Panda trifft Leu

Von Rudolf Wyss

Doch, doch: Ich mag die Chinesen. Sie haben das Papier und das Schiesspulver erfunden. Und den Kompass.

Das ermöglicht ihnen, den Weg als Touristen zu uns zu finden. Und so schwärmen sie in Massen aus in ferne Länder. Statt Maos Kommunismus lehren sie nun den Konsumismus und kaufen westliche Markenartikel von italienischen Schuhen über Halsketten, Handtaschen und Schweizer Uhren hin zu französischen Poloshirts und Parfüms. Die Reiseroute führt denn auch entlang der Konsumstrasse: Rom, Innsbruck, Neuschwanstein, Luzern, Paris. Innerhalb von neun Tagen besuchen sie fünf Länder und  acht Städte. Da muss man doch Verständnis haben, dass sie auch bei einem Kurzaufenthalt in Luzern nicht warten können: Weder bei der Fussgängerampel noch beim Beck mit dem pinkfarbigen Design. Statt anzustehen beeilen sie sich direkt hinter die Kasse zum Brotgestell.  

Leider bleibt auch keine Zeit, freundlich zu sein.  Und das, obwohl wir in diesem Jahr – dem Gästival sei Dank – uns enorm darum bemühen. Das kümmert die Chinesen allerdings kaum. Die Ratschläge ihrer Regierung für gutes Benehmen – „Sei ein guter Tourist, sei ein friedlicher Panda“ – scheint im Ausland nicht so recht zu blühen wie die Mandelbäume in ihrer Heimat.  Zumindest sehe ich kein gegenseitiges Verständnis, wenn der Panda auf den Lozärner Leu trifft.

Trotzdem sollen wir als gute Gastgeber nett bleiben. Und stattdessen von den Drachenkindern lernen. Nicht nur, indem wir ebenfalls nicht mehr anstehen bei der Brotausgabe und unerschrocken bei Rot über den Fussgängerstreifen gehen – vorzugsweise im Bahnhofbereich, damit auch Auto- und Busfahrer etwas davon haben. Auch Chinatown (Bereich Grendel/Schwanenplatz) kann als Trainingsfeld genutzt werden. Da lernt man effektiv ein besseres Durchsetzungsvermögen, was in Zeiten der drohenden Überbevölkerung dereinst von Nutzen sein dürfte.

Nachahmenswert ist auch, den Velostreifen als kluge Alternative zum überfüllten Seequai zu nutzen, um schneller vorwärtszukommen. Das hat zwar Auswirkungen auf die Zählstelle für Velofahrer, da mehr spazierende Asiaten denn Biker erfasst werden. Aber so lange mir niemand erklären kann, was der Sinn dieser Zählung ist, ist das eh egal. Schwerwiegender ist hingegen die Gefahr, dass ein einheimischer Velofahrer von einem Selfie Stab, mit dem sich die Gäste selbst porträtieren, erstochen wird. Das wäre bedauerlich. Einerseits. Anderseits würde sich der Bestand der Velofahrer in der Stadt, welcher sich so massenartig wie die Chinesen verbreitet, wohltuend reduzieren. Und: Es hätte dann auch wieder genügend Veloparkplätze.

Den grössten Vorteil der chinesischen Invasion sehe ich allerdings darin, dass wir unsere Verhaltensmuster der Rücksichtnahme und Freundlichkeit – mit Ausnahme von Morgarten, wo wir vor 700 Jahren die Reisegesellschaft von Herzog Leopold  noch mit faustgrossen Steinen vertrieben – ignorieren dürfen. Und also statt Leu voll auf Panda machen. Dazu gehören: in der Nase bohren, Kaugummi ausspucken, beim Essen schmatzen, laut schimpfen, in Restaurant herumsitzen, ohne etwas zu bestellen, den Preis herunterhandeln, in Verbotszonen rauchen, auf dem WC nicht spülen, in der Warteschlange vordrängeln und kein Trinkgeld geben.*

Fangen wir doch heute noch damit an. Denn je früher umso besser. Die Zahl der zurzeit rund 100 Millionen reisefreudigen Chinesen wird sich in fünf Jahren verdoppeln. Also üben wir schon mal den fröhlichen Willkommensgruss: Huānyíng guāng lín. 

*Auszug aus dem „Leitfaden für wohlerzogene Touristen“ mit Tipps,  was chinesische Gäste im Ausland nicht tun sollten.

9.August 2015

Zur Person
Rudolf Wyss, geboren 1955 in Sarnen, ist Journalist und PR-Berater. Er arbeitete als Medienschaffender unter anderem bei Radio Pilatus als Newschef, bei den LNN als Ressortleiter und war bei TeleTell Realisator und Moderator des Reporttalks „Regiotalk“ sowie Chefredaktor. 2000 gründete er eine eigene Agentur, welche Firmen und Behörden in den Bereichen Medien, Marketing und Kommunikation berät und entsprechende Kampagnen konzipiert und realisiert. Rudolf Wyss lebt mit seiner Lebenspartnerin in Meggen.