Ruedi Meier:„Der soziale Ausgleich ist mir wichtig“

 „Ich mache mir Sorgen um den finanziellen Spielraum der Stadtgemeinde“, sagt Ruedi Meier, der abtretende Sozialdirektor der Stadt Luzern. Die Finanzpolitik der letzten Jahre mit den Steuersenkungen wirke sich auf die Stadt negativ aus.

12 Jahre Stadtrat, 12 Jahre Exekutivpolitik als Sozialdirektor in einer Zeit von partei- und wenig sachpolitisch angestrengten Steuersenkungen, da kann man sich mitunter am falschen Ort vorkommen. Bei Ruedi Meier war dies nach aussen nicht spürbar. Jammern war nicht sein Stil. Er verfolgte seinen Weg, indem er mit Beharrlichkeit Lösungen suchte, um sozial Benachteiligten helfen zu können.

Ruedi Meier versucht das Ganze zu sehen. Der finanzpolitische Druck habe generell zu genommen, sagt er. „Was heute dominiert, ist häufig die polemische Frage: „Ist dies nötig?“ Doch gerade im sogenannt „Unnötigen“, im „nice to have“-Argument, sind oft ganz wichtige, zukunftsweisende Projekte versteckt. Da habe ich schon etwas Angst.“ Es sei zu befürchten, dass die Stadt Luzern ihre innovative Rolle einbüsse, auch jene als Beispielgeberin in der Region. Folgen davon wären, dass soziale Angebote – aber nicht nur in diesem Bereich – reduziert werden müssten oder nicht weiter entwickelt werden könnten. Zum Beispiel das jetzt geplante Pflege- und Betreuungsangebot für ältere Menschen, die illegale Drogen konsumieren. „So etwas wird nicht  mehr möglich sein, wenn die Stadt finanziell nicht über etwas Handlungsspielraum verfügt.“

Sind generell Auswirkungen im Sektor „Alter“ zu erwarten? Ruedi Meier sieht zwei Ansatzpunkte. „Der Druck bei den Pflegekosten kann auf die Qualität durchschlagen. Das hiesse dann, weniger Fachpersonal einsetzen. Der Personalschlüssel Fachpersonal-Assistenzpersonal würde diskutiert werden müssen. Zudem sind auch negative Folgen in der Ausbildung möglich, weil diese Kosten verursacht.“ Ist das noch verantwortbar? Im Nachtdienst in den Heimen ist die Pflege heute schon manchmal überfordert. Ruedi Meier dazu: „Ich weiss es. Aus meiner Sicht laufen wir heute schon am Limit. Wer heute die Pflegekosten kritisiert, skandalisiert muss man fast sagen, kennt die Wirklichkeit nicht.“ Das sind die direkten Auswirkungen der Finanzpolitik auf das Alter, und zwar auf jene über 80 Jahre, die  vor allem Pflege benötigen.

Staat muss Initiativfunktion wahrnehmen
Als zweiten Ansatz erwähnt Ruedi Meier das in der Stadt neu entwickelte Projekt „Altern in Luzern“. „Das möchten wir umsetzen. Es geht um die wachsende Bevölkerungsgruppe 60plus, nicht jene, die Pflege brauchen, sondern die aktiven Alten, die wir ansprechen und stärker in die Gesellschaft integrieren möchten. Dafür mussten wir die bescheidenen finanziellen Mittel geradezu zusammenkratzen.“ Hier wird Ruedi Meier grundsätzlich: „Wenn der Staat will, dass die Zivilgesellschaft sich aktiv beteiligt, dann muss er eine gewisse  Initiativfunktion übernehmen, verbunden mit einer Begleit- und Wertschätzungsfunktion. Das kostet halt etwas.“

Schliesslich erinnert der abtretende Sozialdirektor auch an die ambulante Pflege. Diese ist in der Bevölkerung sehr erwünscht. „Hier warten noch Aufgaben“, sagt Ruedi Meier. Dabei gehe es nicht nur um den Betagtensektor, sondern auch um jüngere Leute und die Bedürfnisse nach dem Spitalaustritt. „Das ist volkswirtschaftlich eigentlich sinnvoll. Wir müssen dafür ambulante Strukturen bereitstellen. Die Angebote der Spitex sind gut, aber auch diese laufen häufig am Limit und sind in der Entwicklung eingeschränkt.“

