Die referierenden Buchautoren: Sibylle Felder und Steffen Eychmüller.

Übers sterben reden

«Das Lebensende und ich»: Unter dem Titel ihres gemeinsamen Buchs gaben die Kommunikationswissenschafterin Sibylle Felber und Steffen Eychmüller, Chefarzt am Universitären Zentrum für Palliative Care am Inselspital Bern, Anregungen für einen leichteren Umgang mit dem Sterben.

Von Monika Fischer (Text und Bild)

Im voll besetzen Saal der Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern verglichen die Buchautoren das Lebensende mit dem Lebensanfang. Beide seien eine höchst wertvolle Zeit. Es sei deshalb unverständlich, warum dem Lebensanfang so viel Bedeutung zukomme, während das Lebensende gerne verdrängt werde. Grund dafür seien oft Ängste. Menschen haben Angst, weil sie nicht wissen, was in der Sterbephase passiert. Sie haben Angst vor dem Leiden, Angst vor der Lebensbilanz, weil sie merken, dass sie nicht richtig gelebt haben, Angst, andern zur Last zu fallen. Sie verdrängen Sterben und Tod und sprechen nicht darüber, um sich gegenseitig zu schonen und Sorgen und Ängste zu ersparen. Dies wirke sich besonders erschwerend bei einem unerwarteten Schicksalsschlag wie Schlaganfall oder einem tödlichen Unfall aus.

Sterben braucht Zeit und Ruhe
Der Mediziner Steffen Eychmüller erläuterte die Biologie des Sterbens indem er aufzeigte, was beim Sterben passiert. Es könne für Anwesende anstrengend tönen, sei es jedoch nicht für die tief bewusstlosen Betroffenen. Bei Palliative Care, was eine sorgende Ummantelung bedeute, gehe es darum, am Lebensende trotz Krankheit eine möglichst hohe Lebensqualität zu erhalten. Sterben brauche Zeit und Ruhe. Der entsprechende Stellenwert bei der Begleitung sei wichtig. «Sterben passt in keine Agenda, es braucht einen bewussten Entscheid, sich dafür Zeit zu nehmen. Einen Menschen auf seinem letzten Lebensweg zu begleiten, kann eine intensive Lebenserfahrung sein, findet dabei doch Elementares statt», betonten die beiden Referenten aufgrund persönlicher Erfahrung und Gesprächen mit Betroffenen. Diese ersten Schritte seien auch wichtig für die schmerzhafte Zeit der Trauer und das Weiterleben der Angehörigen.

Mut zum Gespräch
Jeden Tag, jede Nacht sterben Menschen, der Tod betreffe alle. Es sei deshalb wichtig, sich frühzeitig darauf vorzubereiten und darüber zu sprechen. So könnten sich z. B. beim Verfassen der Patientenverfügung wunderbare Gespräche entwickeln. Es brauche dazu Mut und Offenheit, gebe kein richtig oder falsch. Dazu vermittle das Buch «Das Lebensende und ich» viele Infos. Es seien keine Regeln, sondern Anregungen. Zum Beispiel für kleine Übungen, um aus dem täglichen Trott herauszukommen. Weiter vermittle es auch Anregungen, in stabilen Phasen das Gespräch zu suchen. Oder wie der Umgang mit schwierigen Zeiten im Voraus geplant und dadurch Selbstbestimmung ermöglicht werde (www.iplan-care.ch). Hilfreich könnte eine Art Bergführer oder Hebamme fürs Lebensende sein, eine Person, der man alle Fragen stellen kann. Eine Person, die der Familie über die schwierige Zeit hinweghilft und dazu beiträgt, das System zu stabilisieren.

«Wir könnten es als Gesellschaft besser machen, wenn wir einander helfen, die Lebensübergänge zu begleiten, Höhen und Tiefen mitzutragen und Emotionen zuzulassen.» In diesem Sinn bezeichneten die Referenten den Umgang mit der Endlichkeit als gesellschaftliche Reifeprüfung. Beziehungen bis zuletzt seien das Wichtigste. Die beste Medizin gegen die Angst seien das Sprechen darüber und ein Netzwerk verlässlicher und liebevoller Menschen. Es gelte deshalb, in einer Gesellschaft die Endlichkeit, die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod zu einem Lebensthema zu machen. «Wir könnten als Gesellschaft zusammen einen Weg gehen, konfrontiert uns doch jeder Abschied mit der eigenen Endlichkeit.» Als Beispiele für eine lebendige Sterbekultur stellten sie «Bärn treit» sowie das Festival «Hallo Tod» vom 24. bis 27. August in Zürich vor.

Plädoyer fürs Leben mit allen Sinnen
Mit ihren Voten und Beispielen zeigten Sybille Felber und Steffen Eychmüller, wie die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit eine Bereicherung fürs Leben sein kann. Im Sinne von «Carpe diem» regten sie an, Tag für Tag zu nehmen, das Leben voll zu geniessen und sich immer wieder zu fragen, ob sich dies oder jenes wirklich lohne. Sich nicht nur auf das Schlechte vorzubereiten, sondern auch das Positive zu planen. Ausgehend von den Übungen im Buch stellten sie Fragen in den Raum: «Wann haben sie das letzte Mal einem Menschen die Hand gehalten?», «Wann sind sie zum letzten Mal barfuss über eine Wiese gegangen?». Es gelte, das Leben zu feiern, so lange es möglich ist, da wir bei der eigenen Beerdigung nicht dabei sein können.

29. Juli 2023 – monika.fischer@luzern60plus.ch

Nächster Anlass der «Lebensreise 2023» zum Thema Endlichkeit als Herausforderung: «Assistierter Suizid und selbstbestimmtes Sterben. Herausforderungen mit Blick auf das Sterben heute». Vortrag und Gespräch mit dem Theologen, Ethiker und Gerontologen Heinz Rüegger. Freitag, 1. September 2023, 18.30-20.00 Uhr, Marianischer Saal, Bahnhofstrasse 18, Luzern.