Noten am Himmel. Bild: Pixabay

Mit dem QR-Code ins Universum

Eine Glosse von Hans Beat Achermann

Neulich stach mir eine Todesanzeige ins Auge, bei der an Stelle des Porträtbildes des Verstorbenen ein QR-Code stand, darunter die Aufforderung: «(...) scannen und ihn hören.» Es stellte sich mir sofort die Frage: Will ich die Stimme eines mir unbekannten Verstorbenen hören? Was hat er mir zu sagen? Wie es im Jenseits ausschaut? Wie ich mich auf das eigene Ableben vorbereiten soll? Und natürlich war da die Irritation, dass die Digitalisierung nun auch bereits Einzug gehalten hat in etwas, das ausserhalb des Profanen liegt, innerhalb eines quasi geschützten schwarzen Rahmens. Dass wir inzwischen via QR-Code bezahlen, Museumsführungen herunterladen und Tickets bestellen, daran haben wir uns schon fast gewöhnt. Aber dort, wo es um den Tod und letzte Fragen nach dem Nachher geht? Ich zögerte und liess es bleiben. Vorerst.

Nach zwei Tagen habe ich mit dem Smartphone den QR-Code-Reader auf das schwarz-weisse Quadrat ausgerichtet. Die Sache hatte mich nicht losgelassen, obwohl die entsprechende Zeitung schon im Altpapierhaufen lag und den Weg ins Endliche, ins Recycling angetreten hatte. Die Lust, ihn zu hören, war stärker. Auf dem Smartphone erschien das Bild eines älteren Herrn mit rotem Pullover in einem beigen Ledersessel, freundlich lächelnd mit ausgestrecktem Arm. Darunter eine Textzeile: «Mache dich, mein Herze rein» und eine weitere Zeile darunter die Möglichkeit, ihn 6:16 Minuten lang zu hören, ihm zuzuhören. Ich drückte auf den Pfeil. Und da erklang eine schöne Bassstimme, die Bachs Arie Nummer 65 aus der Matthäus-Passion vortrug, die geschulte Stimme eines professionellen Sängers. Ich war berührt von der unendlichen Schönheit der Kantate, auch davon, dass hier ein Verstorbener weiterlebt. Ich habe den QR-Code vergessen und das Bild des Verstorbenen gesehen, die Stimme gehört und den Arientext gelesen, der auch in der Todesanzeige stand und dessen letzte Zeile lautet: «Welt, geh aus, lass Jesum rein!»

Da ging mir durch den Kopf: Da musste zuerst die neue digitale Welt reinkommen via QR-Code, damit ein kurzer Aufenthalt in das Bach'sche Universum möglich wurde, 6:16 lang. Durch das hässliche der unzählbaren schwarz-weissen Quadrätchen zu den Sternen gewissermassen. In meiner eigenen Todesanzeige wird es keinen QR-Code geben. Meine Gesangsbegabung reicht nicht für die Ewigkeit. Nicht mal für 6 Minuten 16 Sekunden.

13. November 2023 – hansbeat.achermann@luzern60plus.ch