Reusspark und Dammgärtli gemäss dem städtischen Entwicklungskonzept Basel- und Bernstrasse.

«80 plus» bei den Reussinselhäuschen

Die Luzerner Stadtplanung hat im St.-Karli-Quartier einiges vor: Ein Entwicklungskonzept sieht vor, die Genossenschaftshäuser am südlichen Brückenkopf der St. Karlibrücke abzubrechen und dort einen Reusspark und einen Quartierplatz Dammgärtli zu errichten.

Von Urs Häner, Verein UntergRundgang

Dieser Beitrag spannt den Bogen von 1943 bis 2023, er könnte also sowohl in der Rubrik «Damals» untergebracht werden als auch bei «Aktuell». Mitten im Zweiten Weltkrieg ergriffen nämlich einige Quartierbewohner die Initiative zur Schaffung von neuem Wohnraum, und jetzt erleben wir unter veränderten Bedingungen die Initiative zur Schaffung von neuem Freiraum im Untergrundquartier.

Damals im Krieg
Die Jahre des Zweiten Weltkriegs brachten zahlreiche wirtschaftliche Probleme und Engpässe mit sich, unter anderem war Wohnraum knapp. Deshalb beschloss im Juni 1942 der Bundesrat Massnahmen zur Milderung der Wohnungsnot. Das brachte ein paar «liberale Bürger des Untergrunds» auf den Gedanken, auf der Basis solcher Förderung Häuser zu erstellen und zwar im Baurecht. Im Januar 1943 hatten zwei Architekten ein Musterhaus entwickelt und parallel dazu wurde eine Landparzelle bei der Reussinsel, wo sich bisher ein unschönes Eisen- und Materiallager befand, zur Bebauung freigegeben.

Gesagt, getan: Am 25. Februar 1943 wurde im damaligen Restaurant Steinbruch die Gründungsversammlung der Baugenossenschaft Reussinsel abgehalten, die eine rasche Überbauung der Parzelle anpacken wollte. Bereits am 18. März 1943 – aus heutiger Sicht kann man nur staunen ob solcher Geschwindigkeit – hiess der Luzerner Stadtrat das Gesuch zur Förderung der Wohnungsbauten gut. Angestrebt wurde ein langjähriges Baurecht, übrigens das allererste auf dem Platz Luzern. Zunächst wurden 50 Jahre angepeilt, man einigte sich dann aber auf 40 Jahre. Und schon im Mai wurde der Baurechtsvertrag unterzeichnet und die 12 Genossenschafter waren gefunden.

Dann ging es Schlag auf Schlag, und bald war im «Luzerner Tagblatt» zu lesen, dass «in der Zeit von vier Monaten und acht Tagen» ein Bauwerk entstand, das sich sehen liess. Am 11./12. September konnte die Öffentlichkeit samstags einen Augenschein nehmen, auch Stapi Wey schaute vorbei. Und sonntags wurde die Wohnkolonie feierlich eröffnet, auch wenn lakonisch vermerkt wurde: «(...) erwies sich dieser oder jener Anstrich als noch zu frisch und darum ‹kopierbar› am eigenen Gewande.»

Festschrift zum 40-Jahr-Jubiläum
Die Jahre zogen ins Land und 1983 verfasste Harry Bühlmann zum 40. Geburtstag der Baugenossenschaft – da kam der Sentitreff grad erst auf die Welt – eine kleine Festschrift. 1968 waren die Häuser, die anfänglich der Dammstrasse zugerechnet wurden, in Reussinsel 2-24 umgetauft worden, 1973 wurde die Abwasserreinigungsanlage erstellt und 1977 die Stützmauer zur Reuss erneuert. Stolz wird in der Festschrift vermerkt, dass die Baugenossenschaft 1980 sämtliche öffentlichen Gelder zurückbezahlt hatte, und es wird der «Reussinselgeist» gerühmt. Was aber einzelne Genossenschafter nicht daran hinderte, ihre Häuschen als Eigenheim zu interpretieren – und zu verkaufen. Da musste die Stadt dann intervenieren und die Rückkehr zum baurechtskonformen Status einfordern. Aber der Baurechtsvertrag wurde mehrmals um weitere Jahrzehnte verlängert.

Das Ende ist absehbar
Und das führt uns nun in den Bereich der Aktualität. Wie der jetzige Präsident der Baugenossenschaft Reussinsel, Roger Gaillard, darlegt, hätten sie sich frühzeitig um eine nochmalige Verlängerung des Baurechts über 2023 hinaus bemüht. «Weil Investitionen anstanden, hätten wir einen längerfristigen Vertrag benötigt, zum Beispiel für 30 Jahre.» Die Stadt hat aber andere Pläne. Verdichtung ist das Zauberwort, ausserdem ist ein wichtiges Argument gegen eine Fortführung, dass die überregionale Velo- und Wanderroute der Reuss entlang ihren Platz einfordert. «Aber die Pläne wurden schon mehrmals über den Haufen geworfen», sagt Roger Gaillard lachend. Zwischenzeitlich wurde an ein Hochhaus gedacht, die neuste Entwicklung sieht nun vor, dass die jetzigen zwölf Häuschen einem grosszügigeren Stadtpark im Quartier Platz machen sollen.

Wie viel «Zuschuss» die Genossenschafter:innen noch bekommen, ist offen. «Die Stadt hat mit uns vereinbart», so Roger Gaillard, «dass wir ab jetzt mit zwei Jahren Kündigungsfrist rechnen können und müssen.» Geplant sei, dass 2030 sicher Schluss sei mit den Genossenschaftshäuschen. «Wir bleiben einfach, so lange es geht.» Denn eine solche Wohnlage, zentral und doch grün, sei wohl nicht mehr zu finden. Sagts und macht sich erste Gedanken für einen Jubiläumsanlass zu den 80 Jahren.

Die Reussinselhäuser sollen abgebrochen werden. Bild: René Regenass

5. April  2023 – aus der «Sentipost» 1/23