
Reto Ambauen (ganz links) bei einer Probe mit den Luzerner Greyhounds. Bild: zvg
Hirn, Herz und Hand
Ältere Menschen zeigen im Theater-Pavillon Luzern bald ihr Können. Regisseur, Theaterpädagoge und Festival-Mitorganisator Reto Ambauen erklärt, was Seniorentheater reizvoll macht und was uns im Juni erwartet.Interview von Eva Holz
Reto Ambauen, steckt in allen Menschen ein verborgenes Schauspieltalent?
Reto Ambauen: Male ich ein Bild, kann ich mich neben das Bild stellen, auf das Bild zeigen und sagen: «Das ist mein Werk.» Die Betrachterin und der Betrachter schauen auf das Bild – und nicht auf mich. Bei den performativen Künsten Theater, Gesang und Tanz ist das anders. Da gibt es kein Instrument, kein Papier, kein Video, also kein Medium zwischen mir und dem Publikum. Das Publikum betrachtet mich, wie ich agiere, singe, tanze. Ich bin immer Teil der Darstellung, des Kunstwerks, bin mit dabei. Dieses Live-Erlebnis macht die performativen Künstlerinnen und Künstler sehr verletzlich. Dem können und wollen sich verständlicherweise nicht alle Menschen aussetzen. Es ist also weniger eine Frage des Talents, sondern der Bereitschaft, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Ich arbeite mit allen Menschen, die dazu bereit sind. Die Frage des Talents ist zweitrangig. Eine Begabung entwickelt sich ja oft erst zu einem Talent durch etwas Selbstdisziplin, Hartnäckigkeit und durch die alte, oft vergessene Tugend Fleiss ...
Laientheater ist bei Seniorinnen und Senioren besonders populär. Warum?
Das erste Stück der Greyhounds am VorAlpentheater handelte vom Verschwinden. Mit dem Eintritt ins Pensionsalter, mit dem Verlust der Arbeit, schwindet das Gehört- und Gesehenwerden, schwinden eventuell Einfluss und Macht und Möglichkeiten. Zudem wird man aus dem sozialen Netzwerk, das das Arbeitsleben bietet, herauskatapultiert. Theater gibt älteren Menschen wieder eine Stimme und nicht zu vergessen: Theater fördert und fordert soziale Interaktion sowie Hirn, Herz und Hand. Hier trifft man Gleichgesinnte, knüpft Kontakte. Zusammen etwas tun, Ängste und Unsicherheiten zusammen aushalten und es bis auf die Bühne zu schaffen, Applaus zu erhalten, das schweisst zusammen, stärkt das Selbstvertrauen. Und nicht zu vergessen: Wir lachen viel zusammen. Das hat eine andere Qualität als das gemeinsame Bier am Stammtisch.
Fünf Schweizer Ensembles haben sich 2023 zum Verein Performage zusammengeschlossen und zeigen erstmals an einem Festival ihre Produktionen, darunter die Luzerner Greyhounds. Was zeichnet diese Aufführungen aus?
Der performative Laienbereich in der Schweiz ist sehr divers. Auch die Ansprüche an die Spielenden und an das Publikum sind sehr unterschiedlich. Es gibt zum Beispiel traditionelle Seniorentheater, die mit Krimis oder leichter Muse die Hallen füllen neben Produktionen, die einen hohen künstlerischen Anspruch haben und die sich auch mit komplexen Themen befassen. Am Festival Performage werden ausschliesslich Projekte zu sehen sein, die von professionellen Kulturschaffenden geleitet werden. Wir zeigen performative Produktionen aus den Bereichen Tanz, Schauspiel, experimentelle Musik. Die Projekte stammen aus Bern, Basel, Zürich, Genf und Köln. Zu sehen und zu hören sind auch Tanzfilme und ein Konzert mit den allseits bekannten «Les Reines Prochaines» aus Basel. Wir wollen zeigen, zu was ältere Menschen fähig sind. Wir wollen ihnen mit diesem Festival eine Stimme, eine Öffentlichkeit, eine Bühne geben. Das Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess heisst nicht, dass diese Menschen nichts mehr zu sagen hätten, im Gegenteil.
Sie selber geben anlässlich des Festivals einen Workshop der neun Workshops für Leute mit und ohne Spielerfahrung. Wo liegen erfahrungsgemäss die grössten Hemmschwellen für Bühneneinsteigerinnen und -einsteiger?
Diejenigen, die kommen, haben den Schritt schon getan, bevor sie den Proberaum betreten. Sie haben die Angst, sicheres Terrain, die Komfortzone zu verlassen schon überwunden. Sie bringen die Bereitschaft mit, sich lustvoll auf Neues einzulassen. Nur: Diejenigen Künstlerinnen und Künstler, die mit älteren Menschen arbeiten, sind ja auch hervorragende Pädagoginnen und Pädagogen. Da braucht sich niemand zu fürchten. Die älteren Spielenden haben auch zu Recht hohe Ansprüche an die Leitungspersonen eines Projekts. Die Arbeit soll Freude und Spass bereiten und uns guttun. Sehr gerne verweise ich auf den zweitägigen Workshop im Vorfeld des Festivals am 14./15. Juni. Da arbeiten mit Christiane Loch und Silvano Mozzini auch Menschen aus dem Tessin mit. Die Resultate des Workshops werden am zweiten Workshoptag im öffentlichen Raum in Luzern gezeigt. So kann man ohne Stress und niederschwellig erstmals selber etwas Bühnenluft schnuppern.
Angenommen, jemand möchte nach dem Besuch des Festivals unbedingt selber in der Laien-Schauspielerei aktiv werden. Wie am besten vorgehen?
Alle Projekte haben Websites mit Kontaktangaben. Anrufen, mailen – Interesse bekunden. Das läuft unkompliziert. Oft beginnen Projekte nach dem Sommer. Also sofort melden. Am VorAlpentheater haben wir zwei Angebote: die jährliche Inszenierung mit mehrmaligen Aufführungen im Frühsommer im Theater-Pavillon Luzern. Neue Mitspielende sind herzlich willkommen – mit und ohne Spielerfahrung. Und wir bieten einen Spielclub an. Interessierte Spielende treffen sich zehn Mal und improvisieren zusammen. Da kommt man hin ohne Vorbereitung, es gibt keine Aufführung, keinen Druck. Das Interesse, wie man auf der Bühne Geschichten erzählen kann, das lustvolle Spiel und die Freude daran, stehen im Zentrum. Diesen Spielclub bieten wir zweimal jährlich an.
Kontakt Reto Ambauen
E-Mail: reto.ambauen@voralpentheater.ch
Telefon: 078 793 48 98
Website VorAlpentheater
Festival Performage
20. bis 28. Juni 2025
Erstes performatives Festival mit Menschen 60plus
Austragungsort: Theater-Pavillon Luzern
Website Performage
18. Mai 2025 – eva.holz@luzern60plus.ch