Konrad Abegg: Bilderwelten und Bienenvölker

Von Hans Beat Achermann (Text und Bild)

Vor dem Eingang zur alten Jugendherberge über dem Rotsee steht immer noch ein Wegweiser mit Schildern in alle Himmelsrichtungen. Einer weist direkt hin zu Konrad Abeggs Ateliertüre: „Glück" steht drauf. Und auf einem andern „Wind". Kein schlechtes Omen für einen Künstler. Noch vor dem eigentlichen grossen Atelierraum gehts vorbei an Wabenkästen, Honiggläsern und einer Honigschleuder. Irgendwo in einer Ecke dazwischen ein Stapel „Bilderwelten", 500 Bücher frisch von der Druckerei: Konrad Abeggs „Vermächtnis", wie er im Gespräch einmal sagt, pro Exemplar 1622 Gramm schwer. Imkerei und Kunst: Seit Jahrzehnten Leidenschaften und Einkommensquellen des 67jährigen gebürtigen Urners.

Mit dem gewichtigen Buch, das im Untertitel „Künstlerische Reflektionen" heisst, schaut der passionierte „Fabulierer" zurück auf sein künstlerisches Schaffen. Einen grossen Teil seiner Lebensenergie hat er in den letzten fünf Jahren in dieses Projekt gesteckt, dazu auch viel Geld. „Es tut gut, selber zu gewichten, den Nachlass selber anzupacken, selber zu entscheiden, was wichtig ist." Ein Drittel seiner Arbeiten könne er getrost entsorgen, sagt er selbstkritisch. Das Buch ist in Kapitel eingeteilt, die Titel haben wie „Geher und andere Wesen", „In die Landschaft zeichnen", „Tiere, Sagen und Mythen" oder „Woanders". Sie widerspiegeln die serielle und oft Monate dauernde Auseinandersetzung mit einem Thema.

Ein Bergler in Berlin

Konrad Abegg wurde als fünftes von acht Kindern in Flüelen geboren, der Vater, aus dem schwyzerischen Rothenthurm stammend, war Eisenbahner. „Als fünftes Kind hat man sehr viele Freiheiten", erinnert sich Koni, wie ihn alle nennen. „Man muss sich immer wieder bemerkbar machen, dass man auch noch da ist." Dieses Suchen und Wahrnehmen von Freiheiten begleitete ihn sein ganzes bisheriges Leben. Gleich am Tag nach der Lehrabschlussprüfung als Schriftsetzer setzte er sich mit zwei Kollegen nach Berlin ab, praktisch ohne Geld. „Ausgewandert", sagt er, hinaus aus dem engen Reusstal, hinein in eine neue weite Welt, nicht nur landschaftlich. Der Bergler wird für ein Jahr Berliner, schaut sich „Hair" an und hört „Pink Floyd", verliebt sich in eine Ostberlinerin, arbeitet in einer Stempelfabrik und schreibt Gedichte mit dem Titel „Ostgefühle".  Nachhaltigen Eindruck, was Kunst auch sein kann,  hatte bereits 1968 die Düsseldorf-Ausstellung im Luzerner Kunstmuseum mit Joseph Beuys' Fettecken hinterlassen. Die Künstlerexistenz aber schlummerte schon vorher in ihm: „Als Zweitklässler wurde ich erstmals den Sommer über ins Schächental auf eine Alp als Schafhirte geschickt." Weitere sieben Sommer folgten. „Die Eltern mussten während der Ferienzeit die Kinderzimmer als Touristenzimmer vermieten, um die Familie durchzubringen." Auf der Alp Berge links und rechts, der Knabe dem Wind und dem Wetter ausgesetzt, auf sich selbst gestellt. „Ich bin überzeugt, dass ich bereits hier zum Künstler wurde", stellt er fest. Das Archaische, Erdige nährte seine Visionen und zeigt sich in vielen seiner Bilder, oft verbunden mit inneren Empfindungen.

