Wenn die Jungen auf einmal die Alten...

Von Eva Holz

Sind die Geschenke der eigenen Kinder irgendwann grosszügiger als jene, die man seinerseits dem Nachwuchs überreicht hatte, dann ist wieder etwas passiert. Dann werden die Eltern, also die Älteren, untrüglich alt oder anders gesagt: Die Jungen beginnen zu übernehmen.

So geschehen jüngst an Weihnachten. Während ich unseren Söhnen bunte Socken und einen Comic aus Berlin – wo ich ein paar Monate an einem Projekt arbeite – mitgebracht hatte, erhielt ich vom 32-Jährigen einen Gutschein über 150 Euro geschenkt, um mir in der deutschen Metropole doch mal etwas zu gönnen. Das eingerollte, mit einer bunten Schleife versehene Papier war mit einem QR-Code versehen. Durch Einlesen desselbigen galt es zu ermitteln, welche Corona-gebeutelten Geschäfte, Bars, Institutionen in diesem «B-Card»-Pool Freude hätten, jemand käme trotz 2G+ und Maske bei ihnen vorbei. Eine gute Idee, fand ich.

Nach den Festtagen zurück in Berlin, richtete ich meine Handykamera auf den QR-Code. Darauf gingen in wilder Abfolge Text- und Bildfenster auf und beim Weiterscrollen stand plötzlich ein junger Mann vor seiner Selfie-Filmkamera und begann mir zu erklären, was ich nun so alles herunterladen sollte. Da ich seine Ausführungen nur bruchstückhaft verstand und grundsätzlich skeptisch gegenüber neuen Apps bin, brach ich das Ganze ab. Natürlich liess es mir keine Ruhe, weshalb ich anderntags den QR-Code erneut attackierte. Ich drückte ein paar Mal irgendwo rum und einem Wunder gleich erschien der Aufruf zum INSTALLIEREN. Doch was war nun stärker, die Angst vor der unbekannten App oder die Angst, nie in den Genuss der 150 Euro zu kommen? Natürlich Letzteres, denn Geld zum Fenster rausschmeissen ist grundsätzlich nicht meine Art. Also drückte ich auf INSTALLIEREN.

Am Nachmittag begab ich mich nach Berlin Mitte und fand während der U-Bahn-Fahrt durch allerlei Klicks souverän heraus, wo die Mitmach-Lokale liegen. Zeit zum Essen war nicht, Lust auf eine Massage bestand nicht, für Drinks an einer Bar war es zu früh, für eine Yogalektion fehlte mir das Trainingsdress, also entschied ich mich, eine kleine Berliner Kleiderboutique aufzusuchen, wo mir sogleich ein flauschiger Rollkragenpullover ins Auge stach. Nun galt es nur noch, 99 Euro über die Gutschein-App auf die Kasse zu überweisen. Der Pullover war schon eingepackt, die Verkäuferin sichtlich glücklich über meine Wahl, doch als ich auf PAY drückte, hiess es auf meinem Handy KEIN GUTHABEN VORHANDEN. Was zum Teufel ist da schief gelaufen? Nächstes Mal hätte ich das Geld lieber cash, mein lieber Sohn, dachte ich, als die Verkäuferin den Pullover vom Tresen nahm und auf ein Gestell nach hinten verbannte.

Ich kläre nur ein paar Dinge ab, sagte ich ihr, verliess den Laden und setzte mich im nahe gelegenen Park auf eine Bank. Willst du dir das Geld nicht besser zurückerstatten lassen?, fragte ich meinen Sohn per Telefon. Doch er gab mir den Tipp, die Notnummer zu wählen oder mit dem Anbieter in einen Chat zu treten. Chat nee, also wählte ich die Help-Telefonnummer. Ohne in eine Warteschlaufe zu geraten, konnte das Problem schliesslich gelöst werden. Erleichtert bezahlte ich mit dem hochgeladenen Geld den Pullover sowie einen schicken Velo-Regenschutz aus recyceltem Plastik. Die übrig gebliebenen paar Euro auf der App trug ich in die «Milchhalle» und  gönnte mir eine heisse Schokolade.

Zu guter Letzt wollte ich meinen Sohn am geglückten Einlösen seines Gutscheins teilhaben lassen und schickte ihm ein Foto der neu erstandenen Preziosen. SUUUUPER! schrieb er mir zurück. Hatten wir das nicht damals unseren Kindern gesagt, wenn sie eine gute Note nach Hause brachten? Klar, aber zwischen den Generationen ist mittlerweile halt etwas passiert.

24. Januar 2022 – eva.holz@luzern60plus.ch