Birgit Aufterbeck Sieber. Bild: Joseph Schmidiger

Das Hirn denkt, der Computer rechnet

Von Birgit Aufterbeck Sieber

Ein geflügeltes Wort ist mitunter auch eine Zahl. Eine grosse 42 zum Beispiel zierte meinen Oberstufen-Schulranzen und die Zahl entstammt dem legendären BBC-Hörspiel «Per Anhalter durch die Galaxis», 1978 von Douglas Adams geschrieben. Darin berechnet der Supercomputer Deep Thought die «endgültige Frage nach dem Leben, dem Universum und den ganzen Rest». Seine Antwort: eben 42. Der Scherz des Autors wurde für uns damals Kult und machte Deep Thought zum Urgrossvater der künstlichen Intelligenz.

Superintelligente Maschinen als Science Fiction abzutun sei zwar verführerisch, doch es sei der schlimmste Fehler, den wir begehen können, warnte der britische Astrophysiker Stephen Hawking 2018 in seinem Buch «Kurze Antworten auf grosse Fragen». Computer würden in absehbarer Zeit die Menschen an Intelligenz überholen. Und wir müssten bis dahin die Weichen gestellt haben. Wie steht es also heute um die Urenkel von Deep Thought?

Während dieser Computer-Dinosaurier noch 7,5 Millionen Jahre Rechenzeit benötigte für seine schräge Antwort, kann sich das heute im Silicon Valley niemand leisten. Hier läuft die Entwicklung von KI – oder Artificial Intelligence –seit Jahren auf Hochtouren. Alle 18 Monate verdoppelt sich die Zahl der elektronischen Bauelemente auf der Chip-Fläche, besagt eine Faustregel, und damit die Rechenleistung. Wer denken will, braucht Hirn. Und KI benötigt riesige Computerkapazitäten.

Der heute schnellste Supercomputer der Welt heisst DJX. Er leistet dermassen viel mehr, dass sein Erbauer, das Unternehmen Nvidia, über Nacht mit atemberaubenden zwei Billionen US-Dollar an die Spitze der weltweiten Börsenbewertung katapultiert wurde. Gigantische Summen werden in diese junge Industrie gepumpt. Silicon Valley spricht vom Chip-Rausch, erinnernd an den Goldrausch früherer Zeit.

Wir Normalmenschen haben uns ebenfalls an die Vorstellung herangetastet, dass wir mit nicht-menschlichen Systemen brauchbar kommunizieren können. Als vor rund zwei Jahren das KI-Sprachmodell Chat GPT entdeckt wurde, brach die Plattform zwischenzeitlich zusammen. Die Nachfrage war riesig und die Überraschung gross: Die Ergebnisse waren mitunter besser als uns lieb war. Ein Bewerbungsschreiben, eine kurze Ansprache, gar ein Liebesbrief – tadellos. Anders als bei Suchmaschinen müssen wir richtige Fragen stellen, nicht nur Begriffe eingeben. Und wir können nachfragen. Das kommt einem interessanten Gespräch schon ziemlich nahe. Auch wenn Grafikprogramme noch wenig Inspirierendes liefern und manchmal Informationen wild vermischt werden: Wir erleben persönlich die Technologie, die unsere Welt verändern wird.

Es gibt auch bei KI schlau und noch schlauer. Was wir kennengelernt haben, zählt zur ersten Stufe künstlicher Intelligenz, der Artificial Narrow Intelligence (ANI). Chat GPT, Sprachassistenten oder ein Schachcomputer können bestimmte Aufgaben sehr gut, vielleicht besser als der Mensch. Mehr nicht. Sie müssen immer wieder neu programmiert werden.

Kognitive Fähigkeiten, die dem menschlichen Denken ähneln, hat erst die nächste Stufe, Artificial General Intelligence (AGI). Sie kann Erlerntes anwenden, die eigene Leistung beurteilen, daraus wiederum lernen und bei unüberwindbaren Problemen um Hilfe bitten. Jensen Huang, Gründer und CEO von Nvidia, schätzt forsch, dass diese Technologie in zehn Jahren so weit sei. Andere sind da skeptischer. Aber bevor es so weit ist, so wieder Stephen Hawking, müssen wir sicherstellen, dass diese Computer Ziele verfolgen, die auf einer Linie mit den unseren liegen. «Ich habe Angst vor den Folgen, die es haben könnte, wenn wir etwas schaffen, das dem Menschen ebenbürtig oder ihm sogar überlegen ist. Stellen wir uns ein Wettrüsten autonomer Waffensysteme vor, die selbständig ihre Ziele auswählen und eliminieren.» So weit entfernt klingt das leider nicht. Wir müssen einfordern, mögliche gesellschaftliche Risiken abzuwägen.

In dieser Haltung hat das Europäische Parlament kürzlich ein Gesetz über KI verabschiedet, das erste der Welt. Dieses teilt KI-Systeme in Risikogruppen ein und stellt für die einzelnen Gruppen Regeln auf. Je höher das Risiko, desto strenger. Und es fordert Transparenz: Es muss stets klar sein, ob man mit einem KI-System kommuniziert oder mit einem Menschen. Das ist vorbildlich, auch für unsere Gesetzgebung.

Was können wir weiter tun? Behalten wir die Entwicklung fest im Auge. Sie wird uns und die kommenden Generationen stark verändern. Doch niemand hindert uns daran, weiterhin selbst zu denken. Nutzen wir unser Hirn und unsere menschliche Intelligenz und bleiben wir stolz darauf. In allem übrigen gilt: 42.

Die Autorin hat keine KI verwendet.

19. März 2024 – birgit.aufterbeck@luzern60plus.ch


Zur Person
Birgit Aufterbeck Sieber, 1968 geboren, ist bei Düsseldorf aufgewachsen. Sie studierte Geschichte, politische Wissenschaften und Kunstgeschichte in Bonn und lebt seit 1999 in Luzern. Neben vielen Tätigkeiten in Wirtschaft und Medien war sie von 2015 bis 2023 Präsidentin der Stiftung Luzerner Theater. Sie setzt sich weiterhin für eine neue Theaterinfrastruktur in einer vielseitigen Kulturstadt ein.