Foto: Joseph Schmidiger

Beziehungen im Alter (8): Keine versteckte Liebe.

«Wir wollten die Ersten sein»

Rainer Schaub und Peter Keller sind seit 44 Jahren ein Paar. Sie haben – kaum war es möglich – ihre Partnerschaft eintragen lassen. Und sie würden gerne heiraten, falls in absehbarer Zukunft auch in der Schweiz die «Ehe für alle» eingeführt wird. 

Von Max Schmid (Text) und Joseph Schmidiger (Bilder)

«Schwarzenberg, Lifelen» – die Endstation des Postautos, das mich von Malters auf 800 m über Meer gebracht hat. Hier holen mich Rainer Schaub und Peter Keller ab und fahren mich zu ihrem Haus am sonnigen Hang gegenüber der Pilatuskette. Peter lebt schon seit vielen Jahren hier. Für Rainer war das Haus mit seinem prächtigen Blumengarten lange «vor allem ein Ort zum Auftanken». Seit 2013, seit sie beide definitiv in Pension sind, ist auch er hier zuhause.

Ein Paar sind sie freilich schon seit 1976: Rainer sagt: «Das hatte sich so ergeben und es hatte Bestand.» Mir macht diese nüchterne, prosaische Formulierung Eindruck. Schildert man so den Anfang einer Liebe, die ein Leben lang dauert? Und die man gar als Besucher zu spüren vermeint.

Da sind die Blicke, die sich suchen, da ist ein liebevoller Umgang miteinander. Da ist dieses Haus, geschmackvoll eingerichtet und voller Zeugnisse gemeinsamer Interessen und Erfahrungen, die ihr Leben geprägt haben: Musik, Theater, Kunst, Reisen. Es ist offensichtlich, hier wohnen zwei Menschen, die vieles miteinander verbindet und die viel miteinander teilen. Eben: es hat sich ergeben und es hat Bestand.

St. Gallen, 1976
Peter ist im bernischen Steffisburg aufgewachsen, Rainer stammt aus einem Dorf in der Nähe von Kassel. Sie waren ursprünglich beide Schauspieler. Ihre Wege kreuzten sich, als sie am St. Galler Stadttheater engagiert waren: Rainer als Regieassistent, Peter als Assistent in der Dramaturgie.

St. Gallen war damals eine ziemlich konservative Stadt, aber im Theater und der Kulturszene hatte der Geist von 1968 deutliche Spuren hinterlassen. Es gab Aufführungen mit nackten Akteuren auf der Bühne oder Stücke mit homosexueller Thematik wie «The Boys in the Band» oder «Jagdszenen aus Niederbayern». Bei solchen Aufführungen kam es vor, dass einige Zuschauer entrüstet den Raum verliessen, worüber sie, die Theatermacher, «sich ein bisschen mokiert hätten», gesteht Rainer.

Nur das Theater zählte
Ihre Liebe indes haben die beiden jungen Männer nicht versteckt. Ihr berufliches Umfeld half ihnen dabei. «Wir haben ganz in der Theaterwelt gelebt. Nur das Theater zählte: Ob jemand schwul oder lesbisch war, spielte in dieser Umgebung keine Rolle», sagt Peter. Natürlich sei die Gesellschaft damals in Bezug auf Homosexualität noch nicht sehr offen gewesen», erinnert Rainer. «Aber die Gesamtgesellschaft war für uns aussen vor.» Er räumt indes ein, dass sie «wohl in einem anderen Beruf vorsichtiger» gewesen wären.

Auch das Coming-out in ihren Familien verlief vergleichsweise glimpflich: Ihre Mütter schlossen jeweils den Partner des Sohnes ins Herz. «Meine Mutter hat Peter Geschichten anvertraut, die sie mir nie erzählt hatte», glaubt Rainer. Seinen Vater indes habe es zunächst «nicht gefreut». Erst 1969 war in Deutschland der Paragraph 175 geändert worden, der für Sex unter Männern eine Gefängnisstrafe vorsah. Doch in den Achtzigerjahren, wurde schliesslich auch Verhältnis zwischen Rainer und seinem Vater entspannt.

«Zusammen – mit zwei Wohnsitzen halt»
Die Biografie von Peter und Rainer ist indes auch von einer anderen Besonderheit der Bühnenwelt geprägt: «In unserm Job lebte man nie lange an einem Ort. Nach vier Jahren in St. Gallen, wusste man, dass man weiterziehen musste.» Rainer folgte dem Theaterdirektor von der Ostschweiz nach Bern. Klar war für beide, Peter sollte sich nicht zu weit weg von Bern niederlassen. Da habe sich das Basler Theater für Peter ergeben. 

So vergingen zehn, elf Jahre. Doch auch danach wohnten sie für mehr als zwei Jahrzehnte weiterhin an verschiedenen Orten: Peter arbeitete ab 1990 in Luzern, Rainer an den Bühnen in Freiburg im Breisgau, in Basel und St. Gallen. Doch sie achteten sehr darauf, dass die Distanz nicht zu gross war, «nicht mehr als ein bis zwei Fahrstunden».

