Anerkennung und Raum für

eine feministische Frau

Text: René Regenass           Bild: Joseph Schmidiger

Eine aktive, bewegte, auf vielen Ebenen engagierte Frau, häufig auf dem Sprung zum nächsten Termin – so erlebe ich Beata Pedrazzini (62), die heute vor allem in Integration  und Migration tätige, ehemalige Religionslehrerin. Heute arbeitet sie im  Zentrum „Der MaiHof“ und im Bereich Migration/Integration der katholischen Kirche Luzern. Wir treffen uns in der Libelle, im neuen Quartier-Restaurant.

Wo nimmt sie ihre Schaffenskraft her, was hält ihre Lebensgeister so wach, so offen, im Kontakt mit Anwohnern und Fremden immer wieder Neues zu versuchen? Die Antwort von Beata Pedrazzini steuert auf den Kern ihres Engagements, ihres Weltbildes zu: „Das hat mit meinem christlichsozialen Hintergrund zu tun. Das Reich Gottes fängt hier an, hier im Quartier, in der Stadt. Wir sind alle irgendwie vernetzt auf dieser Welt. Da ist etwas, das uns alle angeht, der Glaube daran, dass alle Lebewesen miteinander verbunden sind.“ Es sei diese Vernetzung, das Hier und Jetzt das Boden gebe, die spirituelle/religiöse Dimension, sagt Beata Pedrazzini. Dazu gehörten auch Lyrik und Poesie, das kreative Zusammensein mit Menschen. „Das bringt mich weiter, und die andern auch.“  

„Ich versuche Strukturen aufzubauen, was ich in der Politik gelernt habe.“ Beata Pedrazzini wirkte neun Jahre im Bürgerrat der Stadt Luzern, als Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion. Sie war im Vorstand und in der Geschäftsleitung der Partei. „Das politische Engagement gehört für mich zum christlichen Auftrag.“

Doch die Einschränkung kommt auf dem Fuss: „Ich fühle mich in dieser Kirche zwar irgendwie beheimatet, aber meine Kritik an ihr ist konstant. Ich bin ein rebellischer Geist, weit über die unmögliche Stellung der Frau in dieser Kirche hinaus. Ich kämpfe für eine ganzheitliche Theologie wie eine Wilde. Trotzdem: Ich bin mit den Menschen hier im MaiHof verbunden, auch mit den Engagierten in der Stadt. Die Kirche in Luzern hat mir sehr viel Freiraum gegeben. Ich konnte viele Projekte mit andern zusammen verwirklichen.“

Die Oase Maihof
Beata Pedrazzini erinnert sich dabei an vergangene Zeiten. „Die Jahre, welche ich hier mit Pfarrer Adolf Stadelmann, mit seinem breiten Verständnis von Theologie und Kirche, mit seinem liberalen Menschenbild erlebte, haben mich und mein Verhältnis zur katholischen Kirche entscheidend geprägt. Das war damals so etwas wie eine Oase. Heute hat sie sich ausgedehnt, weit über den MaiHof hinaus.“

Quartierarbeit – das ist für Beata Pedrazzini immer wichtiger geworden. Als Religionspädagogin hat sie in der Schule und in der Pfarrei Projekte angestossen, durchgezogen. Das sei eine wirkliche Bereicherung gewesen, sagt sie heute. „Wir haben so viele Menschen aus verschiedensten Kulturen und Schichten zusammen in den MaiHof  und miteinander in Verbindung gebracht.“ Das war in Luzern nicht überall möglich. Gibt es ein Rezept, um dieses Mittun, diese Präsenz erreichen zu können? Beata Pedrazzini will nicht von einem Rezept reden. „Aber vielleicht rede ich eine Sprache, welche die Migranten und Migrantinnen als authentisch annehmen können. Es geht mir darum, Menschen zusammenzubringen, aus verschiedenen Kulturen und Religionen, gegenseitig Lebensgewohnheiten zu erkennen, auch für Gerechtigkeit und Partizipation einzustehen.“

Ein breites Feld des Wirkens
Beata Pedrazzini wirkt auf verschiedenen Ebenen, aber immer im Dienste der Katholischen Kirche der Stadt Luzern. Zentral, übergeordnet ist hier die Aufgabe im Bereich Migration-Integration, wo sie vor allem im Schwerpunkt „interreligiöser Dialog“ arbeitet:  Begegnungen, Feiern und Veranstaltungen mit den verschiedensten Religionsgemeinschaften in und um Luzern mitorganisiert und durchführt. Dazu kommt die Quartier- und Pfarreiarbeit. Im Verein Zusammenleben Maihof-Löwenplatz ist sie Co-Präsidentin. Der ZML ist ein unabhängiger Verein, der Kulturen und Religionen zusammen bringen will. Im Mittelpunkt stehen kulturelle, kulinarische Begegnungen und Aktivitäten, und verschiedene Deutsch- und Integrationsangebote. Einmal pro Woche organisiert Beata Pedrazzini den Mittagstisch in der Pfarrei, der immer von vierzig bis fünfzig Personen, darunter viele Kinder, besucht wird. „ Seit fast dreissig Jahren begegnen sich an unserem Mittagstisch Generationen und zunehmend verschiedenste Kulturen.

