Sein Buch über die italienischen Migranten war in Italien ein Bestseller: Autor Concetto Vecchio. (Bild zvg)

„Psst! Sonst kommt Schwarzenbach“

Von Hans Beat Achermann

Er wurde im Jahr der Schwarzenbach-Initiative 1970 im Kanton Aargau als Sohn italienischer Einwanderer geboren. Als er 14 war, kehrte seine Familie nach Sizilien zurück. Jetzt hat Concetto Vecchio die Geschichte der italienischen Migranten und der schweizerischen Einwanderungspolitik in einem eindrücklichen Buch mit dem Titel „Jagt sie weg!“ nacherzählt. In Luzern liest er daraus vor.

„Psst, sagte meine Mutter mit einem gequälten Lächeln, geben wir uns den Svizzerazzi nicht zu erkennen, sonst kommt Schwarzenbach!“ Treffender könnte man die Situation und die persönlichen Gefühle Ende der Gastarbeiter in den sechziger Jahren kaum beschreiben: Angst als ständige Begleiterin, ausgewiesen zu werden, wenn man zu laut ist. Zu Tausenden wurden sie in die Schweiz geholt, täglich kamen volle Züge mit Menschen aus dem tiefen und armen Süden Italiens und brachten Arbeitskräfte, die in der schweizerischen Wirtschaft dringend gebraucht wurden. „Mitten in Europa liegend, ist die Schweiz das verheissene Land, das Schlaraffenland der Vollbeschäftigung. Aber es ist auch eine feindselige Welt“, schreibt Concetto Vecchio. Aus vielen Gesprächen und in Archiv-Recherchen, mit Büchern und aus Dokumentarfilmen hat Vecchio diese Feindseligkeit in seinem Buch veranschaulicht. Entstanden sind nicht nur Erzählungen von Einzelschicksalen, Beschreibungen der misslichen Wohnsituationen, der teils unmenschlichen Behandlung durch Behörden, entstanden ist auch ein Buch über die Wirtschaftssituation der sechziger Jahre in der Schweiz und – kontrastierend – über die prekäre Armut im Mezzogiorno und das Versagen der italienischen Politik, den Süden wirtschaftlich vorwärts zu bringen.

Auch Luzern stimmte für Schwarzenbach
Ein Grossteil des Buchs ist der Person von James Schwarzenbach und seinem Umfeld gewidmet, seiner Persönlichkeit und seinen Aktivitäten. Er kämpft gegen die Globalisierung, gegen die Grosskonzerne, gegen den Kommunismus, gegen alles Linke und zuerst: mit seiner Initiative gegen die sogenannte Überfremdung. Dabei betont er immer wieder, kein Fremdenhasser zu sein: „Mein Volksbegehren ist ein Überdruckventil, mein Motto lautet: Seien sie nicht auf die Fremdarbeiter böse, sondern auf diejenigen, die sie in unser Land geholt haben. Ich bin nicht fremdenfeindlich, ich habe in meinem ganzen Leben noch kein Wort gegen die Italiener gesagt.“   Am 7. Juni 1970 wird die Initiative mit 54 Prozent knapp abgelehnt. Abstimmen durften damals noch nur die Männer. Luzern hat der Initiative zugestimmt. Wäre sie gesamtschweizerisch angenommen worden, hätten 300 000 Italiener und Italienerinnen zurückkehren müssen.

50 Jahre sind inzwischen vergangen, die in der Schweiz gebliebenen Italiener und ihre Kinder und Enkel sind weitgehend integriert, die Fremdenfeindlichkeit aber ist nicht verschwunden. Auch der beschriebene Kampf eines elitären und reichen Grossbürgers gegen die (wirtschaftlich) Herrschenden und gegen die Zuwanderung kommt einem aus neuerer Zeit bekannt vor, auch wenn Vecchio keine forcierten Parallelen zieht.

Ein Stück Erinnerungskultur
In einem Epilog beschreibt der renommierte Journalist, der in Rom bei der Tageszeitung „La Repubblica“ als Redaktor arbeitet, wie seine Mutter anruft und ihn bittet: „Schreib nichts Schlechtes über die Schweiz.“ Warum ihr daran liege, fragt der Sohn. „Weil ich jetzt als alte Frau eine gute Erinnerung daran habe. Die Schweiz hat mich emanzipiert. Alles, was ich bin, habe ich in den Jahren dort gelernt.“ Sie hätten nicht nur gearbeitet, sondern auch gelebt. In Sizilien sei dagegen alles beim Alten geblieben. Seinem Vater, für den das 24jährige Schweizer Exil immer bitter war, erzählt er, wieso er dieses Buch schreiben musste: „Die Beschimpfung Tschingg ist nicht mehr gebräuchlich. Es heute noch zu sagen, gilt als politisch nicht korrekt. Hättest du das zu Schwarzenbachs Zeiten je gedacht? Das ist der Grund, weshalb ich diese Geschichte erzählt habe, weshalb man darüber schreiben muss.“
25. Juli 2020 / hansbeat.achermann@luzern60plus.ch

Die Lesung:
Die Lesung mit Concetto Vecchio findet am 28. August, 19.30 Uhr, im Hotel Schweizerhof statt. Die Veranstaltung ist ein gemeinsamer Anlass der Literaturgesellschaft Luzern, der Società Dante Alighieri und des Forums Luzern 60plus. Der Abend wird moderiert von Ruedi Meier, Ex-Sozialdirektor und Historiker. - Die Zahl der Sitzplätze ist coronabedingt beschränkt, eine Anmeldung ist bis am 20. August zwingend nötig: info@literaturgesellschaft-lu.ch. Weitere Informationen unter www.literaturgesellschaft-lu.ch

Das Buch:
Concetto Vecchio: Jagt sie weg. Die Schwarzenbach-Initiative und die italienischen Migranten. 220 Seiten. Orell Füssli Verlag, Zürich 2020.