Was ist richtig, was ist falsch? Der Umgang mit den eigenen betagten Eltern ist für beide Generationen eine Herausforderung. Bild: pixaby

Rollentausch: Wenn die eigenen Eltern Begleitung brauchen

Den eigenen alten Eltern einen würdigen Lebensabend zu ermöglichen, lässt sich nicht immer einfach gestalten. Ungebrochen ist immerhin der Wille, das Richtige zu tun. Eva Holz hat zum Rollentausch recherchiert und berichtet in einer dreiteiligen Serie über die vielfältigen Optionen. Teil 1 der Serie «Wenn die eigenen Eltern älter werden».  

Von Eva Holz

Es trägt sich in vielen Fällen ähnlich zu: Die Eltern bauen körperlich oder geistig ab und es folgt der Moment, in dem wichtige Fragen anstehen. Geht es weiter in den eigenen vier Wänden? Wenn ja, mit welcher Unterstützung? Was möchten die alten Eltern am liebsten? Was bevorzugen die Kinder? Was für die eine auf Anhieb Sinn macht, stimmt für den andern überhaupt nicht. Rechtzeitig darüber reden, hiesse eigentlich die einfache Formel, doch «so gut wie alle Familien verpassen den richtigen Zeitpunkt», schreibt Maren Keller in «Spiegel Wissen». Warum diese Verdrängung? «Das Altwerden der Eltern kann Familienhierarchien ausser Kraft setzen, Wunden aufreissen, Ängste auslösen», so Keller in ihrem Bericht.

«Über diese Themen können wir uns dann später einmal unterhalten»: Ein bekannter Satz aus dem Mund von Rentnerinnen und Rentnern im höheren Alter. Auch bei meiner eigenen verwitweten Mutter war es so. Obwohl bereits 90 und in einigen Belangen nicht mehr selbständig, konnte sie sich nicht mit einschneidenden organisatorischen Veränderungen anfreunden. Gut gelaunt begleitete sie zwar meinen Bruder bei der Besichtigung von Alterseinrichtungen, um dann festzustellen, dass diese «wunderschön, aber nichts für mich» seien. Die Idee, eine externe Pflegekraft anzustellen, behagte ihr ebenfalls wenig, da sie nicht gerne «dauernd fremde Leute in der Wohnung haben» wollte.

Verschiedene Formen der Begleitung
Natürlich kam mir in den Sinn, dass die Eltern meiner Mutter vor über 80 Jahren die gebrechliche Grossmutter väterlicherseits in die eigene Wohnung aufgenommen hatten, und es ploppte in meiner Vorstellung ein Idyll des unkomplizierten, grossfamiliären Zusammenlebens auf, gepaart mit dem Aufschrei einer befreundeten Südamerikanerin: «Was, bei euch in der Schweiz verbannt man die eigenen Eltern ins Heim?!» Ich hatte meine Mama nie gefragt, ob sie zu uns zügeln möchte. Aber ich bin mir noch heute zu 99 Prozent sicher, dass sie das abgewehrt hätte.

Eine andere, vielleicht ideale Variante, wäre das Zusammenleben in nahen, aber getrennten vier Wänden. So, wie es für Bauernfamilien mit Hauptwohnhaus und Stöckli üblich war. Auch einige Städter haben das Glück und den Willen, generationenübergreifend unter demselben Dach zu leben – inklusive Abgrenzung (dazu die Schilderungen einer Luzernerin in Teil 3). Immer beliebter wird die Beschäftigung einer ausländischen Pflegekraft, die rund um die Uhr für die Betagten sorgt und auch bei diesen wohnt. In der Schweiz gibt es mittlerweile verschiedene Anbieter.

Daneben ist folgende Lösung populär: Die alten Eltern ziehen Spitex und Mahlzeitendienst oder privaten Support zu und die Kinder unterstützen nebenbei, wo sie können. Dabei geraten letztere oftmals an die Grenzen der Belastbarkeit. Bei aller Zuneigung zu den Eltern sollten sich laut Familientherapeutin Birgit Lambers erwachsene Kinder überlegen: Was bin ich bereit zu geben? Würde ich meine Eltern sogar waschen? Und: «Denken Sie daran, es geht hier in der Regel nicht um ein oder zwei Jahre, sondern um mehr als acht!» (mehr über Ansprüche und Belastungen im Interview mit dem Gerontologen Beat Bühlmann in Teil 2).

Das Heim: Ungewollt die letzte Station
Aus verschiedenen und verständlichen Gründen entscheiden sich heute nur wenige Menschen bei noch stabiler Gesundheit für den Übertritt ins Altersheim. Meist muss erst «etwas passieren», zum Beispiel ein folgenschwerer Sturz, damit die Würfel in diese Richtung fallen. Unter Zeitdruck und weil die Eltern auf einmal nicht mehr urteilsfähig sind, müssen Kinder oftmals über den Kopf von Mutter oder Vater hinweg einen Heimplatz organisieren. Mit Nachteilen: «Wir haben es immer wieder erlebt, dass Menschen, die nicht mitentscheiden konnten, es schwerer haben, sich im Heim je wohl zu fühlen», erzählt der ehemalige Heimleiter Heinz Koch aus Steffisburg.

Meine Mutter hatte mit 92 daheim einen erheblichen Schwächeanfall erlitten und kam während eines zehntägigen Aufenthalts im Spital nur mehr oder weniger wieder auf die Beine. Der Zwischenfall hatte zudem einen spürbaren Demenzschub zur Folge. Uns Kindern schien der Pflegeplatz in einem kleinen, schönen Heim die richtige Lösung. Dort verbrachte sie ihr letztes, geruhsames Lebensjahr.

Was zählt schliesslich, wenn die eigenen Eltern alt werden? Dass Mutter und Vater liebevoll begleitet und gepflegt werden, wer immer diese Aufgabe übernimmt. Dass niemand dabei auf der Strecke bleibt. Dass die Hochbetagten bis zuletzt Zuneigung spüren und solche erwidern können. Wundervoll, wenn zwischendurch auch noch zusammen gelacht werden kann.

Teil 2: «Es bedeutet viel, wenn die Kinder den alten Eltern mit Empathie begegnen»

Teil 3: Alt und Jung im gleichen Haus: Ein Geben und Nehmen

13. Juli 2022 – eva.holz@luzern60plus.ch

Diese Artikelreihe ist zuerst im Magazin «active&live» erschienen.