Wirbliger Druck- und Kulturunternehmer

Von Hans Beat Achermann (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)

Beni Raebers Erzählung beginnt bei den Möbeln: Wir sitzen am runden Holztisch, den Beni Raeber erstand, als das Bahnhofbuffet dritter Klasse geschlossen wurde. Der Maler Ernst Schurtenberger, der auf dem Weg nach Mailand war,  hatte ihn noch vom Bahnhof aus darauf aufmerksam gemacht. Am langen Esstisch wurde einst im ehemaligen „Löwengarten“ gegessen und getrunken, die Sitzbank und die Stühle standen im alten Kantonalbank-Gebäude. Das Haus ist voller Geschichten: Zu jedem der unzähligen Bilder, die auf allen vier Stockwerken des Hauses am Brandgässli die weissen Wände verschwinden lassen und die Wohnung zu einem bunten Museum machen, gäbe es eine eigene.

Gut im Rechnen, schlecht in Mathi
Der Weg zur Kunst war Beni Raeber - Bernard L. , wie er amtlich heisst - nicht in die Wiege gelegt. Das L. steht für Laurenz und ist nicht nur eine Referenz an den Heiligen Laurentius, sondern auch an den St.-Lorenz-Strom. Beni wurde als fünftes von insgesamt acht Kindern in Luzern geboren. Die drei ältesten Schwestern waren in den USA zur Welt gekommen, wo die Räbers, damals noch mit den zwei Umlautpunkten auf dem a, 15 Jahre lang gelebt hatten.  Vater Bernard wollte, dass der Junior Ingenieur studieren sollte, um später das elterliche Druckunternehmen zu übernehmen. „Ich wurde in die technische Maturarichtung platziert, obwohl ich in Mathematik und Darstellender Geometrie schlecht war. Aber im Rechnen war ich gut.“ Die Matura an der Kantonsschule schaffte er knapp, wie er sagt. Entgegen Vaters ursprünglichem Wunsch studierte er in St. Gallen Betriebswirtschaft und schloss 1964 ab. Seine kritisch-hinterfragende Art ist ein Erbstück der Mutter, älteste Tochter der 1920 von St. Gallen nach New York ausgewanderten Arbeiterfamilie Schneider. Nach dem Studium stieg Beni gleich in die familieneigene Druckerei im Gutenberghof an der Frankenstrasse ein, wollte zusammen mit dem Vater die Druckerei modernisieren.

Beni Raeber steht auf, holt eine metallene Glocke. Diese lag damals beim alten Empfang. „Druckereikunden schlugen darauf, es klingelte, worauf sich ein Fensterchen beim Schalter öffnete und die Sekretärin nach dem Besucherwunsch fragte.“ Der Vater, mit amerikanischen Gepflogenheiten vertraut, und der Sohn, mit St. Galler Managementwissen versehen, wollten das etwas angegraute Image des Unternehmens korrigieren. Es ging nicht alles reibungslos, denn mehrere Räber-Familien waren an der Firma beteiligt, und die Ideen der „Amerikaner-Raeber“ kamen nicht nur gut an. Der Geist des 19. Jahrhunderts  wehte noch überall, denn schliesslich wurde bei Räber fast 90 Jahre lang  das katholisch-konservative „Vaterland“ gedruckt. Die geplante Umgestaltung umfasste auch die Räume: Beni, der schon in St. Gallen Kunst- und Galeriekontakte geknüpft hatte, konnte mit Vaters Unterstützung im Parterre seine Galerie einrichten.

Weltläufig denken, regional handeln
Seine eigenen künstlerischen Ambitionen hatte er schon vorher begraben. „Ich war ein guter Zeichner wie mein Vater und habe sogar mal als Student ein Bild für die Weihnachtsausstellung im Kunstmuseum eingereicht.“ Der damalige Konservator Peter F. Althaus gab ihm durch die Blume zu verstehen, dass es wohl doch nicht ganz reiche für eine Künstlerkarriere. „Das Bild, das eine stilisierte und abstrahierte Frau in Rot darstellte, habe ich dann einmal verbrannt, als wir in Waltwil in der Gemeinde Emmen wohnten.“