Mit Sozialhilfe kein Luxus möglich
Innerhalb der Sozialdirektion gibt es nicht nur das Thema „Alter“, sondern auch die sozialen Dienste. Wie sieht Ruedi Meier die Zukunft hier? Im Vordergrund stehe die Sorge um den Arbeitsmarkt. Die Ausbildung stimme in vielen Fällen nicht mehr mit den Vorstellungen des Arbeitsmarktes überein. „Und es gibt Leute, welche mit den hohen Anforderungen schlicht nicht mehr zurechtkommen. Das heisst, es wird immer schwieriger, solche Menschen in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Wenn dann zum Beispiel die Invalidenversicherung nicht mehr in der Lage ist, solchen Leuten zu helfen, dann bleibt als letztes Glied wieder die Gemeinde.“ Dieser Kostenblock bleibe also bestehen. „Die Menschen, die Sozialhilfe beziehen, leben keineswegs im Luxus. Das Existenzminimum der Leute mit Sozialhilfe ist massiv tiefer als jenes der Alten mit AHV und Ergänzungsleistungen.“

Ruedi Meier sagt, man müsse die Politik der Stadtgemeinde auch im Zusammenhang der Finanzpolitik des Kantons sehen. „Diese ist aus meiner Sicht in den letzten Jahren aus dem Ruder gelaufen. Und zwar nicht auf der Ausgabenseite, sondern bei den durch Steuersenkungen reduzierten Einnahmen. Das spüren vor allem die Gemeinden.“

„Mein Weltbild hat sich nicht verändert“
Das Engagement von Ruedi Meier als Sozialdirektor hat wesentlich mit seiner politischen Überzeugung zu tun. Sie basiert auf einer links-grünen Grundhaltung und dem entsprechenden Weltbild. Hat sich im Lauf der Jahre und der politischen Arbeit etwas verändert daran? Ruedi Meier sieht zwei Bereiche. „Im Stadtrat habe ich eine ganz andere politische Aufgabe denn als Einzelperson, als Gewerkschafter oder als Parteivertreter im Parlament. Dazu kommt die Verschiebung durch das Alter. Mit 60 stehe ich jetzt vor dem letzten Drittel meiner Lebensphase, auf die beiden ersten schaue ich zurück. Als ich mit 48 in den Stadtrat gewählt worden bin, war die Situation eine andere.“

Das Weltbild habe sich in den Grundzügen nicht verändert, sagt Ruedi Meier. „Der soziale Ausgleich ist mir wichtig. Die soziale Marktwirtschaft bleibt das Zukunfts- und Erfolgsmodell, nicht der Neoliberalismus. Wir brauchen einen Staat, der Leitplanken setzt und steuern kann. Die Aktualität liefert den Beweis: die Nationalbank zum Beispiel oder die Bankenrettung. Das kann ein schwacher Staat nicht mehr leisten. Sozialer Ausgleich heisst auch, dass ein starker Staat umverteilen muss. Davon profitieren letztlich alle. Dahinter stehe ich mehr denn je. Das schliesst Marktmechanismen in gewissen Bereichen nicht aus. Das haben wir in der Stadt bei der Kinderbetreuung so gemacht.“

Und die grüne Politik? Ruedi Meier: „Es brauchte eine Riesenkatastrophe, um den Ausstieg aus der Atomenergie zu beschliessen. Das kostet etwas, und da müssen wir jetzt einfach durch. Die notwendigen Investitionen bringen Arbeitsplätze. Als älterer Mensch ist mir wichtig, dass wir unsern Kindern eine Gesellschaft „übergeben“, die sich langsam auf den ökologischen Weg macht. Der Staat hat das Recht, dafür die Mittel zu beschaffen, zum Beispiel über Lenkungsabgaben.“

In einer Art Resümee sagt Ruedi Meier, er sei im Grund optimistisch eingestellt. Ich bin vor mehr als vierzig Jahren politisch angetreten und habe mich zur Revolution bekannt. Und ich bin immer noch dafür, dass wir eine sozial ausgerichtete Gesellschaft schaffen. In diesem Feld sind meine Revolutionsvorstellungen gleich geblieben. Wir haben viele junge Leute, die etwas wollen in dieser Richtung, die den Ausgleich zwischen oben und unten suchen.“ – Auch wenn Ruedi Meier jetzt eine politisch führende Funktion innerhalb der Stadtregierung aufgibt, wird er ausreichend Gelegenheit haben, sich für eine Gesellschaft einzusetzen, die soziale Verantwortung wahrnimmt. Von dieser Aufgabe kann man eigentlich gar nicht zurücktreten.
René Regenass / 23. August 2012