Ich zähle darauf, dass nach einem Abstimmungssieg kein neues Feilschen um Zahlen mehr nötig ist. Die Kräfte sollen dann in die Massnahmen und Projekte gehen.  

Interview René Regenass / 20. Mai 2012 / Siehe auch Magazin der abl vom Mai 2012.