Yvonne Volken. Bild: Joseph Schmidiger

Gesundheit! Salute! Zum Wohl!

Von Yvonne Volken

Schon wieder gesündigt, denke ich, während ich das erste Vermicelles der Saison löffle. Mit halbem Ohr höre ich zu, wie ein Kollege vom Erfolg seiner «Essensumstellung» erzählt. «Salat, Salat, Salat und manchmal eine Scheibe Mozarella», das sei das Geheimnis. Er habe acht Kilos abgenommen und fühle sich viel fitter. Ich denke mit schlechtem Gewissen an all die nicht befolgten Ratschläge zur gesunden Ernährung, die ich in Buchform oder als gut gemeinte Tipps erhalten habe. Ich denke an die 10'000 Schritte, die ich heute nicht gelaufen bin, an die Übungen, die ich gemäss Physiotherapeutin täglich machen sollte und zu oft vergesse.

Seit es den lieben Gott nicht mehr gibt, seit wir befürchten, dass mit dem Tod alles aus ist, bemühen wir uns darum, im Diesseits möglichst lange und künftig vielleicht ewig leben zu können. Dank der fast 7000 Satelliten, die derzeit die Erde umkreisen, sind wir ja nicht ganz verloren und allein im Universum. Und als Himmelsverbindungen tragen wir an unserem Handgelenk oder in der Hosentasche unsere E-Watches, unsere Phones, mit raffinierten Apps, die uns im Auge behalten, uns helfen zu kontrollieren, ob wir uns wirklich im Griff haben, die unsere Schritte mitzählen, den Kalorienverbrauch oder die Pulsfrequenz registrieren, unseren Schlafrhythmus überwachen und uns an die nötigen Achtsamkeitsübungen erinnern.

Klar ist uns allen, dass Gesundheit das höchste Gut ist. Wussten nicht bereits die alten Römer, dass sich der gesunde Geist und der gesunde Körper gegenseitig bedingen? Das würde also heissen, dass sich im getunten Körper, z. B. eines hochbezahlten Fussballstars, auch ein besonderer Esprit verbirgt? Tatsächlich, so belehrt mich Wikipedia, meinte es der Urheber dieses Zitats, der römische Satirendichter Juvenal, anders: «Orandum est ut sit mens sana in corpore sano», also: Beten sollte man darum, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper sei.

Vielleicht lohnt es sich also immer noch zu beten und gerade auch im Hinblick auf die künftige Gesundheitspolitik des Eidgenössischen Parlaments die Schutzheiligen der Gesunden und Kranken anzurufen, denn die Gesundheitskosten stehen zuoberst auf unserer politischen Sorgenagenda. Wir könnten also zum Beispiel für den gesunden Geist im körperlich fitten SVP-Nationalrat Thomas Aeschi beten, der einen Tag nach den Wahlen die Eckpfeiler der «neuen» bürgerlichen Gesundheitspolitik vorstellte: Als Erstes wollen die SVP-Gesundheitspolitiker dafür sorgen, dass die Patientinnen und Patienten nicht bei jeder Erkrankung gleich einen Arzt aufsuchen.

In einer Kampagne des Gesundheits- und Sozialdepartements des Kantons Luzern empfahl auch DJ Bobo seinerzeit, dass wir nicht wegen jedem «Bobo» zur Ärztin gehen sollen. Solche Botschaften zeigen Wirkung, denn sie setzen uns unter Druck. Was ist, wenn wir es nicht alleine schaffen? Wenn wir gegen Gesundheitsgebote verstossen, versagen, Altersbeschwerden haben und/oder ganz einfach krank werden? Sind wir an all dem selber schuld und müssen wir auch die Heilung selber verantworten?

Indem der Gesundheitsbegriff «Gesundheit» zu einem Superwert, einer Metapher für alles Gute im Leben, erhebe, verstärke er die Privatisierung des Kampfes um das allgemeine Wohlbefinden, stellte der deutsche Psychiater und Theologe Manfred Lütz fest. Zudem bestehe das Risiko, dass der Fokus auf Kontrolle und Erhalt der eigenen Gesundheit den Blick dafür verstelle, dass Gesundheit nur eine Rahmenbedingung für das Leben ist, aber eben nicht das Leben selbst.

Rosa, meine Ferienbegleitung, pfeift auf solche Überlegungen. Während ich meine morgendlichen Dehnübungen mache, schaut sie mitleidig zu und sagt: «Mein Morgenritual sind immer noch Kaffee und Zigaretten.» Ich finde das schon fast mutig. Darf man sowas heutzutage noch sagen, geschweige denn leben?

30. Oktober 2023 – yvonne.volken@luzern60plus.ch
 

Zur Person
Yvonne Volken, geboren 1956, war u.a. als Buchhändlerin, Journalistin, Kulturveranstalterin und Klassenassistentin tätig. Sie kam so mit ganz unterschiedlichen Lebenswelten in Kontakt. Seit ihrer Pensionierung sammelt sie Erfahrungen als betreuende Angehörige – und neuerdings als Grossmutter.