Konstanz und Bewegung

1975 folgte ein Aufenthalt in Schweden, und mit 27 absolvierte er die Ausbildung zum Künstler an der F+F-Gestaltungsschule in Zürich. Eine Freundin hatte ihn aufgefordert, sich zwischen dem Schreiben und
dem Malen zu entscheiden. Er entschied sich für die Malerei, bleib dabei, auch wenn er immer wieder Brotjobs in Druckereien und auch als Zeitungsjournalist annehmen musste. „Wörter sind stärker konnotiert, Bilder lassen viel mehr offen", sagt er heute. Viele Jahre unterrichtete er an der Kunstschule Farbmühle, baute das Surferjahr auf, das junge Menschen zum Gestalten führen sollte.

„Räise oder sich räise", etwas bereitstellen oder sich bereit machen zum Aufbruch: Im Urner Dialekt erzählt Koni von seinen Aufbrüchen. Um aufzubrechen braucht es aber Leidenschaft und Beharrlichkeit. Beides zeichnet den Künstler aus. Die expressive Farbigkeit seiner Bilder, aber auch die Themensetzung, die kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft zeugen von beidem. Konstanz zeigt sich ebenfalls in der Beziehung: Seit dreissig Jahren ist er mit Margrit Hauser verheiratet, sie haben einen Sohn und eine Tochter. Konstanz und Struktur braucht er auch im Alltag: „Immer um sieben Uhr haben wir gemeinsam das Nachtessen eingenommen; das war ein Ritual, das die Kinder auch heute noch schätzen, aber auch ironisch kommentieren." Das zweite Wort, das Koni immer wieder in das Gespräch einfliessen lässt, ist „Bewegung". Auch davon sprechen die Bilder: Die Geher als Thema, aber auch die Natur, die sich nicht festhalten lässt, die sich verändert durch das Licht, durch Schnee und Wind und Regen. Diese Bewegung erlebt er seit vielen Jahren immer wieder bei den Aufenthalten auf der Nordsee-Insel Vlieland.

Im richtigen Moment das Richtige tun

Die Natur spielt auch bei der Imkerei eine entscheidende Rolle. „Wie in der Kunst braucht es Wachsamkeit, Sensibilität, Beobachtungsgabe", vergleicht Koni die beiden Tätigkeiten. Genauso engagiert, wie er über die Kunst spricht, erzählt er von seiner Imkerei, von der Zuwendung zu seinen rund 70 Völkern. „Bei der Imkerei ist es ganz entscheidend, im richtigen Moment das Richtige zu tun." Dazu gehört das präzise Wahrnehmen der Temperatur, der Wettereinflüsse allgemein. 2017 war ein erfolgreiches Jahr: Rund 700 Kilo Waldhonig hat er geschleudert. Auf dem Sonnenberg und im Rathauserwald stehen die Kästen, auch im Schächental. Früher hatte er noch Wanderbienenvölker im Tessin und im Meiental. Seit 38 Jahren widmet er sich den Bienenvölkern, hat in der Steiermark eine Ausbildung zum „diplomierten Imkergesellen" gemacht, wie er schmunzelnd erzählt. „Die Bienen verbinden mich mit der Welt", sagt er, „ sie sind Verstärker und verstärken meine Beziehung zur Natur."

Kein Gipfelstürmer

Die Bienen dürfen jetzt ruhen, es wird Winter, im Vordergrund steht nun der Verkauf der „Bilderwelten". Er hat das Buch im Eigenverlag produziert, da sich die grossen Verlage nur um die Grossen der Kunstwelt bemühten. „Ich weiss, dass ich nur ein 4.-Liga-Kicker bin", bemerkt er ohne Verbitterung: „Ich habe mich nie vereinnahmen lassen." Beharrlich ist er seinen künstlerischen Weg gegangen. „Auch als Wanderer bin ich kein Gipfelstürmer, eher ein Gratgeher", konstatiert Koni Abegg. In die Zukunft blickt er gelassen. „Irgendwann möchte ich aufhören, ich muss nicht bis 105 ins Atelier." Einiges werde vielleicht überleben, anderes nicht, so wie die grossformatigen Bilder auf Zeitungsrollenpapier, die an den Atelierwänden hängen. „Die Malgründe sind so fragil, dass sie keine Zukunft haben. Das gefällt mir."

Die Buchvernissage von Konrad Abeggs „Bilderwelten" findet am 12. November um 11 Uhr in der Kunsthalle im Bourbaki statt. Das Buch ist im Buchhandel oder direkt bei Konrad Abegg erhältlich und kostet 65 Franken. Bestellungen und Einblicke unter: www.konrad-abegg.ch