«Wir waren zusammen – mit zwei Wohnsitzen halt – aber sonst gab es nichts, das wir nicht gemeinsam unternommen hätten: Freizeit, Reisen, Ferien.» (Lieblingsorte: Athos und Chalkidi). «Wir haben uns regelmässig gesehen. Nie dauerten die Absenzen länger als eine Woche.» Rainer erzählt, dass er interessante Angebote nach Graz oder Leipzig ausgeschlagen habe. «Denn, sie anzunehmen, hätte bedeutet, jede Woche hin- und herzufliegen. Da habe ich mich gefragt: Ist mir dies das wert?»

Das Geheimnis einer guten Beziehung
Im Rückblick scheinen sie diese intensive Fernbeziehung nicht zu bedauern ­– im Gegenteil: Vielleicht sei sie gar das Geheimnis ihrer guten Beziehung. «Wenn man sich sehen wollte, war das in ein oder zwei Stunden möglich, wenn man Ruhe wollte, konnte man die durch den Abstand haben» meint Peter und Rainer erinnert daran, dass «ab und zu auch ein sexuelles Abenteuer drin lag, doch nie etwas, das so stark gewesen wäre, dass es die Beziehung gefährdet hätte».

Den Willen zusammenzugehören, haben sie 2007 dokumentiert. Am 1. Januar jenes Jahres trat das Gesetz über die eingetragene Partnerschaft in Kraft. Die beiden Theaterleute wären gerne die Ersten gewesen im Kanton Luzern. Doch dazu hat es leider nicht gereicht. Das Zivilstandsamt der Stadt Luzern (zunächst die einzige Luzerner Gemeinde, in der Schwule und Lesben ihre Partnerschaft registrieren konnten) sei «etwas überfordert» gewesen. Es verlangte vom Ausländer Rainer das Familienbüchlein, die letzte Wohnsitzbestätigung und die Geburtsurkunde, doch in keinem dieser Dokumente stand, dass er nicht verheiratet sei. Also gab es eine Verzögerung. «Geheiratet» wurde schliesslich am 7. März. 2007.

«Richtig heiraten»
Ob sie auch noch «richtig heiraten» würden, sollte das Schweizervolk bald Ja zur «Ehe für alle» sagen, wollte ich enwissen. Die Antwort kam prompt und war ein klares zweifaches Ja. «Das werden wir sicher machen, wenn es möglich wird.»

Die Anliegen der schwulen und lesbischen Community haben sie immer interessiert. Peter gehört zu den Gründungsmitgliedern der Innerschweizer Regionalgruppe von Network, einem Zusammenschluss schwuler Führungskräfte, freiberuflich Tätiger, Künstler und Studenten, die sich in Luzern treffen. Network engagiert sich für die Akzeptanz homosexueller Menschen in der Arbeitswelt, aber auch in Politik und Kultur.

Beruflich hatten Peter und Rainer längere Zeit ähnliche Funktionen inne. Beide waren in verschiedenen Häusern Betriebsdirektor. Peter tendierte mit der Zeit mehr zur Musik. In Luzern war er für 15 Jahre Intendant des Luzerner Symphonieorchesters. Und dies auch zu den Zeiten, als das KKL gebaut wurde und das Orchester im Zirkuszelt spielte. Sein Nachfolger wurde 2004 Numa Bischof Ullmann. Danach betreute Peter viele Jahre im Nebenjob die St. Galler Festspiele. Rainer arbeitete am St. Galler Stadttheater.

Diagnose Parkinson
Mit Rainers Pensionierung hätte die Paar eigentlich ein entspanntes Rentnerdasein in Schwarzenberg führen können, doch leider kam es anders. 2011 erhielt Peter die Diagnose Parkinson. Anfänglich war die Krankheit sehr virulent und von grosser Ungewissheit geprägt ­– für beide Männer eine enorme Herausforderung. Die Offenheit mit der sie darüber sprechen, ist beeindruckend.

Erleichterung brachte vor einem Jahr eine Operation im Unispital Zürich, bekannt als Deep Brain Stimulation (eine Art Hirn-Schrittmacher mit Batterie). Peter spricht von einem sensationellen, gewaltigen Erfolg. «Das Leben ist leichter geworden. Ferienreisen sind wieder möglich», sagt er. «Nicht mehr die ganz weiten wie früher, aber doch...» Letztes Jahr waren sie auf einer Flussschifffahrt auf der Donau.

Es sei gut, wenn man mit einem gleichaltrigen Partner gemeinsam alt werden könne. Doch manchmal sei es auch schwierig: «Das muss man schon auch sagen», meint Rainer. «Allerdings: langweilig ist es nie.» Schmerzlich sei es, daran zu denken, dass einer von ihnen mal gehen werde. Den Gedanken daran verdränge er lieber. Das sagt Rainer, Peter nickt. - 18.2.2020

 max.schmid@luzern60plus.ch

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