Cécile Bühlmann. Bild: Joseph Schmidiger
Es ist Krieg. Wie verhält man sich dazu?
Von Cécile Bühlmann
Es ist schwierig, ja nahezu unmöglich, in Zeiten des Krieges eine Kolumne zu schreiben und den Krieg nicht zu erwähnen. Je länger der Krieg dauert, umso mehr besteht die Gefahr, dass die Leute nichts mehr dazu hören wollen oder aber dass fast alles schon gesagt worden ist, was dazu vernünftigerweise gesagt werden kann. Dieses Dilemma kennen nicht nur Kolumnistinnen, sondern alle, die sich öffentlich äussern. Und es gibt sehr verschiedene Weisen, damit umzugehen. So sagte Büne Huber zu Beginn des Konzertes von Patent Ochsner im KKL, dass wir den Scheiss, der in der Welt passiere, für zwei Stunden vergessen und einfach ihre Musik hören sollen. Dann begann er mit dem Konzert und die Ochsners machten zwei Stunden Musik vom Feinsten. Zum Schluss ergriff er nochmals das Wort und distanzierte sich in aller Deutlichkeit vom Krieg und seinem Urheber. Ich war sehr froh darüber, denn hätte er es nur bei seiner ersten Aussage zum Krieg belassen, wäre ich irritiert ob so viel Verdrängung und Oberflächlichkeit nach Hause gegangen.
Oder Bänz Friedli in seiner hervorragenden satirischen «Zeitlupe» im Radio SRF. Er thematisierte die ganze Palette der Dilemmas, die mir auch immer wieder durch den Kopf gehen wie zum Beispiel: Darf man noch apéröle und einfach den Krieg verdrängen? Oder wenn man sich dabei ertappt, den Unterschied zu machen zwischen den Flüchtlingen, die jetzt kommen und denen, die vorher kamen, schämt man sich. Bänz Friedli gibt auch seiner ganzen Wut hörbar Ausdruck: Ich rege mich auf! Wo hört die Neutralität auf und wo fängt die Feigheit an? Er regt sich auf über die Putin-Versteher, darüber dass wir in der Schweiz so viel russische Vermögen bunkern. Und draussen sei Frühling…
Andere legen Gedenkminuten ein, rufen zum Spenden an die Glückskette auf oder nehmen Flüchtlinge bei sich auf. Man kann sich zu diesem Krieg nicht «nicht verhalten». Er kann ja nicht ausgeblendet werden und ich merke selber, dass er sich wie ein dunkler Schleier über alles legt, was mir und um mich herum geschieht. Die Frage stellt sich immer wieder, ob ich mich noch an so normalen schönen Dingen wie einem Konzertbesuch oder einem feinen Znacht im Freundeskreis freuen darf, während ein paar Flugstunden von hier weg tausende von Menschen ums nackte Überleben kämpfen müssen. Ich habe keine Antwort darauf, ich selber fühle diese Verstimmtheit immer wieder, wenn mir der Krieg in den Sinn kommt.
Und wie Bänz Friedli spüre ich eine riesige Wut in mir, nicht nur über die Putin-Versteher sondern auch über die Landsleute, die Putins Oligarchen in den letzten Jahren den roten Teppich ausgerollt und vor ihrem Reichtum den Bückling gemacht haben. Sie haben ihnen Aufenthaltsbewilligungen, Grundstücke, Villen, Verstecke für ihre dreckigen Gelder richtig gehend nachgeworfen. Ich rege mich darüber auf, dass eine Clique alter weisser Männer um Putin herum über Leben und Tod so vieler Menschen entscheiden kann, und dass dieses patriarchale autoritäre Gehabe noch als verständliches Sicherheitsbedürfnis Putins entschuldigt wird! Es tönt so, als wäre es ein Naturgesetz, dass Putins gekränkte Ehre über den Gebietsverlust in einem Krieg enden müsse, den der Westen mit seinem Verhalten provoziert habe. Und warum kann die Antwort darauf denn nur eine militärische sein? Sichern Armeen, Waffen und Kampfflugzeuge tatsächlich unsere Zukunft? Was sind denn das für antiquierte patriarchale Denkmuster, die da wieder auferstehen? Die Antwort muss doch heissen: Jetzt erst recht setzen wir auf Menschenreche, Frauenrechte, Demokratie, Gerechtigkeit, Klimaschutz!
Ich finde, es muss auch in der Schweiz eine ernsthafte Debatte geführt werden wie wir auf diese Bedrohung reagieren und das beinhaltet nebst der Aufrüstungsfrage die eminente Frage, in welchen Bündnissen der Platz der Schweiz in Zukunft sein wird. Als Land mitten in Europa muss unser Verhältnis zur EU endlich geklärt werden, für mich ist klar, dass wir da dazu gehören! Auch muss der Mythos um unsere Neutralität hinterfragt werden. Die schweizerische Aussenpolitik muss sich nach den in der Bundesverfassung verankerten Zielen richten. Diese sind die Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz und ihrer Wohlfahrt, die Linderung von Not und Armut in der Welt, die Achtung der Menschenrechte und die Förderung der Demokratie, das friedliche Zusammenleben der Völker sowie die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen. Die Neutralität muss diesen Zielen dienen, sie hat keinen Selbstzweck.
Die Schweiz hat allen diffusen und geschichtswidrigen Interpretationen der Neutralität zum Trotz diese immer flexibel gehandhabt und wiederholt wirtschaftliche Sanktionen gegen Staaten mitgetragen, die in krasser Weise gegen elementare Regeln des Völkerrechts verstossen haben. Die von Christoph Blocher angedrohte Neutralitäts-Initiative will das Rad der Zeit zurückdrehen und Sanktionen wie die gegen Russland in jedem Fall verbieten! Das wäre definitiv die falsche Richtung. Ich bin zuversichtlich, dass gerade dieser Krieg den Menschen in unserem Land gezeigt hat, dass Nichtstellungnehme billig wäre und den Kriegstreibern in die Hände spielt.
Trotz der Bedrohung des sogenannten westlichen Modells durch diesen Krieg kann die Zukunft nur eine friedliche und demokratische sein, auch wenn der Kampf dafür um Jahrzehnte zurückgeworfen wird. Dieses Ziel darf nie und nimmer aus den Augen gelassen werden, auch wenn jetzt wieder gefordert wird, dass wir aus unseren pazifistischen Träumen aufwachen und aufrüsten sollen.
31. März 2022 – cecile.buehlmann@luzern60plus.ch
Zur Person
Cécile Bühlmann ist geboren und aufgewachsen in Sempach. Sie war zuerst als Lehrerin, dann als Beauftragte und Dozentin für Interkulturelle Pädagogik beim Luzerner Bildungsdepartement und an der Pädagogischen Hochschule Luzern tätig. Von 1991 bis 2005 war sie Nationalrätin der Grünen, 12 Jahre davon Präsidentin der Grünen Fraktion. Von 1995 -2007 war sie Vizepräsidentin der damals neu gegründeten Eidg. Kommission gegen Rassismus EKR. Von 2005 bis 2013 leitete sie den cfd, eine feministische Friedensorganisation, die sich für Frauenrechte und für das Empowerment von Frauen stark macht. Von 2006 bis 2018 war sie Stiftungsratspräsidentin von Greenpeace Schweiz. Sie ist seit langem Vizepräsidentin der Gesellschaft Minderheiten Schweiz GMS. Seit 2013 ist sie pensioniert.