Ferdi Steiner: «Ich habe keine Angst. Ich lebe weiterhin gerne.»

Stets im Dienst der Gesellschaft

Ferdi Steiner ist nach einem wechselvollen Arbeits- und Privatleben unter anderem Mitglied der Projektgruppe «Das hohe Alter» des Forums Luzern60plus. Sein Appell an junge Menschen ist eindringlich.Von Monika Fischer (Text und Bild)

In seiner geräumigen Wohnung mit Blick auf Luzern und den Pilatus erzählt der 88-jährige Ferdi Steiner-Grögli, wie sich vor ein paar Jahren sein Leben unerwartet verändert hatte. Seine Frau Rosmarie war an Demenz erkrankt. Nach und nach übernahm er die Hausarbeiten, kochte, wusch, putzte. Als nach einem Spitalaufenthalt eine 24-Stunden-Betreuung seiner Frau nötig geworden wäre, fand er mit sehr viel Glück einen Platz für sie im nahen Pflegeheim.

«Ich besuchte sie täglich und ging mit ihr spazieren. So bekam ich einen guten Einblick in den Alltag der Institution.» Dabei fiel ihm die Herzlichkeit und Empathie der Pflegenden aus anderen Kulturen auf. «Als meine Frau im Januar 2023 starb, nahmen sie mich in die Arme und weinten mit mir.» Steiner setzt seine Besuche im Heim seit dem Tod seiner Frau regelmässig fort, plaudert und jasst mit den Bewohnerinnen und Bewohnern.

«Ich will doch nicht nach Luzern»
«Mein Alltag hatte sich mit der Krankheit meiner Frau Knall und Fall verändert», sagt er nachdenklich und erzählt von seinem wechselvollen Leben. Es ist geprägt von Zufällen, von vielen guten Beziehungen und Geschichten, an die er sich zum Teil bis ins Detail erinnert.

Aufgewachsen mit einem Bruder und einer Schwester in Bremgarten im Freiamt, beeinflusste ihn vor allem die Verwandtschaft mütterlicherseits im Oberwallis. So fand ein Onkel, wenn er die Matura machen wolle, dann bittesehr in Französisch. Ein wegweisender Hinweis, profitierte er doch zeitlebens vom Unterricht im Collège St. Michel in Freiburg.

Ohne bestimmte Lebensziele wollte er nach der RS unbedingt arbeiten und verfasste bei einem Elektrotechnikunternehmen Bestellungen auf Französisch und Englisch. Bald hatte er genug davon, Blätter abzulegen und absolvierte ein Basisstudium an der Hochschule St. Gallen. Bei der Spezialisierung entschied er sich für Versicherungen. Nach dem Lizentiat verschaffte ihm ein Dozent eine Stelle bei einer Versicherung in Luzern. «So en Seich, ich will doch nicht nach Luzern», dachte Steiner damals, brachte er doch 1960 die Stadt nur mit Banken und Tourismus in Verbindung.

Lieber nicht der «Bölimaa» sein
Er erzählt von seinen nächsten Stationen. Er machte Offerten für Firmen, verkaufte Versicherungen und entschied sich schliesslich, an der Uni Freiburg doch noch sein Doktorat zu machen. Auf Rat seines Professors schrieb er seine Doktorarbeit über die Entwicklung der Finanzen des Kantons Aargau. «Dazu sammelte ich die Staatsrechnungen und konnte dabei die ganze Bahn- und Strassenentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert mitverfolgen. Es war spannend, aber anspruchsvoll.» Daneben arbeitete er in einer Buntmetallfirma in Thun, wo er in die Wirtschaftsgeschichte hineinsah und Entwicklungen mitverfolgen konnte: «Durch das Aufkommen von Plastik gingen die Metallwarenfirmen in der Schweiz nach und nach ein.»

Seit 1968 lebt er mit seiner Familie definitiv in Luzern und freut sich: «Längstens habe ich mich mit dieser schönen Stadt angefreundet.» Nach der Arbeit für eine Hoch- und Tiefbaufirma war er von 1972 bis 1980 Finanzinspektor der Stadt Luzern. Zum einen schätzte er die interessante Arbeit, bei der er Einblick in die Beziehungen zwischen Stadt und Kanton bekam. Da er bei Unstimmigkeiten alle Direktionen und Abteilungen der Stadt kontrollieren musste, war er zum anderen in einer Machtposition auch eine Art «Bölimaa» in der Stadtverwaltung.