Zur Arbeit in der Pfarrei gehören schliesslich auch die „frauen maihof“. „Die Frauen sollen im Quartier eine Plattform haben, wo sie wahrgenommen werden.“ Ab und zu trifft man in der Liturgie im Kirchenraum auf  Beata Pedrazzini. „Das macht mir viel Freude, die Segensfeiern für Kinder, Trauerfeiern, Rituale überhaupt, dafür besteht im MaiHof sehr viel Raum.“ Mit diesen Formen versucht sie der Linie der Katholischen Kirche Luzern zu folgen. „Es gilt auf der einen Seite Feindbilder und Vorurteile abzubauen, im linken politischen Spektrum etwa oder bei kirchenfernen Menschen. Es geht um das soziale und spirituelle Handeln, darum will sie Sakrales und Profanes zusammenzubringen. Ich bin in dieser Hinsicht wohl eine gute „Verkäuferin“ der Katholischen Kirche.“

Das trifft zu. Beata Pedrazzini ist im Kern ein positiver Mensch, aufbauend mit einem guten Sinn für das Machbare. „Ich muss nahe bei den Menschen sein und spüren, was sie wollen. Dann fällt es mir leichter.“ Wann und wo beginnt die Skepsis? Sie muss überlegen und sagt dann, sie habe kein Lust auf „l‘art pour l’art“. Wenn ich merke, dass ich mit dem Inhalt und meiner Botschaft nicht ankomme, gehe ich in den Rückzug. Und schliesslich sind da noch meine körperlichen Kräfte, die nicht mehr alles mitmachen.“

„Eine Sprache reden, die man verstehen kann“
Die wichtigen Stationen im Leben? Da steht die Kirche Maihof , der „Maihof-Geist“  im Zentrum. Zwölf Jahre mit Pfarrer Adolf Stadelmann, dann mit seinen Nachfolgern, wo Beata Pedrazzini versucht hat, die Theologie und die Offenheit Stadelmanns weiter zu bringen. Nachher folgte die verstärkte Anbindung im Quartier, die Arbeit mit den Frauen. „Ich wollte immer eine ganzheitliche, eine feministische Theologie an der Basis einbringen, Gruppen bilden, eine Sprache reden, die man verstehen kann. Und trotzdem die intellektuelle Ebene und die Reflexion nicht vernachlässigen. Sobald etwas banal oder populistisch wird, beginnt es mich zu stören.“ Das hat auch etwas mit ihrer Weiterbildung zu tun: drei Jahre Animation in der Gemeinde-Katechese, ein Nachdiplomstudium „Leiten und Begleiten in der Gruppe“, und „Spirituelle Theologie im interreligiösen Prozess“, ein Modul, das von der Uni Salzburg entwickelt wurde und seit ein paar  Jahren mit Teilnehmenden ganz unterschiedlichster Berufsgruppen im deutschprachigen Raum durchgeführt wird.

Das tönt nach grossem, zeitlichem Engagement. Was auch so ist. Doch Beata Pedrazzini hat einen grossen Freundeskreis, pflegt die Kontakte, setzt sich auseinander, ist eine vielseitige, famose Köchin, jasst fürs Leben gerne, gekonnt und belehrend, doch man nimmt es ihr ab. Dazu kommt eine grosse Verankerung in der Natur, der Grüne Daumen. Das ist fast angeboren. Sie ist als jüngste Tochter neben zwei Schwestern und zwei Brüdern in Muri im Freiamt in einem grossen Gärtnerei- und Gartenbaubetrieb mit drei Blumengeschäften aufgewachsen, „etwas allein, etwas verloren, erzogen mehrheitlich von  deutschen Dienstmädchen und der Grossmutter“, erinnert sie sich. Mit 17 ½ Jahren ist Beata Pedrazzini in das Katechetische Institut, welches heute Religionspädagogisches Institut heisst, eingetreten. „Ich war zu jung, aber der Bedarf  an Laien in der Kirche und die Aufbruchstimmung waren nach dem II. Vatikanischen Konzil gross. Im Räthia hatte ich eine Nonne kennengelernt, die das Institut absolvierte. Das will ich auch“, sagte ich sofort.

Auch Reisen ist wichtig, früher wie heute: Baltikum, Naher Osten, Russland. Mit einem neuen Partner, der in Deutschland lebt, eröffnen sich neue Landschaften.  Beata Pedrazzini war zehn Jahre verheiratet, lebte dann 18 Jahre  in einer Partnerschaft mit Martin Schällebaum, der heute ein ganz guter Freund und naher Gesprächspartner ist.

Worauf Beata Pedrazzini etwas stolz ist: „Ich habe als geschiedene, feministische Frau mit hohem sozialen und politisch linken Engagement in dieser katholischen Kirche immer Platz gehabt.“ Wobei hier beizufügen ist, dass der Maihof dafür eine gute Basis schaffen konnte und kann. „In der Nische, in welcher Frauen in der Kirche zugelassen sind, habe ich immer viel Anerkennung erhalten.“

Und jetzt? Wie geht die sozial engagierte Frau dem Alter entgegen? „Ich arbeite noch zwei Jahre und freue mich sehr auf die Pensionierung. Etwas Verantwortung abgeben ist gut; das schliesst Engagement nicht aus. Ich möchte, dass der interreligiöse und interkulturelle Dialog in Luzern weitergeführt und intensiviert wird. „In welcher Form ich mich weiter in Gesellschaft und Kirche engagiere, weiss ich noch nicht genau. Ich werde sicher weiterhin Rituale gestalten und an interreligiösen und interkulturellen Begegnungen verschiedenster Art, wenn‘s mich braucht, mitwirken. Ich bin z.B. eine gute Beizerin!“
17. November 2015