Die Referentin Irene Bopp-Kistler an der Veranstaltung in der ZHB.

Lichtblicke auf einem steinigen Weg

Wie kann das Leben mit Demenz lebenswert gestaltet werden? Antworten auf diese Frage gabs an einer Veranstaltung mit einer allseits geschätzten Fachfrau im Rahmen der Kampagne «Das hohe Alter».Von Monika Fischer (Text) und Joseph Schmidiger (Bilder)

In der bis auf den letzten Platz besetzten Luzerner Zentral- und Hochschulbibliothek (ZHB) bezeichnete die Referentin Irene Bopp-Kistler am 5. Mai eine Demenzkrankheit in Zeiten von Longevity und Antiaging als besondere Herausforderung für die Betroffenen, ihre Angehörigen und die Gesellschaft.

Doris Fankhauser Vogel vom Forum Luzern60plus erzählte einleitend, wie unerwartet erste Symptome eintreten können. An einem Familienfest fand sich ihre Mutter angesichts des Buffets mit grosser Auswahl plötzlich nicht mehr zurecht. Ein aufmerksamer Verwandter unterstützte sie, anstatt sie blosszustellen. Als sich die Auffälligkeiten mehrten, brachte eine Diagnose Klarheit über die vorliegende Demenzerkrankung. Diese betreffe die Menschen und ihre Angehörigen schwer. Doch gebe es auch Lichtblicke, die Freude bereiten. 

Demenz und Scham
Direkt aus der Sprechstunde kommend, bezeichnete die Geriaterin und ehemalige Leiterin der Memory-Klinik im Waidspital Zürich, Irene Bopp-Kistler, die Demenz angesichts der steigenden Zahlen als Thema, das den Menschen unter den Nägeln brennt. Begleitet von Bildern aus der Natur und untermalt mit Erfahrungen aus der Praxis verglich sie den Weg durch die Krankheit mit einer Wanderung. Demenz beginne schleichend, man wisse nicht, wohin der Weg führe, auf dem immer mehr bröckelt.

Das Vergessen von Namen und Orten sei eine normale Alterserscheinung, wovor man nicht Angst haben müsse. Wenn jedoch die Gedächtnisstörungen, die Konflikte im Alltag und die Probleme im Beruf zunähmen, könne sich ein Abgrund auftun. Dies betreffe ebenfalls die Angehörigen, die weniger Empathie, Antriebslosigkeit, sozialen Rückzug, Ablehnung von Vorschlägen usw. als Frühsymptome erfahren.

Die Referentin zeigte die verschiedenen Schweregrade einer Demenz bis hin zu totaler Abhängigkeit auf, was unglaublich viel Scham auslösen kann: «Die Menschen schämen sich, wenn sie nicht mehr selber zurechtkommen und werden zusätzlich beschämt durch Nichtbeachtung, Distanzierung und Besserwisserei der Umwelt.» 

Ungewissheit und Sinnfrage
Die Fachfrau betonte die Bedeutung einer klaren Diagnosestellung einer Demenzkrankheit für Betroffene und Angehörige. Sie berichtete von einem Mann, für den die Diagnose wohl ein Schock und gleichzeitig angesichts der erfahrenen Belastungen im Alltag, die wie ein Koloss auf ihm gelastet haben, eine Erleichterung war. Und doch sei sie mit viel Ungewissheit verbunden. Es sei wie «einmal nach nirgendwo», habe ein demenzkranker Patient geäussert. Die Partnerin habe die Situation genau gleich empfunden, es sei wie ein Aufbrechen nach nirgendwo, irgendwohin. Eine andere Partnerin bezeichnete es als Albtraum: «Ich bin eine Witwe, obwohl mein Partner noch lebt.» 

