
Das Team Brückendienst der Spitex Stadt Luzern begleitet schwerstkranke Menschen und ihre Angehörigen mit viel Einfühlungsvermögen bis ans Lebensende. Bild: zvg
Eine Brücke ins Jenseits
Wenn schwerstkranke Menschen die letzte Lebensphase zuhause im vertrauten Umfeld verbringen möchten, werden sie neben den Angehörigen vom spezialisierten, mobilen Palliative-Care-Dienst der Spitex Stadt Luzern, auch «Brückendienst» genannt, unterstützt und begleitet.
Von Monika Fischer
Im Zentrum einer ganzheitlichen Betreuung stehen die Bedürfnisse der Betroffenen und ihrer Angehörigen – nicht die Diagnose oder die Krankheit. Das Wort «palliativ» stammt vom lateinischen «pallium», zu deutsch Mantel, und steht für Umhüllen, Wärmen, Schützen. Das englische «Care» bedeutet Fürsorge, Pflege, Behandlung. Gemeint ist eine umfassende Betreuung, die auch die Angehörigen und die Lebensgewohnheiten der Betroffenen berücksichtigt.
Der «Brückendienst» kommt dann zum Einsatz, wenn Erkrankungen instabil verlaufen oder Symptome besonders komplex sind. Mitarbeiter Beat Vogel, Pflegefachmann mit Weiterbildung in Onkologie-Pflege und Palliative Care, erklärt: «Manchmal treffen wir auf Menschen, die in einer unvorstellbar schwierigen Lage sind – körperlich, seelisch, sozial. Oder alles zusammen. Es ist erfreulich, wenn wir diesen Menschen schnell das anbieten können, was sie dringend brauchen: ein passendes Hilfsmittel, das richtige Medikament bei Atemnot, ein Aromaöl zur Linderung der Spannung bei Ödemen, eine Entlastung oder eine Perspektive für den Moment, in dem es zuhause nicht mehr geht.» Ganz wichtig sei Erreichbarkeit rund um die Uhr im Notfall, um schnell und unkompliziert intervenieren zu können. «Wenn man Angehörigen das sagt, atmen sie manchmal hörbar auf.»
Voraussetzungen und Organisation
Der «Brückendienst» bietet sich an, wenn eine urteilsfähige Person oder ihre medizinische Vertretung ausdrücklich den Wunsch äussert, zu Hause sterben zu wollen – und auch ihre Bezugspersonen damit einverstanden sind. Dafür braucht es geeignete räumliche Bedingungen und Angehörige, die offen und bereit sind, regelmässig fremde Personen in der Wohnung zu empfangen und die Betreuung zusammen mit den medizinischen Fachpersonen zu übernehmen.
Gemäss Pflegeexpertin Caroline Kriemler, die fast seit Anfang in verschiedenen Funktionen beim «Brückendienst» arbeitet, erfolgt der Erstkontakt telefonisch oder per E-Mail – meist über Spitex, Spital, Hausärztinnen und Hausärzte oder direkt durch Betroffene oder deren Angehörige.
In einer Abklärung vor Ort wird neben der pflegerisch-medizinischen Situation und den persönlichen Wünschen der Betroffenen die mögliche Präsenz und Belastung von Bezugspersonen geklärt und ein tragfähiges Versorgungsnetz aufgebaut: Wie viele Einsätze braucht es, welche Personen und was für zusätzliche Dienste können einbezogen werden? Gelegentlich übernimmt der Brückendienst die gesamte Pflege und Betreuung – manchmal wird diese mit den andern Teams der Spitex Stadt Luzern bzw. den Spitex-Organisationen der Agglomerationsgemeinden aufgeteilt, mit denen ein Kooperationsvertrag besteht.
Angehörige als wichtigste Ressource
Der «Brückendienst» berät und unterstützt auch die Angehörigen und nahen Freunde – jene Menschen, die den Klienten, die Klientin mit all ihren Vorlieben und Eigenheiten am besten kennen und den grössten Teil der Betreuung tragen. Beat Vogel sagt: «Die Angehörigen sind 22 Stunden da. Es ist eindrücklich zu spüren, wenn Klient*innen und Angehörige sich sicherer fühlen, wenn sie den Support spüren, wenn das Vertrauen wächst.» Neben Pflege und Symptomlinderung ist der «Brückendienst» auch zuständig für eine vorausschauende Planung, Beratungs- und Standortgespräche.
Gemäss Beat Vogel haben manche Klient*innen und Angehörige anfangs Hemmungen, über Ängste und das Lebensende zu sprechen, werden jedoch im Verlauf der Betreuung oft offener und gesprächiger, da sie wissen: Ich werde gehört, ich werde ernst genommen, meine Würde bleibt trotz schlechten Aussichten für ein Weiterleben gewahrt. Für den Fachmann gibt diese Erfahrung Freude und macht Mut, in der spezialisierten, mobilen Palliative Care zu arbeiten. Das Sterben selber sei selten schlimm. Die Symptome könne man meist gut lindern. Oft sei es eine Erlösung und für die Zurückbleibenden eine prägende positive Erfahrung.
