News – Neuigkeiten

Von Judith Stamm

Müssen wir, wollen wir wirklich immer alles wissen, was uns während 24 Stunden am Tag auf allen Kanälen angeboten wird? Das fragten wir uns in einer geselligen Runde.

Die Frage war nicht so einfach zu beantworten. Und führte zu einer lebhaften Diskussion. Wir waren eine Gruppe älterer Semester, die einen über siebzig, die anderen über achtzig Jahre alt. Alle lasen Tageszeitungen und benutzten in unterschiedlicher Weise Radio, Fernsehen und Internet.

Die pensionierte Lehrerin hatte immer noch die Regionalzeitung der Gegend, in der sie früher beruflich tätig gewesen war, abonniert. Zwei Mal pro Woche lese sie das Blatt von der ersten bis zur letzten Seite. Erfahre, was aus früheren Schülerinnen und Schülern geworden sei, verfolge die wirtschaftliche Entwicklung der Region: Geschäftseröffnungen, Geschäftsaufgaben. Und studiere auch die Todesanzeigen  genau. Wenn es sich gezieme, drücke sie ihr Mitgefühl über einen Verlust gerne mit einigen persönlichen Worten aus. Und erlebe immer wieder, wie sehr ein solches Zeichen von den Betroffenen geschätzt werde.

Einig waren sich alle im Lob der Radionachrichten. Sachlich, knapp und klar werde man da orientiert. Die eigenen Auslandkorrespondenten waren allen mit Namen bekannt. Allerdings war der Runde auch nicht entgangen, dass die Radiosprecherinnen und Radiosprecher mehr als früher auf Korrespondenten ausländischer Medien zurückgriffen. Auch beim Radio müsse man wohl sparen! 

Unterschiedlicher waren die Meinungen über die Fernsehnachrichten. Da gab es von völliger Abstinenz über gelegentliches Einschalten bis zur obligatorischen abendlichen Tagesschau verschiedenste Varianten.

Das hatten die Internetnutzer alles hinter sich gelassen. Ein Klick auf „News“ bringe einem die ganze Welt ins Haus. Und zeitgleich mit dem Stattfinden eines Ereignisses werde man informiert! Perfektion pur!

Damit war aber die Frage, ob wir die Flut der Neuigkeiten, die täglich, stündlich, minütlich über uns hereinbricht, auch wirklich konsumieren wollen, nicht beantwortet. Die Grundstimmung war, dass wir das „eigentlich“ gar nicht wollen, dass das riesige Angebot uns überfordert, dass wir aber offenbar nicht anders können.

„Wir sind doch freie Menschen in einem freien Land. Wir können alles abschalten, wann immer wir wollen“, hiess es. Wir waren uns bewusst, wie paradox das tönte. Weltweit kämpfen Menschen für den freien Zugang zu nicht zensurierten Informationen. Und wir können die Fülle nicht mehr bewältigen.

Im Verlaufe des Gesprächs stellte sich heraus, dass News auch ihren „Unterhaltungswert“ haben. Dass sich die Welt als grosse Bühne betrachten lässt, auf der verschiedenste Akteure ihr Wesen und ihr Unwesen treiben. Auf der uns die Betroffenen durch ihre Anzahl vorgestellt werden. Denken wir nur an kriegerische und kriegsähnliche Konflikte mit so und so vielen Toten und so und so vielen Verletzten. Jedes Mal frage ich mich, wer wohl die Verletzten und Verwundeten versorge, wenn sie überhaupt versorgt werden. Von eingekesselten Ortschaften mit Bevölkerungen, die von aller Nahrungszufuhr abgeschnitten sind, wird erzählt. Von menschenunwürdigen Verhältnissen in Flüchtlingslagern.

Aber auch Preisverleihungen sind ein Thema. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Kulturelle Ereignisse. Sportliche Höchstleistungen! 

Wir sprachen in unserer Runde davon, dass uns das alles in seiner Gesamtheit ermüdet. Dass wir vor allem die täglichen Schreckensmeldungen nicht mehr ertragen. Und dass es, nicht aus einem überlegten Entschluss heraus, sondern aus schlichter Übersättigung, immer wieder zum Abschalten kommt.

Über eines müssen wir uns im Klaren sein. Alles, was uns stört, verletzt, nicht gefällt, ist nicht aus der Welt geschafft, wenn wir es nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Deshalb unser Fazit. Wir müssen nicht „alles“ wissen, was andere für uns als wissenswert auswählen und uns präsentieren. Aber der Teilnahme am lokalen und weltweiten Geschehen wollen wir uns trotzdem nicht verweigern. Denn die Ruhe in der bequemen Komfortzone wäre trügerisch!
28. Mai 2018

Zur Person
Judith Stamm, geboren 1934, aufgewachsen und ausgebildet in Zürich, verfolgte ihre berufliche und politische Laufbahn in Luzern. Sie arbeitete bei der Kantonspolizei und bei der Jugendanwaltschaft, vertrat die CVP von 1971 - 1984 im Grossen Rat (heute Kantonsrat) und von 1983 - 1999 im Nationalrat, den sie 1996/97 präsidierte. Sie war 1989 - 1996 Präsidentin der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen und 1998 - 2007 Präsidentin der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft.