Beziehungen im Alter (5): Trennung - und wie geht es weiter?
"Ich fühlte mich einsam zu Zweit"
Nach dreissig Ehejahren haben sie sich getrennt. Was bedeutet eine Scheidung mit 60plus? Nebst schwierigen Herausforderungen kann sie nochmals eine persönliche Entwicklung ermöglichen. So jedenfalls erlebt es Susan.*
Von Marlies Michel (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)
Die Anfrage, ein Interview mit ihr zum Thema Trennung im Alter zu machen, begeisterte Susan anfänglich nicht – wenn sie anonym bleiben könnte, dann vielleicht. Nach dem zweiten Versuch willigt sie ein, und wir treffen uns zu einem langen Spaziergang. Susan ist 64 Jahre alt und steht kurz vor der Pensionierung. Sie hat zwei erwachsene Töchter und arbeitet als Mittelschullehrerin, deshalb ihr Wunsch nach Anonymität. Susan erzählt:
Wir hatten uns auseinander gelebt
"Eine Trennung kann nicht losgelöst vom übrigen Leben oder Lebensstil eines Paares betrachtet werden, denke ich. Nach gut 30 Ehejahren liessen sich der Vater meiner Töchter und ich scheiden; er war 63, ich 61 Jahre alt. Die Scheidung war eine gemeinsame Entscheidung, wir hatten uns auseinandergelebt, wie es so schön heisst, wobei ich finde, das sollte differenziert werden. In unserem Fall war es so, dass wichtige und intensive Lebensprojekte zeitlich zusammenfielen.
Als wir uns kennenlernten, wir waren um die 30, wollten wir beide eine Familie und so warteten wir nicht lange bis zur Geburt unseres ersten Kindes. Ich hatte mein Studium damals noch nicht abgeschlossen, da ich spät zu studieren begonnen hatte und mein Ex-Mann baute sein eigenes Geschäft auf. Das war eine sehr strenge Zeit. Rückblickend frage ich mich oft, wie wir das alles bewältigt haben, und es wundert mich nicht, dass wir wenig bis keine Energie mehr hatten für unsere Beziehung. So kam es zu wiederkehrenden Krisen, auch Affären ausserhalb der Beziehung, beidseitig. Wir rauften uns jeweils wieder zusammen, wegen der Kinder und natürlich, weil wir einiges aufgebaut hatten – unsere Karrieren, einen gemeinsamen Freundes- und Bekanntenkreis, Haus, Garten, Hund usw. Heute denke ich, wir hatten vor allem keine Energie damals, um eine Scheidung durchzuziehen. Wie so viele Paare waren wir gefangen in einem Korsett aus Pflichten, Gewöhnung und Konventionen.
Die definitive Trennung
Nach unseren letzten gemeinsamen Ferien entschied ich mich für die Trennung. Der Moment war gekommen – wir hatten uns emotional zu weit voneinander entfernt. Es fehlten echte gemeinsame Interessen, und wir hatten uns wortwörtlich nichts mehr zu sagen; ich fühlte mich einsam zu Zweit. Wir konnten die Scheidung gemeinsam und ohne grössere Streitereien durchziehen. Unerwartet stark war die Reaktion unserer Töchter. Sie verstanden nicht wirklich, was das nun soll, in unserem Alter. Sie mahnten uns zur Vernunft (Susan lächelt), als wären wir nicht ein Leben lang vor allem vernünftig gewesen.
Auf eine neue Beziehung einlassen ist nicht einfach
Ich kann nicht sagen, dass ich es mir einfach vorgestellt habe, alleine älter zu werden, aber in einigen Punkten anders. So hatte ich anfangs die Vorstellung, einer neuen Beziehung stehe grundsätzlich nichts im Weg, was sich in der Realität doch etwas komplexer zeigt. Es fällt mir schwer, mich nochmals auf eine Beziehung einzulassen. Ich habe klare Vorstellungen, wer und wie das dann sein sollte - damit meine ich nicht Äusserlichkeiten oder eine bestimmte Persönlichkeit. Aber ein wertschätzender, respektvoller Umgang miteinander, ein ähnliches Bildungsniveau, gemeinsame Interessen und einen ähnlichen Lebensstil wären Grundvoraussetzungen für mich; dies zu finden, ist nicht einfach.