Grenzen des «Brückendienstes»
Nicht jede Situation kann zu Hause getragen werden. Grenzen sind erreicht, wenn Angehörige sich überfordert fühlen, ein Risiko für Dritte besteht, eine Situation ethisch-rechtlich nicht mehr zumutbar ist, die Krankenkasse wegen zu grossem zeitlichen Aufwand die Leistungen nicht mehr zahlt oder hochspezialisierte Therapien gegen Grundsätze der palliativen Haltung sprechen. In solchen Fällen wird die Betreuung in enger Absprache mit allen Beteiligten in stationäre spezialisierte Einrichtungen überführt – etwa ins Hospiz Zentralschweiz, in die Palliativ-Station von Viva Eichhof, des Luzerner Kantonsspitals oder der Klinik St. Anna Hirslanden. Gemäss den Erfahrungen der letzten 14 Jahre kann der Wunsch, zuhause zu sterben, rund 80 Prozent der Klient*innen erfüllt werden.
Ein starkes Team mit offener Kultur
Für die Mitarbeitenden des Brückendienstes ist der tägliche Umgang mit schwerkranken Menschen, mit Angst, Schmerz und Abschied psychisch anspruchsvoll. Hilfreich ist dabei für Beat Vogel die Zusammenarbeit in einem starken Team von sehr erfahrenen und gut ausgebildeten Fachpersonen: «In schwierigen Situationen können wir zeitnah eine professionell moderierte Fallbesprechung organisieren, manchmal auch ein Coaching oder eine Supervision. Zudem nutzen wir den täglichen Austausch bei der ‹Tankstelle›. Wir stehen am Mittag zusammen, klären Fragen, tauschen aus, lassen Luft rein und manchmal Druck ab. Wir können uns voll aufeinander verlassen und die Klientinnen und Klienten einander ‹übergeben› im Wissen, dass die Kollegin gut informiert ist, voll übernimmt, auch meine Fehler sieht und ausbügelt.»
Weiter betont er die Bedeutung der Zusammenarbeit mit anderen Diensten: mit den somatischen Teams der Spitex Stadt Luzern und der Agglomeration, mit Gruppen von Freiwilligen, mit der Krebsliga, mit dem Hospiz und der Palliativstation Eichhof und den Spitälern und Hausärzt*innen. «Manchmal erhalten wir eine Verordnung schneller, als wenn die Person im Spital wäre. Deshalb heissen wir Brückendienst, weil wir Brücken bauen können zu jenen Diensten, die Menschen in palliativen Situationen gerade brauchen.»
Flache Hierarchie mit wertschätzender Haltung
Entscheidend ist für Beat Vogel auch die gute Atmosphäre, der respektvolle Umgang und die wertschätzende Zusammenarbeit im Team und die Form des Managements bei der Spitex Stadt Luzern. «Wir arbeiten in selbstorganisierten Strukturen ohne Teamleitungen. Das bedeutet, dass alle Teammitglieder ihre Verantwortungspakete haben: Personal, Finanzen, Planung, Logistik, Fachexpertise, Qualität. Der gesamte Betrieb pflegt eine sehr wertschätzende und unterstützende Haltung. Es gibt keine komplizierten hierarchischen Wege und man kann Anliegen oder Vorschläge sehr direkt auch an die Geschäftsleitung adressieren. Wir haben ein rundes Organigramm mit den Klient*innen und ihren Angehörigen in der Mitte. Alle rundherum verstehen sich als Dienstleister für die Mitte. So wollen Pflegende arbeiten.»
Begleitung über den Tod hinaus
Es fragt sich, was es für die Angehörigen bedeutet, wenn sie nach dem Tod eines lieben Menschen, den sie intensiv betreut haben, nur noch eine grosse Leere verspüren. Caroline Kriemler sagt, dass die Bezugsperson des Brückendienstes die Angehörigen, falls sie dies wünschen, vier bis acht Wochen nach dem Tod ihrer Liebsten zu einem rund einstündigen Trauergespräch treffen. «Dabei geben wir Erinnerungen Raum, fragen nach Ungeklärtem, würdigen ihr oft unschätzbares Engagement, ihre Präsenz, ihr Aushalten und Mitfühlen, in einer für sie existenziell herausfordernden Zeit. Manchmal erzählen Angehörige Anekdoten aus dem Leben der Liebsten, oft fliessen Tränen und manchmal wird gelacht, um das Unfassbare auszuhalten.» Das Gespräch, dessen Kosten über den Spendenfond der Spitex Stadt Luzern finanziert wird, trage dazu bei, das Erlebte und den Abschied einzuordnen.
Grundsätzlich sollen alle Menschen, die es wünschen und brauchen, unabhängig von Einkommen oder Einsatzdauer, auf die Unterstützung des «Brückendienst» zählen können. Deshalb beträgt der Eigenanteil höchstens 15.35 Franken pro Tag, wenn dies nicht selber bezahlt werden kann, übernimmt die Ergänzungsleistung. Die restlichen Kosten werden über die Krankenkasse nach Abzug von Franchise und Selbstbehalt, die Stadt und den Kanton Luzern, den Spendenfond der Spitex Stadt Luzern sowie Stiftungsgelder finanziert.
Weitere Informationen
- Spitex Stadt Luzern, Tel. 041 429 30 70
- Palliativ Luzern, Tel. 041 511 28 20
24. Oktober 2025 – monika.fischer@luzern60plus.ch