Schwarzer Veston, weisses Hemd, diesen Sommer Strohhut, gelbes Velo: Hans Stutz.

Wachsam und kritisch

Seit Montag, 19. Juni 2023, ist er nicht mehr Kantonsrat: Hans Stutz (71), grüner Politiker und als Journalist Beobachter der rechtsextremen Szene, wurde Anfang April bei den Wahlen nicht wiedergewählt. «Meine Chancen, nicht mehr gewählt zu werden, sind intakt», sagte er schon vor dem Wahltag. Mehr als zwanzig Jahre wirkte er mit in der Luzerner Politik.

Von René Regenass (Text und Bilder)

Sein Auftritt ist unverkennbar, für viele in der Stadt: Schwarzer Veston – weisses Hemd – schwarzer Hut – gelbes Velo = Hans Stutz. So begegnet er mir fast jeden Samstagmorgen auf dem Markt auf dem Helvetiaplatz, den es erst seit rund 20 Jahren gibt. Heute fast unvorstellbar: Es brauchte eine Volksabstimmung, um den Platz vom Autoverkehr frei zu kriegen. Er besucht diesen Markt seit Bestehen.

Beim Porträtgespräch, das wir vereinbart haben – im Helvetia-Garten natürlich – kommt der Journalist und Politiker Hans Stutz mit einem Sommerstrohhut daher, fast neu, wie mir scheint. «Ja, diesen Sommer trage ich Strohhut», sagt er.

Hans Stutz ist für mich der aufmerksame und detailliert recherchierende Beobachter der rechtsextremen Szene in der Schweiz. Politisch gehört er zu den Alt-Achtundsechzigern. «Ja, ich bin der letzte dieser Generation, der in Luzern noch in der institutionalisierten Politik aktiv ist», sagt er. «Parteipolitik war lange nicht mein Ding», fügt er an, auch wenn er um 1980 wenige Jahre Mitglied der Revolutionären Marxisten Liga (RML) gewesen sei. Als Parteiloser habe er in den 1990er-Jahre auf der Liste des Grünen Bündnis zweimal erfolglos für den Grossen Stadtrat kandidiert. Nach den Wahlen 2000 sei er nachgerückt. «Als ich mit 48 Jahren als Parlamentarier anfing, kam Ruedi Meier bereits in der Stadtregierung an».

In Aesch auf einem Bauernhöfli aufgewachsen
«Ich gehöre zu jenem Teil meiner Generation, die kurz nach 1968 begann, politisch zu denken und wirken und sich links von der damals harmlosen und braven Sozialdemokratie einordnete.» Das war der eine Grund. Der andere liegt in seiner Herkunft. Aufgewachsen in einem bäuerlichen Umfeld, in Aesch im unteren Seetal an der Grenze zum Aargau auf einem Bauernhöfli. Der Vater war Schuhmacher und Kleinbauer mit ein paar Kühen und Schweinen. Er hatte keinen Traktor, die Kühe zogen den Karren vom Feld, halfen das Heu heimbringen. Der Vater starb, als «das Burebübli» siebenjährig war. «Bis 1967 kam ich fast nie aus dem Dorf hinaus. Dann musste ich als 15-Jähriger in die Kantonsschule nach Luzern, obwohl ich dies nicht wollte. Ich war noch nie in der Stadt unterwegs gewesen». Er war Teil der «Bildungsreserve», dem durch den Abbau von Zugangshindernissen ein direkter Maturaabschluss möglich wurde.

Man hat ihn also aus seiner dörflichen Umgebung in ein Bildungsmilieu gezwungen. Zudem: Die Stadt war für «ein katholisch-konservativ getrimmtes Landei» zuerst eine Art Sündenpfuhl. «Hat mir aber bald gefallen. Von solchen Erfahrungen berichten viele 68er.» Die vielen gesellschaftlichen Liberalisierungen sieht er denn auch als Erfolg der 1968er-Generation. «Auch wenn heute viele Rechtsbürgerliche sie wieder rückgängig machen möchten. Sie werden bleiben, nicht nur in den Städten.»

Die soziale Gerechtigkeit als Massstab
Grüne Politik – was sind für Hans Stutz zentrale Anliegen? «Für mich war und ist zentral: Wir leben in einer kapitalistischen Klassengesellschaft. Jeder Entscheid, der gefällt wird, im Parlament oder sonst wo in der Politik, muss man unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit angehen. «Auch wenn es seit den 1980er-Jahre kein politikfähiges Modell mehr gibt, wie sich der Kapitalismus überwinden lässt.»

