Rita Estermann Abt (l.) und Ruth Aregger, Luzern, engagieren sich freiwillig für die Unabhängige Beschwerdestelle für das Alter UBA.

 

Hilfe holen statt wegschauen

Jeder fünfte Mensch im Alter ist von physischer oder psychischer Gewalt betroffen. Die Unabhängige Beschwerdestelle für das Alter (UBA) klärt, vermittelt und schlichtet bei Konflikten und bietet den Betroffenen Hilfe.

Von Monika Fischer (Text) und Peter Lauth (Bild)

Gewalt und Misshandlungen im Alter geschehen oft dort, wo Angehörige und Pflegende überfordert sind. Dies äussert sich in Einschüchterung, Drohungen, Bevormundung, Freiheitsentzug und reicht bis hin zu Vernachlässigung und finanzieller Ausbeutung. Da die Mit- und Umwelt der alten Menschen kleiner wird und ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist, können sie sich meistens nicht selber wehren. Oft haben sie auch Angst vor Sanktionen. Andererseits erforderte es Mut, um sich eine Überforderung, schlechte Gefühle und Gedanken oder gar Taten einzugestehen.

Gespräche bringen Entlastung

«Häufig braucht es wenig, um eine Situation zu entschärfen», sagt Rita Estermann Abt. Sie ist eine der 13 freiwilligen Fachpersonen der Fachkommission Zentralschweiz, die bei der UBA eingegangene Beschwerden behandeln. «Für überforderte Angehörige und Pflegende ist es oft wichtig, wenn sie erzählen können, angehört und ernst genommen werden und ihre Gefühle deponieren können.» Sie beschreibt dies am Beispiel einer Tochter, die sich als Delegierte von vier Kindern wegen der Sorgen um ihre Eltern bei der UBA gemeldet hatte. Die Mutter wurde immer vergesslicher, beschuldigte andere Leute und weigerte sich, für einen Demenz-Test zum Arzt zu gehen. Der Vater kam an seine Grenzen und isolierte sich zunehmend. Die ehemalige Pflegeexpertin und Supervisorin riet, ein Programm für Familie und Freunde zur Begleitung der Mutter aufzustellen. Damit wurde der Vater entlastet, er konnte wieder seinen Hobbies nachgehen und Freunde treffen. Die Situation wurde entschärft und merklich verbessert.

Neben Angehörigen melden sich auch Fachpersonen bei der UBA. Ruth Aregger, die 30 Jahre bei der Stadt Luzern als Berufsbeiständin gearbeitet hatte, schildert dies am Beispiel einer Mitarbeiterin der Spitex. Sie sorgte sich um die Sicherheit einer Frau, die ganz von der Pflege und Betreuung ihres Mannes abhängig war. Dieser wurde aufbrausend, hatte starke Stimmungsschwankungen und lehnte jede Einmischung und Hilfe ab. Wegen der schwierigen Situation hatten sich selbst die Kinder zurückgezogen. Im Gespräch mit der Spitexmitarbeiterin klärte die Fachfrau der UBA verschiedene Fakten ab und riet ihr, beim bevorstehenden Gespräch mit dem Arzt dabei zu sein. Erfreulicherweise brachte dieses auch dank neuen Medikamenten starke Entlastung, es gab keine Zwischenfälle mehr.

Unterschiedliche Beschwerden

Eine andere Frau hatte sich bei der UBA beschwert, sie sei unberechtigterweise in der Klinik und wolle herausgeholt werden. Gespräche vor Ort mit der Patientin und mit dem Arzt zeigten die Hintergründe auf. «Ich erklärte der Patientin bei einem weiteren Besuch, dass der Aufenthalt in der Klinik für sie wichtig sei. Sie akzeptierte es und war dankbar, dass sich die UBA um sie bemüht hatte», sagt Ruth Aregger.

Zunehmend gehen auch Beschwerden aus Heimen bei der UBA ein. Es sind z.B. Klagen gegen die Betreuungspersonen wegen unsorgfältigem Umgang mit Gegenständen wie Hörgeräten. Oder ein Heimbewohner, der sich nicht an die Regeln hält, eine Umplatzierung nicht akzeptiert und mit der Presse droht. «Wir übernehmen eine Vermittlungsfunktion und versuchen im Gespräch, Konflikte zu entschärfen, auf die sachliche Ebene zu bringen und eine Lösung anzustreben. Es kann sehr langwierig werden und ist ein Erfolgserlebnis, wenn es gelingt», berichtet Rita Estermann Abt.

