Meinrad Buholzer                  Foto Josef Schmidiger

Das anstössige C

Von Meinrad Buholzer

Wenn man lange genug lebt, wiederholen sich sogar die Diskussionen. Mein Einstieg in den Journalismus war 1970 eine Story über die Reform der Katholisch-Konservativen Volkspartei.

Dabei spielte die Luzerner Kantonalpartei eine Vorreiterrolle. Sie änderte den Namen vorerst in Volkspartei (VP). Vom C wollte der damalige Kantonalpräsident nichts wissen – wegen des „bundesdeutschen Beigeschmacks“ (CDU, CSU), wie er mir verriet. Aber die Diät hielt nicht lange; VP war dann doch zu „light“ und nichtssagend. Fortan nannte sich die Partei CVP und fuhr damit, zumindest im Kanton Luzern, bis heute nicht allzu schlecht.

Jetzt wird das C wieder in Frage gestellt. Wenn es die Absicht der Parteiführung war, die Medienpräsenz zu stärken, darf man von einem Erfolg sprechen. Man redet wieder über die CVP. Doch diese Begründung überzeugt mich nicht.

Ein Grund für die Diskussion, entnehme ich den Medien, scheint die Erklärungsbedürftigkeit des C zu sein. Junge Parteimitglieder beklagen sich, dass sie jeweils das C begründen müssen. Es bringt sie offenbar in Erklärungsnotstand. Ein irritierendes Argument, denn ein Ziel von Parteiarbeit ist es doch, mit parteifernen Leuten ins Gespräch zu kommen. Ein Verkaufspsychologe könnte erklären, dass es genau diesen Stein (oder Buchstaben) des Anstosses braucht, um eine Diskussion auszulösen. Nur so kommt man über den eigenen Tellerrand hinaus. Abgesehen davon, dass die eigene Überzeugung im Disput mit Gegnern geschärft wird. Offenbar scheuen diese Leute die Konfrontation und bewegen sich lieber in einer geschützten Komfortzone, die sich mit dem unverbindlichen Verteilen von Flyern und Kugelschreibern, dem Phrasen-Versand per Social Media begnügt und unbequeme Herausforderungen meidet. (Man kennt diese Berührungsangst in anderer Form auch bei der selbstgefälligen Political Correctness, die keine Meinungen ausser der eigenen duldet.) 

Mal angenommen, das C wird fallen gelassen: Wie kann sich diese Partei noch profilieren, Kontur gewinnen? Mittepartei? – „Seufz! – Gähn!“, um die Antwort in der Sprache der Comics zu formulieren. Alles was jetzt so vorgeschlagen wird, tönt nach Schlafmittel und Wischiwaschi, nach einer Partei von Windfahnen und Wendehälsen. Man stelle sich vor, die SP würde das S fallen lassen, die FDP das F und die Grünen das G – nur weil sie es jeweils erklären müssen! Ein Einheitsbrei ohne jeglichen Nährwert wäre die Folge (die Kommunikationsagenturen aber würden aufblühen, weil sie die inhaltliche Leere mit hochgestochenem, verbalem Geschwurbel kompensieren müssten). Und bald hätte man Grund, die –zigste Arbeitsgruppe einzusetzen, um herauszufinden, warum der politische Betrieb beim Bürger so wenig Anklang (Stimmbeteiligung!) findet.

Was aber geschieht – und das ist vielleicht folgenreicher – mit den Wählern, die  nach der Amputation des C ihre politische Heimat verlieren? Ich nehme an, die SVP würde sich ins Fäustchen lachen, das „christliche Abendland“ noch etwas stärker betonen und die abwandernden Schafe herzlich willkommen heissen. Auch die Möglichkeit, dass sich neue, fundamentalistische Gruppierungen am rechten Rand bilden, ist nicht von der Hand zu weisen. 

PS: Erstaunlich bleibt, dass diese Diskussion unter der Präsidentschaft von Gerhard Pfister stattfindet, den man resistent wähnte gegenüber weltanschaulicher Erosion. Später, wenn die Partei endgültig in der Bedeutungslosigkeit angelangt ist, wird der eine oder andere vielleicht bedauern, dass dieser Mann nicht in dem Metier gelandet ist, das seiner intellektuellen Brillanz am besten entspricht: der Literaturkritik. (Auch die hockt freilich, wenn man sich so umsieht, auf einem angesägten Ast.)
1. März 2020

meinrad.buholzer@luzern60plus.ch

Zur Person:
Meinrad Buholzer, Jahrgang 1947, aufgewachsen in Meggen und Kriens, arbeitete nach der Lehre als Verwaltungsangestellter auf Gemeindekanzleien, danach als freier Journalist für die Luzerner Neuesten Nachrichten LNN. 1975 bis 2012 leitete er die Regionalredaktion Zentralschweiz der Schweizerischen Depeschenagentur SDA. Einen Namen machte er sich auch als profunder journalistischer Kenner der Jazzszene. 2014 erschien sein Rückblick aufs Berufsleben unter dem Titel «Das Geschäft mit den Nachrichten - der verborgene Reiz des Agenturjournalismus» im Luzerner Verlag Pro Libro.