Auf mehrfachen Rat suchte er nach einer anderen Herausforderung und fand diese als Zentralverwalter bei einer grossen Krankenversicherung, wo er zum CEO aufstieg. «Es war eine enorm spannende Arbeit in einer Zeit sehr vieler Veränderungen. Dazu gehörten zum Beispiel die Einführung und stetige Zunahme der Automatisierung.» Die Entwicklung der Kostensteigerungen bei den Krankenkassen macht auch ihm Sorgen. Mit knappen Worten führt er sie auf drei Ursachen zurück: «Die Entwicklung und Zunahme der medizinischen Leistungen; Versicherte, die die Medizin voll ausnützen wollen, und die Kosten der Verwaltung durch immer mehr staatliche Vorschiften.»

Sachlich, lösungsorientiert, menschenfreundlich
Rückblickend war sein Arbeitsleben enorm intensiv. Und doch relativiert er die damit verbundenen vielen Reisen in der kleinräumigen Schweiz: «Es hatte den Vorteil, dass ich nachts fast immer zuhause sein konnte.» Als er jedoch auch noch ein paar Jahre Mitglied des Grossen Stadtrates war – «ich wusste ja, wie der Karren läuft» – spürte er, dass dies doch zu viel war und gab das Amt wieder ab.

Was war sein Antrieb, sich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen? Ging es ihm um die Karriere? «Ich denke nicht, es hat sich einfach eines aus dem andern heraus ergeben. Ich arbeitete gerne mit Menschen zusammen. Überall, wo ich tätig war, versuchte ich in Gesprächen mit den Mitarbeitenden zugunsten der Sache Lösungen zu finden, hinter denen eine Mehrheit stehen konnte.»

Nach seiner Frühpensionierung mit 63 konnte sich Steiner nicht zur Ruhe setzen. Wieder ergaben sich durch seine vielen Kontakte neue Herausforderungen. So war er unter anderem Beirat für Wirtschaftsfragen der Albert-Koechlin-Stiftung, Präsident der Finanzkommission von Caritas Schweiz und Präsident des TCS Sektion Waldstätte sowie Mitglied im Verwaltungsratsausschuss des TCS.

Vielseitiges freiwilliges Engagement
Neben seinen beruflichen Tätigkeiten war ihm die Familie stets wichtig. Der Vater zweier Söhne schätzt das gute Einvernehmen mit der Familie und lacht: «Dazu gehören auch die drei Enkelinnen, die mir riesig Freude bereiten.» Interessiert am weltweiten Geschehen wirft er einen kritischen Blick auf unsere Zeit, «in der es uns in der Schweiz sehr gut geht, es aber auch viele egozentrische Menschen gibt». Er entschuldigt sich fast dafür, dass er noch immer in seiner «asozialen Eigentumswohnung» lebt. Er habe geplant, mit seiner Frau in eine kleinere Wohnung zu ziehen. Der Arzt habe im Zusammenhang mit der Demenzerkrankung seiner Frau davon abgeraten, da sie sich in der neuen Umgebung nicht mehr zurechtfinden würde. So hätten ihm die Söhne geraten, weiterhin in der Wohnung zu bleiben, wo er nun seit 42 Jahren zuhause ist.

Neben den Besuchen im Heim engagiert sich Ferdi auch sonst vielseitig. Bis zu dessen Auflösung war er aktives Mitglied des Netzwerks 80plus, macht seit mehreren Jahren bei Innovage Zentralschweiz mit und betreut im Mentoring-Programm von Caritas Luzern einen jungen Ukrainer. Seit kurzem ist er Mitglied der Projektgruppe «Das hohe Alter» des Forums Luzern60plus. «Es ist mein grosses Anliegen, dass die jungen Menschen erfahren, welchen Nutzen hochaltrige Menschen für die Gesellschaft haben und hatten. Dass sie nicht nur Kosten verursachen und Profiteure der Gesellschaft sind.»

Doch wie geht er selber mit seinem hohen Alter um? «Es geht mir gut. Ich merke wohl, dass die Kräfte abnehmen, ich Namen vergesse und alles aufschreiben muss. So frage ich mich öfters, wie es weitergehen wird. Doch habe ich keine Angst. Ich lebe weiterhin gerne und bin dankbar für die vielen guten Beziehungen in und ausserhalb der Familie.»

8. März 2024 – monika.fischer@luzern60plus.ch