Die zuverlässige Nachrichtenversorgung steht auf der Kippe

Von Meinrad Buholzer

Wir schauen auf die USA, schütteln den Kopf über deren Zustand und merken nicht, dass wir uns in die gleiche Richtung bewegen und auch uns die Felle davon schwimmen – zum Beispiel in der Medienbranche. Denn deren Substanz, die seriöse und zuverlässige Versorgung mit Nachrichten, steht auf der Kippe. Drei Beispiele:

1. Die No-Billag-Vorlage, durchaus in trumpscher Geistesverwandschaft initiiert, gefährdet die mediale Grundversorgung in den vier Landessprachen. Sicher, SRF produziert auch diskutable Sendungen. Wesentlicher ist, dass bei einer Annahme der Initiative die landesweite, professionelle Bearbeitung von Nachrichten, deren Einordnung und Scheidung von Fake News, bachab geht. Schon ein blosser Vergleich der Nachrichten von SRF und einem beliebigen privaten Senden offenbart einen Qualitätsabfall – aber es scheint, dass dem Publikum mit all dem Müll, der uns täglich über die medialen Kanäle verabreicht wird, das Unterscheidungsvermögen abhandengekommen ist.

2. Leider im Schatten der No-Billag-Initiative und praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit stehen Veränderungen bei der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA), die hinsichtlich der Grundversorgung möglicherweise noch verheerender sind als die Billag-Initiative. Im Oktober wurde bekanntgegeben, dass die schweizerische Nachrichtenagentur mit der Bildagentur Keystone fusioniert wird (wobei die österreichische Nachrichtenagentur APA grösste Aktionärin wird). Und zum neuen Jahr gab die SDA bekannt, dass sie in den nächsten zwei Jahren 40 der 180 Stellen streicht. Keine Frage, dass das an die Substanz geht. Verblüffend ist, dass in der neuen Geschäftsleitung plötzlich der deutlich umsatzschwächere Juniorpartner Keystone (12 Mio. gegenüber 34 Mio. Franken der SDA) mit drei Mitgliedern das Sagen hat und die journalistische Kernkompetenz der SDA nicht mehr vertreten ist.

Die SDA wurde 1894 von Schweizer Verlegern gegründet, um nicht mehr den von den jeweiligen Regierungen manipulierten ausländischen Agenturen ausgeliefert zu sein. Sie versorgt das Land flächendeckend (aus allen Regionen) mit einem Grundangebot an Nachrichten in drei Sprachen; wobei der französische und italienische Dienst defizitär sind und faktisch durch den deutschsprachigen Dienst querfinanziert werden. Zu befürchten ist, dass mit der neuen Struktur die Rendite im Vordergrund steht und der bisherige service public sowie die sprachregionale Solidarität gefährdet sind.

Wie gesagt, die SDA gehörte bisher den Schweizer Medien. Seltsam ist, dass die neuste Entwicklung von den Zeitungen kaum thematisiert wird, als ob sie das nichts anginge. Bemerkenswert: Der einzige aufschlussreiche Hintergrundartikel, der mir unter die Augen gekommen ist, erschien ausgerechnet in der WoZ (die an der SDA nicht beteiligt ist). Auch die Politiker, die sonst bei jedem Rauschen im Blätterwald hyperaktiv werden, sind bis jetzt stumm geblieben. Weil sie keine Ahnung haben von dem, was sich da anbahnt?

3. Das dritte Beispiel ist die „alte Tante“ NZZ, die offenbar alles, nur nicht mehr eine „alte Tante“ sein möchte. Gewiss, sie ist immer noch unsere beste, umfassendste Zeitung und man findet in ihr seriösen Journalismus und erhellende Hintergründe. Dennoch beunruhigen die Tendenzen, die man in letzter Zeit wahrnimmt. Plötzlich betreibt sie Kampagnen-Journalismus (z.B. Merkel-Bashing) und meint, sie müsse auf die bundesdeutsche mediale Debatten-Kultur aufspringen, mit einem auffälligen Rechtsdrall. Im NZZ-Feuilleton, bisher ein internationaler Standard, wurden massgebende Köpfe auf die Strasse gestellt. Dafür lesen wir nun dort ausführlich, dass Playboy-Gründer Hugh Hefner neben Marilyn Monroe auf einem Friedhof in Los Angeles liegt. Oder eine ganze Aufschlagseite über eine Ferrari-Ausstellung in London. Was auch auffällt: Früher griffen NZZ-Redaktoren meistens dann zur Feder, wenn sie etwas zu sagen hatten. Heute werden sie offenbar zur erhöhtem Ausstoss angehalten, was dazu führt, dass man seitenlange Hintergründe serviert bekommt, die Tiefgründiges suggerieren, die aber nach gehabter Lektüre wie der Schaum auf dem Capuccino in sich zusammenfallen und einen schalen Nachgeschmack hinterlassen.

Eingetreten ist diese Entwicklung unter Chefredaktor Eric Gujer, den man jeweils auch in den NZZ-Fernsehsendungen beobachten kann, wie er sich um Gravität bemüht und dabei den Charme eines Kühlschranks verströmt. Gujer war sich nicht zu blöd, im Dezember eine No-Billag-freundliche Breitseite gegen die SRG abzufeuern. Die SRG würde heute nicht mehr gegründet, hielt er fest. Und mokierte sich über das Durchschnittsalter der SRF-1-Hörer (62 Jahre).

Dem kann man entgegenhalten, dass heute auch eine NZZ nicht mehr gegründet würde. Und wohlweislich verschweigt er uns das Durchschnittsalter der NZZ-Leser – es ist offenbar auch nicht gerade das Leibblatt der Millennials. Ob ihm bewusst ist, dass er mit solchen Kommentaren am Ast sägt, auf dem auch die NZZ sitzt: die seriöse mediale Grundversorgung der Schweiz?
22. Februar 2018

Zur Person

Meinrad Buholzer, Jahrgang 1947, aufgewachsen in Meggen und Kriens, arbeitete nach der Lehre als Verwaltungsangestellter auf Gemeindekanzleien, danach als freier Journalist für die Luzerner Neuesten Nachrichten LNN. 1975 bis 2012 leitete er die Regionalredaktion Zentralschweiz der Schweizerischen Depeschenagentur SDA. Einen Namen machte er sich auch als profunder journalistischer Kenner der Jazzszene. 2014 erschien sein Rückblick aufs Berufsleben unter dem Titel «Das Geschäft mit den Nachrichten - der verborgene Reiz des Agenturjournalismus» im Luzerner Verlag Pro Libro.