Viel möglich mit wenig Aufwand

Die beiden Frauen schildern die Arbeitsweise der UBA. In der Geschäftsstelle in Zürich werden die Beschwerden zentral entgegengenommen, die Fakten aufgelistet und aufgrund der örtlichen Zuständigkeit die Fachkommission für die Bearbeitung festgesetzt. Dort entscheiden die Mitglieder aufgrund ihres Vorwissens und ihrer verfügbaren Zeit eigenständig, ob sie die Aufgabe übernehmen können. Wegen den oft komplexen Situationen beschäftigen sich stets zwei Fachpersonen zur gegenseitigen Unterstützung und Qualitätskontrolle mit einer Beschwerde. Alle Anfragen werden streng vertraulich behandelt. Einsätze können einen Monat bis zu einem Jahr dauern.

Rita Estermann Abt und Ruth Aregger staunen immer wieder, wie oft mit wenig Aufwand eine Entlastung möglich wird und damit für das Wohlergeben der Betroffenen viel erreicht werden kann. Sie schätzen es, wenn sie Wissen und Erfahrung anwenden und durch die freiwilligen Einsätze der Gesellschaft etwas zurückgeben können. Auch macht es Freude, aktiv etwas zur Verbesserung einer Situation beitragen zu können. Es ist ihr Anliegen, dass die Menschen Konflikte nicht unter dem Deckel halten und sich nicht schämen, Unterstützung zu holen. «Es ist wichtig, sich bei einer Überforderung oder wenn sich ein Konflikt anbahnt rechtzeitig zu melden, und nicht zu warten, bis die Situation eskaliert.»

22. Oktober 2021 – monika.fischer@luzern60plus.ch


Die UBA im Überblick

Die UBA ist ein politisch und konfessionell unabhängiger, gemeinnütziger Verein. Er setzt sich für ein selbstbestimmtes, würdiges Leben im Alter ein. Die meist pensionierten Fachpersonen bieten kostenlose Beratung, Vermittlung und Unterstützung in Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe bei Konflikten in den verschiedensten Bereichen wie Betreuung, Pflege, Wohnen, Finanzen, Krankenkasse, Familie. Die Fachkommission Zentralschweiz besteht aus 13 Mitgliedern aus den Bereichen Medizin, Pflege, Sozialarbeit, Heimleitung, Management und Recht.

Die Anlaufstelle der UBA ist von Montag bis Freitag, von 14 bis 17 Uhr, telefonisch erreichbar unter 058 450 60 60 oder 0848 00 13 13, oder schriftlich unter info@uba.ch

Weitere Infos www.uba.ch und www.aneluege.ch, www.alterohnegewalt.ch


Gewalt im Alter enttabuisieren

Neben verschiedenen Organisationen wie die Unabhängige Beschwerdestelle für das Alter UBA in der Deutschschweiz befasst sich auch das Parlament mit dem Thema der Gewalt im Alter. Denn die Zahlen haben aufgeschreckt. Gegen eine halbe Million ältere Menschen erleben in der Schweiz jedes Jahr Formen von Gewalt und Vernachlässigung. Zu diesem Ergebnis kam der Bericht «Prävention von Gewalt im Alter», der im Auftrag des Parlaments erstellt wurde. Deshalb beauftragte der Bundesrat im Herbst 2020 das Departement des Innern, den Bedarf für ein Impulsprogramm gegen Gewalt im Alter abzuklären. In der Corona-Pandemie nahm die Luzerner Nationalrätin Ida Glanzmann-Hunkeler den Faden wieder auf. Am 15. Juni 2021 reichte sie eine von 78 Ratsmitgliedern unterzeichnete Motion für die Realisierung eines Impulsprogrammes mit Fokus auf Betreuung ein mit folgender Begründung: «Gewalt im Alter führt zu viel Leid und ist eine grosse Belastung für alle betroffenen Stellen. Gleichzeitig bleibt es ein gesellschaftliches Tabu. Wie stark fragile ältere Menschen auf die Unterstützung von Dritten angewiesen sind, hat die Corona-Pandemie in aller Deutlichkeit vor Augen geführt. Betreuungsangebote können einen wesentlichen Beitrag leisten, um der Isolation älterer Menschen entgegenzuwirken und Angehörige zu entlasten.»