Von 1964 bis 1979 fanden in der Galerie Raeber gegen 100 Ausstellungen statt, anfänglich auch mit internationalen Namen, später immer mehr auf die schweizerische und regionale Kunstszene bezogen. „Weltläufig denken, regional handeln, war mein Motto“, erinnert sich Beni Raeber. Die Galerie, die eine schweizweite Ausstrahlung hatte, war Teil des Gesamtunternehmens Raeber, das neben der Druckerei auch die Buchhandlungen sowie einen Verlag umfasste. „Mit über 90 Mitarbeitenden war ich in erster Linie Unternehmer“, sagt Beni Raeber-Anrig. „Mindestens einmal sollte im Text auch der Mädchenname meiner Frau Esther angehängt werden“, wünscht er vom schreibenden Besucher. Mache ich gerne, denn Esther spielte und spielt immer noch eine zentrale Rolle in seinem Leben. In den ersten Ehejahren hielt sie ihm den Rücken frei, als er nach dem Tod des Vaters 1966 mit 27 die Gesamtverantwortung für das Unternehmen übernehmen musste. Sie blieb immer seine erste Ansprechpartnerin, seine Lektorin und erste Leserin und natürlich die Mutter der beiden gemeinsamen Töchter und jetzt die Grossmutter von vier Enkelkindern. Und Esther teilte von Anfang an die Begeisterung für die bildende Kunst.

4000 Seiten Familienchronik
Nach 2001, als die Buchhandlung an Orell-Füssli verkauft wurde (die Druckerei wurde schon zehn Jahre zuvor verkauft), widmete sich Beni Raeber sieben Jahre lang vorwiegend dem Recherchieren für das inzwischen abgeschlossene vierteilige, 175 Jahre umfassende Firmenarchiv, und dem Schreiben. Drei Bücher hat er bereits publiziert, zwei davon betreffen Personen seiner eigenen Familie: „Pfaffenherrschaft und Juristenregiment“, die Lebenserinnerungen von Aloys Räber-Leu, der es bis in den Stadtrat schaffte, und „Im Schatten des Onkels“, die Lebenserinnerungen von Heinrich Räber-Jurt. Das dritte Buch heisst schlicht „Eva“ und ist die umfassende Biografie der gebürtigen deutsch-jüdischen Eva Kohler (1919 bis 2005), die mit dem Luzerner Architekten Heinrich Auf der Maur verheiratet war. Jetzt ist Beni daran, die eigene Familiengeschichte aufzuschreiben, schon 4000 Seiten sind zusammengekommen, in nur sieben Exemplaren für die eigene Familie soll die Chronik erscheinen.

Geschichten verknüpft mit Geschichte: Das prägt das Raebersche Leben. Geschichten von Bildern und Künstlern, Geschichte des technologischen Wandels, Geschichten von Häusern und Umzügen, Kunstgeschichte und Stadtgeschichte. Geschichte hat er auch selber geschrieben, als Präsident der kantonalen Kulturförderungskommission und 1982 als Mitinitiant eines Konzerts „Das andere Luzern“, als im damaligen Konzertsaal des Meili-Baus im 20-Minuten-Rhythmus junge, alternative Musikgruppen auftraten.

Bilderkorrespondenz mit Röbi Wyss
Beni Raeber führt mich noch auf den kleinen Dachgarten. Von der Rigi bis zum Pilatus sieht man die Alpenkette, links das Rathaus mit der Sonnenuhr, die anzeigt, dass am Folgetag Vollmond ist, ennet der Reuss das Theater und die Jesuitenkirche, zu Füssen das Brandgässli. Viel Weitblick über den engen Gassen. Im Treppenhaus hängt ein kleiner Teil des Brief- bzw. Bildwechsels mit dem Grafiker und Illustrator Röbi Wyss. Je über 800 A5 grosse Aquarelle und Collagen haben sich die beiden Freunde während 20 Jahren wöchentlich zugesandt, gezeichnete Geschichten. Überall Bilder: Poliakoff, Dmitrienko, Dahmen, Walker, Egloff, Schärer, Schurtenberger, Schulthess, Suter, Thomkins undsoweiterundsofort, kaum ein Quadratmeter leere Wand. Erinnerungen steigen auch im Besucher auf: ein erster Galeriebesuch anlässlich der Vernissage von Serge Poliakoff 1965 an der Frankenstrasse, mittendrin Beni, schon damals wortgewandt, charmant, wirblig. So ist er immer noch.  Ich bin sicher: Im Kopf tummeln sich noch weitere 1000 Bilder und Geschichten. Beni Raeber – buchstäblich ein Tausendsassa.