Weil die Krankheit den besonders wichtigen Bereich des Denkens betreffe, stelle sich die Frage, ob ein solches Leben noch einen Sinn macht. Damit verbunden ist die Frage der Würde. «Die Würde kann keinem Menschen genommen werden, auch nicht einem Demenzkranken, solange ihn das Gegenüber in seinem veränderten Sein annimmt und versteht», betonte Bopp-Kistler, und stellte im Zusammenhang mit dem Verständnis des veränderten Seins die Frage, was überhaupt die normale Wirklichkeit in unserer Gesellschaft sei und hielt fest: «Menschen mit Demenz haben Bedürfnisse wie wir alle nach Akzeptanz, Sinnfindung, Liebe, Verständnis.»

Begleiten und unterstützen
Immer wieder stellte die Referentin die Angehörigen ins Zentrum. Für diese sei die Krankheit vergleichbar mit einer Trauer ohne Ende, was sehr schmerzlich sein könne. Es bedeute Abschied von der gewohnten Partnerschaft und loslassen der gemeinsamen Vergangenheit. Für den Umgang mit dem einmal gegebenen Eheversprechen gebe es kein richtig oder falsch. Jeder Mensch müsse für sich selber entscheiden, was für ihn möglich sei und stimme. Dasselbe gelte für die Frage des Ortes der Pflege und Betreuung zuhause oder im Heim. Doch dürfe der Schritt zum Heim keinesfalls als Abschiebung betrachtet werden, sei doch ein Leben zuhause bis zum Tod fast nie möglich. 

Bei der Frage, ob Sterbehilfe im Hinblick auf den Verlust der Würde ein Ausweg sein könne, verwies die Referentin auf die Bedeutung der Haltung der Gesellschaft zum Umgang mit dem Schicksal und sagte: «Die Möglichkeit eines assistierten Suizides darf nie, aber wirklich nie, zu einer Erwartungshaltung der Gesellschaft werden.» Es gehe darum, zu verstehen, Menschen auf dem Weg ins Ungewisse zu begleiten, vom Schicksal betroffenen kranken Menschen und ihren Angehörigen eine gute Lebensqualität zu bieten, sinnstiftende Aktivitäten zu entwickeln und besonders auch für jung Betroffene ganzheitliche Behandlung und Betreuung anzubieten. Zum Abschluss plädierte sie nochmals dafür, in Zeiten des Machbarkeitswahns, von Antiaging und Longevity, das Älterwerden zu akzeptieren, das Schicksal anzunehmen und den Umgang mit der Hilflosigkeit zu lernen, damit sich die Tiefe des Lebens entfalten könne.

Der Cellist Jürg Eichenberger hat eine demenzielle Erkrankung.

Wichtige Teilhabe am öffentlichen Leben
Das musikalische Intermezzo des Cellisten Jürg Eichenberger begleitet von Fiona Aeschlimann liess die klaren Aussagen von Bopp-Kistler nachklingen. Es erstaunte, als sich der Berufsmusiker als Betroffener aufs Podium für die von Edith Kaufmann geleiteten Gesprächsrunde setzte. Musik sage mehr als viele Worte, die ihm zunehmend Mühe bereiten. Das Musizieren und öffentliche Auftritte bereiten ihm nach wie vor grosse Freude. Wertvoll sei für ihn auch die Unterstützung seiner Frau Monika Haselbach. Diese beschäftigt die Frage, wie sich die Krankheit weiterentwickelt und ist dankbar für die verschiedenen Möglichkeiten der Unterstützung wie zum Beispiel die Gesprächsgruppe für Angehörige.

Offen berichtete auch Matthias Wyrsch, der schon in im Berufsleben von der Krankheit betroffen wurde, wie die Nachricht seiner Diagnose im Umfeld gut aufgenommen worden war. Auch er ist dankbar für Menschen, die ihn begleiten und unterstützen und schätzt es besonders, nach wie vor am öffentlichen Leben teilhaben zu können.

11. Mai 2025 – monika.fischer@luzern60plus.ch

  • Referatspräsentation von Irene Bopp-Kistler
  • Letzte Veranstaltung im Rahmen der Kampagne «Das hohe Alter» am 14. Mai: «Der philosophische Blick aufs hohe Alter»​​​​​​​