Anderseits fühle ich mich frei, habe Zeit für meine Interessen, meinen Freundeskreis, für meine betagten Eltern. Alleine zu reisen, das finde ich wenig attraktiv, mache es aber hin und wieder trotzdem. Das Single-Leben im Alter birgt viele persönliche Herausforderungen, viel Wachstumspotenzial, würde ich einmal sagen – was auch anstrengend sein kann. Schwierig finde ich, dass ich immer aktiv werden muss, wenn ich mit jemandem in Kontakt treten möchte, ein spontanes Gespräch zu Hause ergibt sich selten. Da muss ich hinausgehen, Leute einladen oder zum Telefon greifen. Die richtige Wohnform im Alter ist derzeit ein grosses Thema für mich. Anderseits bin ich gefordert, aktiv zu bleiben, die Komfortzone zu verlassen (lacht).
Stellvertretend für viele Frauen meiner Generation
Aufgrund meiner Beobachtungen und auch über Gespräche mit anderen Frauen wurde mir bewusst, dass das Bild, welches die Gesellschaft von alleinstehenden älteren Frauen hat, oft wenig mit der Realität zu tun hat. Ich bin inzwischen überzeugt, dass viel mehr Frauen freiwillig alleine leben als unfreiwillig. Es wird uns schnell unterstellt – auch aufgrund demografischer Tatsachen –, wir würden halt keinen Partner mehr finden, weil wir alt und für gleichaltrige Männer unattraktiv seien; diese wünschten sich jüngere Frauen, was häufig auch so ist. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass viele alleinstehende Frauen meiner Generation hohe Ansprüche an eine Partnerschaft haben, sie sind finanziell unabhängig und wenig kompromissbereit. Was keineswegs bedeutet, dass wir als Singles rundum glücklich wären - natürlich wünschte ich mir oft einen Partner an meiner Seite, aber nicht irgendeinen.
Die Frauen haben enorm aufgeholt in den letzten 50 Jahren, sind selbständig heute, finanziell abgesichert und aktiv. Wir erwarten eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Viele geschiedene Männer unserer Generation haben noch andere Vorstellungen von Partnerschaft und Beziehung, die – das ist meine persönliche Erfahrung – oft wenig mit unserer Lebensrealität übereinstimmt. Diese Männer lebten nicht selten ein herkömmliches Beziehungsmodell und hatten Ehefrauen, die nicht ausser Haus berufstätig waren oder allenfalls mit einem sehr kleinen Pensum. Der Mann war somit häufig der Haupternährer der Familie und ist es sich gewohnt, dass die Frau sich ihm anpasst; dies führt zwangsläufig zu Konflikten mit einer neuen Partnerin, die selbständig und unabhängig ist. Natürlich darf man das nicht pauschalisieren, aber es ist meine Erfahrung im Kontakt mit potenziellen neuen Partnern.
Anfänglich dachte ich manchmal mit Schrecken: Das kann es ja nun nicht sein, ich alleine in meiner Wohnung und dies für den Rest meines Lebens. Inzwischen setze ich mich mit dieser Möglichkeit anders auseinander. Vielleicht ist das Alter auch ein sich Vorbereiten auf das Alleinsein, denn wir werden in letzter Konsequenz auch alleine Abschied nehmen müssen vom Leben. Jedenfalls habe ich persönlich das Gefühl, ich sei, gerade durch die Scheidung, nochmals ein tüchtiges Stück mich selber und erwachsener geworden - und dies im fortgeschrittenen Alter."
Marlies Michel leitet die Fachstelle S&X, Sexuelle Gesundheit Zentralschweiz. S&X bietet kostenlose Erstgespräche für Einzelpersonen und Paare zu den Themen Beziehung, Sexualität, sexuelle Orientierung usw. an. Nach einer Risikosituation können sexuell übertragbaren Infektionen vor Ort getestet werden. Mehr Informationen auf www.sundx.ch
Zur Person
* Susan ist 64 Jahre alt, seit drei Jahren geschieden. Sie ist Mutter von zwei erwachsenen Töchtern. Sie unterrichtet an einem Gymnasium naturwissenschaftliche Fächer und wird demnächst pensioniert. Susan lebt derzeit als Single. Der Name wurde von der Redaktion geändert.
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