
Yvonne Volken. Bild: Joseph Schmidiger
Glückliches Dribbeln
Von Yvonne Volken
Eben reibe ich mir das Finalspiel der Engländerinnen gegen die Spanierinnen aus den Augen. Die Europameisterschaft im Frauenfussball ist zu Ende. Die «Lionesses» gewinnen. Ein Sommermärchen ist ausgeträumt. Okay, der Begriff wurde schon fast inflationär gebraucht. Trotzdem wird der Bundesrat sehr froh sein, dass er für diese EM auf Druck des Parlaments 14 Millionen statt der geplanten mageren vier Millionen Franken gesprochen hat. Interessierte wissen, dass es damals für die Männer-Fussball-EM 80 Millionen gab.
Natürlich habe ich Fussball-Erfahrung und habe manches Männer-Turnier mit einer Strickarbeit unter den Händen mitverfolgt und am Ende hatte ich einen Pulli in exakt gestricktem Muster fabriziert, weil ich meist auf Wolle und Nadeln und nicht auf den Fernsehbildschirm schaute. Immerhin, ich weiss, warum es einen Penalty geben kann, was ein Freistoss ist und wie es zu einem Abseits-Goal kommt. Ich bin sogar mal selber im Tor gestanden (Juniorenformat), in einem Match Mütter gegen E-Junioren und musste dann, kurz nach der Halbzeit, mit einer Adduktorenzerrung vom Platz. Die Mütter haben übrigens gewonnen, denn in unserem Team befand sich eine ehemalige Fussballnati-Spielerin.
Eine andere Fankultur, viele Kinder und Teenager, ganze Familien in Leidenschaft vereint, die Fanmärsche so friedlich, dass sich die Polizei fast langweilt. Spielerinnen und auch ihre älteren Wegbereiterinnen erklären diese EM zum Statement für eine andere Fussballwelt: Frauenfussball, ein Sport, in dem Themen wie Queerness, Sexismus und Rassismus – und vor allem auch die langjährige Diskriminierung des Frauenfussballs zur Sprache und ins Bild kommen – und die hohe Qualität dieser Sportart (trotz oft misslicher Rahmenbedingungen) öffentlich wahrgenommen wird.
Ja, Frauen gehen anders zur Sache. Anders? Während der Spiele natürlich nicht. Da wird gegrätscht, gedribbelt, gepasst. Spielerinnen wälzen sich mit schmerzverzerrten Gesichtern am Boden, es wird gefoult und es gibt gelbe und rote Karten – neben wunderbaren Pässen, schönen Toren und schmerzhaften Eigentoren. What else? Schliesslich geht es um Wettbewerb, ums Gewinnen, um Leistung und «Running For The Last Mile».
Diese unbedingte Leistungsbereitschaft oder das Gegenteil davon, nämlich die mangelnde Leistungsbereitschaft der jungen Menschen von heute, war eigentlich mein geplantes Kolumnenthema. Die zahlreichen Medienberichte über die sogenannte Generation Z (geboren zwischen 1995 und 2010) in diesem Frühjahr haben mich nämlich alarmiert: «Klimawandel, Digitalisierung und Dauerkrise: Eine Generation verliert den Halt», lese ich, oder «Rund 60 Prozent der Lernenden haben psychische Probleme» und «Multikrisen bei jungen Menschen: Noch nie haben so viele junge Frauen ihren Lehrvertrag aufgelöst». Auch unter meinen Bekannten ist immer wieder das Seufzen oder fallweise auch echte Empörung über die «Jungen von heute» zu hören. Anders als wir damals sei die Generation Z nicht mehr wirklich leistungsbereit.
Könnte es sein, dass die zahlreichen Diagnosen, mit denen wir den Jungen in ihrem Leidensdruck begegnen – ADHS, Autismus-Spektrum-Störung, Borderline – die falschen Antworten sind? Könnte es sein, dass wir die Zerr- und Fliehkräfte, denen sich die Jungen ausgesetzt sehen, tatsächlich und auch zu unseren Gunsten, lockern müssen? «Wie uns die Jungen zwingen, Arbeit und Gesellschaft jetzt neu zu denken», so untertitelt der deutsche Psychologe und Generationenforscher Rüdiger Maas seinen Bestseller «Generation arbeitsunfähig», den ich gerade lese.
«Generation arbeitsunfähig»? Die Fussball-EM in der Schweiz zeigte ein völlig diametrales Bild, sozusagen ein kleines, schönes Puzzleteil wie Fussball auch sein könnte und wie Spielerinnen der Generation Z unglaubliche Leistungsfähigkeit zeigen. Den erfolgreichen Frauenfussball neu und anders denken, die Offenheit, der Teamgeist, das Anderssein und doch zusammenzugehören – ob das klappt, wenn nun die Geldhähne aufgedreht werden? Es ist zu hoffen. Im Moment können wir uns über ein Sommermärchen ganz ohne bösen Wolf, böse Stiefmütter und fiese Hexen freuen.
29. Juli 2025 – yvonne.volken@luzern60plus.ch
Zur Person
Yvonne Volken, geboren 1956, war u. a. als Buchhändlerin, Journalistin, Kulturveranstalterin und Klassenassistentin tätig. Sie kam so mit ganz unterschiedlichen Lebenswelten in Kontakt. Seit ihrer Pensionierung sammelt sie Erfahrungen als betreuende Angehörige – und als Grossmutter.