Die Daten: Hans Stutz war elf Jahre im Grossen Stadtrat, von 2000 bis 2011, dann im Kantonsrat bis zur Nichtwiederwahl von Anfang April 2023. Bei der internen Verabschiedung durch den Kantonsratspräsidenten hätte er als Geschenk eine Medaille erhalten, Replik eines Prunksiegels aus dem Jahre 1386, das heisst aus feudaler Zeit. Hans Stutz lehnte ab, mit der Begründung, dass er in einer Gemeinde aufgewachsen sei, die bis 1798 Untertanengebietet war. «Dieses Signal war mir wichtig. Der Kanton Luzern, seit 1848 dominiert von den Katholisch-Konservativen, ist noch immer ein Staatsgebilde, das die heute gängigen Vorstellungen eines demokratischen Staates in seinen Strukturen nur beschränkt umgesetzt hat. Zum Beispiel bei der gegenseitigen Kontrolle der Gewalten.»

Als Beleg erzählt er eine kleine Begebenheit: «Zwei Tage nach den Wahlen wurde mir berichtet, man habe sich bei der Staatsanwaltschaft über meine Nichtwiederwahl gefreut.» Für die nächstwe Kantonsratssession ist eine Motion traktandiert, die die Einsetzung ausserordentlicher ausserkantonaler Strafverfolgungsbehörden will: bei Strafuntersuchungen gegen Mitglieder des Kantonsrates, kantonalen Magistratspersonen sowie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Oberstaatsanwaltschaft und der Staatsanwaltschaft. «Die Antwort ist oberflächlich. Staatsanwaltschaft und Regierung behaupten einfach, die bisherige Regelung habe sich bewährt.»

Niederlagen als tägliches Brot
Wie ging Hans Stutz mit der Abwahl aus dem Kantonsparlament um? «Ich sagte schon vor dem Wahltag: Meine Chancen nicht wieder gewählt zu werden, sind intakt.» Dies aus zwei Gründen: Für die Grünen war erstens ein Sitzgewinn in der Stadt sehr unwahrscheinlich und zweitens war absehbar, dass die Regierungsratskandidatin Christa Wenger auch als Kantonsrätin viele Stimmen machen und damit einen Bisherigen verdrängen würde. Das Resultat hat seinen Abschied von der Politik nur um wenige Monate beschleunigt. Bei einer Wiederwahl wäre er Anfang kommenden Jahres zurückgetreten. «Diesen Entscheid habe ich der Fraktion bereits lange vor den Wahlen mitgeteilt.»

Das Erlebte als Politiker: Gibt es Erfolge oder das Gegenteil, die in Erinnerung geblieben sind? Er lacht: «Für Grüne und Rote sind Niederlagen im Kanton so etwas wie tägliches Brot.». Aber eben nicht immer. Hans Stutz: «Der letzte Erfolg hat eine anekdotische Schlagseite. Das erfolgreiche Referendum gegen die Kantonsgelder für den Kasernenbau der päpstlichen Schweizergarde. Politisch unbedeutend, aber er ist für mich ein Beleg: Auch der Kanton Luzern ist moderner als es sich viele Bürgerliche wünschen.» Und weiter? «Dann führten meine Vorstösse zu der vom Kanton unterstützten ‹Moskau-Reisli› von zwei Regierungs- und einem Stadtrat (alle CVP) zu mehr Transparenz beim Lotteriefonds. Am Anfang sogar gegen Widerstand aus der eigenen Fraktion.» Und vor vielen Jahren wurde auf sein Beharren das Öffentlichkeitsprinzip für städtische Parlamentarierinnen und Parlamentarier festgeschrieben, gegen den Widerstand der beiden Juristen in der Stadtkanzlei. Ein anderes Thema war die städtische Finanzkontrolle, die nicht so funktionierte, wie gesetzlich vorgesehen. «Es ärgert mich noch heute, dass es so lange dauerte bis ich den Missstand benennen konnte.»

Irgendwann wieder ein «Textli»
Jetzt hat Hans Stutz Freiraum, viel Freiraum. Wie nutzt er ihn? «Ich führte viele Jahre lang ein einfaches Leben. «Freie Journalisten sind nicht auf Rosen gebettet, und das Geschäftsmodell der Printmedien zerfällt seit vielen Jahren.» Die Folge: Er sollte als zitierter Experte gratis redaktionellen Inhalt liefern.

Etwas hat sich für ihn geändert: «Seit zwei Jahren kann ich mir mehr leisten.» Nun sei der Produktionszwang weg und er viel auf Reisen. Aber noch immer betreibt er sein Büro. Und dann sagt er beiläufig, irgendwann werde wieder ein «Textli» erscheinen. Diese «Textli» sind dann jeweils minutiös und aufwendig recherchierte Artikel für bekannte Zeitungen oder Fachblätter.