Der Astrophysiker Timm-Emanuel Riesen, Direktor des Stellarium Gornergrat, vor dem Hauptteleskop auf dem Gornergrat. Dieses Instrument wird für Aufnahmen von Galaxien und Nebeln gebraucht. Bild: Roland Poschung

«Bei der Geburt ist die Hebamme bedeutender als die Gravitationskraft des Jupiters»

Der Berner Timm-Emanuel Riesen (46) arbeitet als Forscher im Center for Space and Habitability (Zentrum für Weltraum und Bewohnbarkeit, CSH) der Universität Bern. Im Interview erläutert der Wissenschaftler, welchen Stellenwert er der heutigen Astrologie einräumt. (Teil 3 zum Thema «Astrologie und Horoskope»)

Interview Eva Holz

Herr Riesen, als Astrophysiker erforschen Sie Himmelskörper und Weltraum. Was genau wollen Sie herausfinden?
Timm-Emanuel Riesen: Uns interessiert, wie Sterne, also zum Beispiel unsere Sonne und die darum kreisenden Planeten entstanden sind und ob auf anderen Himmelskörpern als der Erde ebenfalls Leben möglich ist. Um das herauszufinden, betreiben wir Grundlagenforschung. Unsere Spezialität ist es, mit Hilfe von Massenspektrometern die Zusammensetzung von Himmelskörpern zu erforschen. Wir lernen dabei viel über die Entstehung und Entwicklung unseres Sonnensystems. Mit unserem ersten Satelliten «Cheops» können wir sogar Informationen über weit entfernte Exoplaneten sammeln, die um andere Sterne kreisen.

Laut Website arbeitet man an Ihrem Institut mit Astronomen, Astrophysikern und Astrochemikern, Atmosphären-, Klima- und Planetenforschern, Geologen und Geophysikern, Biochemikern und Philosophen sowie Medizinern – aber nicht mit Astrologen. Da muss ein Graben liegen.
Astronomie und Astrologie haben gemeinsame Wurzeln. Die Astronomie ist sogar vor langer Zeit aus der Astrologie herausgegangen. Nur: Die Himmelskunde Astronomie ist längst eine Wissenschaft, die Sterndeutung Astrologie nicht. Astrologe kann sich jeder nennen, das ist kein geschützter Begriff. Für unsere Arbeit ist eine wissenschaftliche Ausbildung aber zwingend notwendig.

Sie selber glauben also nicht, dass Konstellationen von Sternbildern und Planeten einen Einfluss auf Menschen haben – Stichwort Horoskope?
Nein. Man hat das verschiedentlich versucht zu beweisen. Aber keine dieser Studien hat ergeben, dass es bei gleichzeitig am gleichen Ort geborenen Menschen mehr Gemeinsamkeiten gibt als bei zufällig anderen Personen. Zudem eine kleine Bemerkung zu meinem Sternzeichen und vermeintlichen Aszendenten: Aufgrund meiner Geburtszeit 20. November 1976, 07.50 Uhr in Bern, soll ich als Sternzeichen sowie als Aszendenten den Skorpion haben. Die Sonne stand aber zu meiner Geburtszeit in der Waage, die auch gerade im Osten aufging und somit mein Aszendent ist.

Interessant ist immerhin, dass Sonne und Mond die Gezeiten beeinflussen. Warum also soll die Kraft vom Himmel nicht auch auf uns Menschen Einfluss haben?
Die in der Astrologie behandelten Planeten wie unter anderem Jupiter, Saturn und Venus sind so weit weg, dass ihre auf uns ausgeübte Anziehungskraft verschwindend klein ist. Bei einer Geburt ist der Einfluss der Hebamme also bedeutender als die Gravitationskraft des Gasriesen Jupiter. Zu Sonne und Mond: Die beiden sind verhältnismässig nah bei der Erde. Dass die beiden durch ihr starkes Licht auf uns positiv oder auch mal negativ einwirken, ist hingegen nachvollziehbar.

Viele Leute sind höchst erstaunt, wie zutreffend ihr Geburtshoroskop ausgefallen ist. Und nicht wenige verfolgen zuversichtlich Wochen-, Monats- und Jahreshoroskope.
So lange man fasziniert ist von den Gestirnen und diese ganzheitlich in eine Lebensberatung mit einbezieht, gibt es nichts dagegen einzuwenden. Bedenken kommen mir aber, wenn man aufgrund der Sterne-Planeten-Konstellation etwas über den Charakter eines Menschen aussagt. Das ist Unfug. Wenn ein Astrologe wüsste, was sich im Himmel wirklich abspielt, welche physikalischen Gesetze gelten, würde er zum Astronomen werden.

Neben Ihrer Arbeit an der Universität Bern sind Sie Projektleiter des Gornergrat-Observatoriums. Was machen Sie dort und was fasziniert Sie so besonders am Himmel?
Das Gornergrat-Observatorium ist heute ein sehr gefragter Ort der Aus- und Weiterbildung. Mehrmals pro Monat bin ich dort anwesend. Schon als Kind beeindruckte mich der Himmel ausserordentlich. In der Nacht im Gras zu liegen und in diese unglaubliche Weite hinaufzuschauen, ist einfach grossartig. Um das zu geniessen, muss man nicht einmal Forscher sein. Dazu kommt, dass man in Fachkreisen davon ausgeht, dass es ausserhalb unseres Planeten ebenfalls Leben geben muss. Dem auf die Spur zu kommen, lässt mich nicht los.

Teil 1: Astrologie – ein reizvoller Zauber

Teil 2: Madame Etoile im Gespräch

26.Dezember 2022 – eva.holz@luzern60plus.ch

Dieses Interview ist auch im Magazin «active & live» erschienen.