Frauen gaben bei der Altersvorsorge den Ausschlag für das Nein

Von Cécile Bühlmann

Als letztes Land in Europa gab die Schweiz den Frauen erst im Jahr 1971 das Stimm- und Wahlrecht. Interessanterweise unterschied sich das Wahlverhalten der Frauen in den Anfängen nicht von demjenigen der Männer. Das änderte sich aber in der Mitte der 80er Jahre. Seither stimmen die Frauen durchschnittlich ökologischer, weltoffener und sozialer als die Männer. So haben die Frauen der Atom-Moratorium-Initiative im Jahr 1990 und der Alpen-Initiative im Jahr 1993 zur Mehrheit verholfen, das gleiche gilt für die Antirassismus-Strafnorm im Jahr 1995. Der Trend setzt sich ins neue Jahrtausend fort. Bei der Abstimmung für ein Verbot von Kriegsmaterial im Jahre 2009 stimmten die Frauen mit 7% mehr als die Männer dafür, bei der Abschaffung des Verbandsbeschwerderechtes 2008 war der Unterschied 13%, bei der Revision der Invalidenversicherung im Jahre 2007 10% und bei der Revision des Asylgesetzes im Jahr 2006 10%.

Und last but not least haben wir den Atomausstieg auch nur einer Frauenmehrheit im Bundesrat zu verdanken. Denn bevor wir es vergessen: Es gab einmal einen Bundesrätinnenfrühling; im Dezember 2010 bestand der Bundesrat aus vier Frauen und drei Männern. Im darauffolgenden März flog Fukushima in die Luft und die Frauenmehrheit im Bundesrat beschloss den Atomausstieg!

Und jetzt lese ich im Nachgang der Abstimmung über die Altersvorsorge, dass die Frauen den Ausschlag für das Nein gegeben hätten und dass die Vorlage bei den Männern durchgekommen wäre! Zuerst einmal löste diese Meldung bei mir eine Irritation aus: Was ist da geschehen, stimmt das alte Paradigma, dass Frauen sozialer abstimmen als Männer, nicht mehr?

Diese Interpretation greift zu kurz. Es waren ja vor allem linke Frauen, die sich wegen der Erhöhung des Frauenrentenalters für ein Nein stark gemacht hatten. Im rechten politischen Spektrum hingegen war das Frauenrentenalter kein Thema, da ging es um den Ausbau der AHV, um die Erhöhung von 70 Franken.

Das linke Frauen-Nein hat genau das Dilemma zum Ausdruck gebracht, in dem ich mich selber auch befunden und mit dem ich mich schwergetan habe. Eigentlich fand ich ja auch, dass es verfrüht sei, das Rentenalter der Frauen jenem der Männer anzugleichen, bevor die Frauenlöhne den Männerlöhnen angeglichen seien. Es sei einfach nochmal daran erinnert: Frauen verdienen bei vergleichbarer Arbeit jeden Monat durchschnittlich immer noch 700 Franken weniger als Männer. Zum Zeitpunkt der Abstimmung waren wir noch meilenweit vom Ziel der Lohngleichheit entfernt.

Angesichts dieser Ungerechtigkeit legten offensichtlich viele Frauen ein Nein in die Urne. Dieses kann also nicht als Abkehr der Frauen von einer sozialeren Haltung als der von Männern interpretiert werden, sondern als Protest gegen ein nicht eingelöstes Versprechen den Frauen gegenüber. Dass sie mit einem Jahr länger arbeiten den Löwenanteil der Reform hätten bezahlen müssen, ohne dass ihre Lohndiskriminierung aufgehoben worden wäre, hat das Frauen-Nein befeuert. Obwohl ich selber am Schluss ja gesagt habe, kann ich das gut nachvollziehen.
30. September 2017

Zur Person
Cécile Bühlmann, geboren und aufgewachsen in Sempach, war zuerst als Lehrerin, dann als Beauftragte und als Dozentin für Interkulturelle Pädagogik beim Luzerner Bildungsdepartement und an der Pädagogischen Hochschule Luzern tätig. Von 1991 bis 2005 war sie Nationalrä
tin der Grünen, 12 Jahre davon Fraktionspräsidentin. Von 2005 bis 2013 leitete sie den cfd, eine feministische Friedensorganisation, die sich für Frauenrechte und für das Empowerment von Frauen stark macht. Seit 2006 ist sie Stiftungsratspräsidentin von Greenpeace Schweiz und Vizepräsidentin der Gesellschaft Minderheiten Schweiz GMS. Seit 2014 ist sie pensioniert und lebt in Luzern.