Trotz zunehmender Individualisierung ist Alterspolitik eine Aufgabe, an der möglichst viele teilnehmen sollen.

 

Der Partizipation kommt herausragende Bedeutung zu

Von Hans Beat Achermann (Text und Bild)

In einer grossen Studie der Hochschule Luzern - Soziale Arbeit haben Fachleute aus verschiedenen Gebieten die Alterspolitik von 15 Städten und Gemeinden untersucht und Perspektiven aufgezeigt. Luzern gehört zu den Städten, die Alterspolitik als umfassende Aufgabe verstehen. Doch auch hier gibt es noch Entwicklungspotenzial.

Das rund 170seitige Buch heisst wissenschaftlich-trocken „Gestaltung kommunaler Alterspolitik in der Schweiz“. 14 Autorinnen und Autoren, die Hälfte davon Forschende und Lehrende der Hochschule Luzern Soziale Arbeit, haben nach verschiedenen Kriterien 15 Schweizer Städte und Gemeinden verschiedener Grösse auf ihre Alterspolitik hin untersucht.  Vier Gestaltungsmuster bildeten den Rahmen der Untersuchung: Wie wird die Alterspolitik geplant und umgesetzt (Management und Governance)? Wie läuft die Beteiligung und Partizipation der betroffenen Akteure (Beteiligung und Partizipation)? Wie gehen die Gemeinden mit innovativen Impulsen um (Innovation)?  Und als vierte Dimension: Wie weit werden soziale Räume wie Quartiere in die kommunale Alterspolitik miteinbezogen (Sozialraumorientierung)?

Luzern gehört zu den fünf Städten, denen aufgrund ihrer umfassenden Alterspolitik eine Best-Practice-Funktion zukommt, die also für weitere Kommunen Vorbildfunktion haben können. Gerade beim Kriterium der Beteiligung wird das weitgehend selbstorganisierte Forum Luzern60plus, das auch diese Internetseite betreibt, hervorgehoben. Auch unter dem Aspekt der Sozialraumorientierung wird Luzern positiv erwähnt: In den neuen Projekten Quartierentwicklung und Raumentwicklung werden die Bedürfnisse der älteren Bevölkerung stark mitberücksichtigt.

Begegnungsräume und Quartiertreffpunkte sind wichtig

Welche Bedeutung den Quartieren bzw. der Quartierarbeit zukommt, zeigt sich im Kapitel „Die Bedeutung der Partizipation in der Alterspolitik“. Die Autorin des Kapitels, Simone Gretler Heusser, legt hier aufgrund ihrer Erfahrungen den Finger auf einen wunden Punkt (den auch das Forum Luzern60plus immer wieder beschäftigt): Wie können auch Menschen mit weniger sozialen, kulturellen und ökonomischen Ressourcen in die Mitwirkungsprozesse eingebunden werden? Das vorherrschende Konzept des aktiven Alters könne gerade auch ausschliessend wirken und Menschen unter Druck setzen. Deshalb lautet eine These von Simone Greter Heusser: „Eine zukünftige Alterspolitik basiert auf inkludierenden und integralen Konzepten wie der sorgenden Gemeinschaft oder dem Zusammenwirken von Cure und Care, Pflege und Teilhabe.“ Diese sorgende Gemeinschaft könne über Quartierorganisationen, aber auch nachbarschaftlich durch Einzelpersonen  erzeugt werden, „so stehen die Chancen gut, auch diese Menschen ansprechen und mitnehmen zu können“. Erwähnt werden auch ältere Migrantinnen und Migranten, die nur schwer in Partizipationsprozesse eingebunden werden können. Lösungsansätze sieht die Autorin in niederschwelligen Quartiertreffpunkten und in der informellen Nachbarschaftshilfe, wie sie in Luzern der Verein Vicino anbietet, der Begegnungsräume schafft und so Beziehungen aufbauen kann. Gefordert seien auch die Soziale Arbeit und die Soziokulturelle Animation, die ihre Methoden weiterentwickeln müssten, damit Partizipation in der Praxis besser gelingen könne.

In einem weiteren Kapitel wird auch aus gerontologischer Sicht darauf hingewiesen, dass die Partizipation das A und O ist für eine gelingende Alterspolitik ist: „Der Einbezug von älteren Menschen in die alterspolitischen ist deshalb notwendig, weil er die grösste Wahrscheinlichkeit für tragfähige politische Entscheide bietet.“ Dabei wird der Begriff der „Partizipativen Aktionsforschung“ eingeführt, was heisst, „dass all jene, die vom zu bearbeitenden ‚Problem‘  betroffen sind, an seiner Bearbeitung direkt und gleichberechtigt beteiligt werden. Der entsprechende Prozess wird dabei als ein gemeinsamer Bildungsprozess verstanden, der sozialen Wandel bewirken soll.“ In weiteren Kapiteln wird auf die Pflegefinanzierung und die Sozialplanung in Deutschland eingegangen.

Alterspolitik ist interdisziplinär

Luzern ist sicher auf gutem Weg zu einer erfolgreichen Alterspolitik, das zeigen die vorliegenden Forschungsergebnisse. Entwicklungspotenzial liegt im oben erwähnten Problem, das nicht nur für Luzern gilt: Wie können ältere Menschen aus bildungsferneren Schichten oder Menschen mit wenig materiellen Ressourcen angesprochen und einbezogen werden in eine zukunftsweisende Alterspolitik? Eine Aufgabe auch für das Forum Luzern60plus, sich dazu weitere Gedanken zu machen und Handlungen zu initiieren. Und noch etwas sei in Erinnerung gerufen, das auch im Buch als grundlegend aufgeführt wird: Alterspolitik ist nicht nur Sozialpolitik: „Das Thema Alter ist interdisziplinär und muss in der Politik und in der Verwaltung bereichsübergreifend angegangen werden.“ Auch hier wird das Forum weiterhin darauf schauen, dass in Politik und Verwaltung kein „Silodenken“ herrscht, denn „Silodenken innerhalb der Behörden ist einer der grössten Stolpersteine  für eine erfolgreiche Alterspolitik“.
25. November 2018

"Gestaltung kommunaler Alterspolitik in der Schweiz“, hrsg. Von Jürgen Stremlow, Gena Da Rui, Marianne Müller, Werner Riedweg, Albert Schnyder; interact Verlag Luzern (2018);  Fr. 36.—.

ISBN 978-3-906036-29-8.