Angekommen im neuen Zuhause: Hugo Ottiger und Edith Heimgartner im Aalto-Hochhaus (links), Margrit Macek und Sepp Habermacher im Himmelrich 3 (rechts).

Noch einmal umgezogen

Von Hans Beat Achermann (Text) und Joseph Schmidiger (Bilder)

In eine kleinere, aber altersgerechte Wohnung umziehen, solange man das noch selbstständig entscheiden kann: Zwei Paare erzählen, wie es ist, Vertrautes loszulassen und sich nochmals neu einzurichten.

Von der Dachterrasse der Himmelrich-Überbauung können sie hinüber sehen zur Veranda des Jugendstilhauses an der Reckenbühlstrasse, dem 3-Familien-Haus von 1912, in welchem sie 35 Jahre gewohnt haben – bis letzten Juni. Sepp Habermacher (69) und Margrit Macek (70) sind jetzt Bewohner einer der 179 neuen Wohnungen, welche die Allgemeine Baugenossenschaft Luzern (abl) im Dreieck Bundesstrasse, Himmelrichstrasse, Claridenstrasse als Himmelrich 3 erstellt hat. Dort, im Blick Richtung Westen, stehen die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts erbauten Etagenvillen und Eckturmhäuser mit den Namen Bella Vista, Friedeck, Schönheim oder Wilhelmina, alle von alten Bäumen umgeben, hier, an der viel befahrenen Bundesstrasse im Neustadtquartier steht der mächtige Blockrandbau von 2019. Dazwischen liegt die trennende Obergrundstrasse, dazwischen liegen geschätzte 300 Meter Luftlinie, dazwischen liegen Welten, was die Wohnkultur betrifft.

Zwischen Eigentum und Miete
Als die Hausbesitzerin unerwartet und ohne Testament starb und 14 Erben auftauchten, von denen drei das Haus schliesslich übernahmen, um es selber zu bewohnen, war das für Margrit und Sepp eine bittere Nachricht, denn es hiess, die liebgewonnene 5-Zimmer-Wohnung mit separatem Gartenzimmer, Keller, Werkstatt, Estrich, Garage, Garten und guten Nachbarschaften aufzugeben. Was tun? Diese Erfahrung wollten die beiden mit einem konventionellen Mietverhältnis nicht noch einmal machen. Bezüglich Stockwerkeigentum ist Sepp eher zurückhaltend, ist er doch in seinem Berufsleben als Rechtsanwalt und Mediator vielen bitteren Konflikten in Stockwerkeigentümer-gemeinschaften begegnet. Blieb also als dritte Möglichkeit, die Idee des genossenschaftlichen Wohnens. Sie war besonders für Sepp, der noch zu ca. 30 Prozent selbständig arbeitet, schon immer wichtig, war er doch 1984 Mitbegründer und erster Präsident der Wogeno Wohnbaugenossenschaft Luzern und seit vielen Jahren Mitglied der abl.

Abschied mit Erinnerungen
Als dann die Himmelrich-3-Siedlung Aufrichte feierte und die Wohnungen ausgeschrieben wurden, war für das Ehepaar Habermacher Macek klar, dass sie sich bewerben würden, für eine 3 ½ -Zimmer-Wohnung, wie es die Belegungsvorschriften der abl für Paare vorsehen. Gut sieben Monate hatten sie Zeit vom Vertragsabschluss bis zum Zügeltermin. Zeit auch, um sich zu verabschieden von Dingen, Räumen, Nachbarn. Viele Sachen wurden verschenkt, „denn wir haben weniger Platz für ungefähr gleich viel Mietzins". Vorher hatten sie viel Stauraum für Erinnerungsstücke. „Ich fand beim Aufräumen sogar die Milchzähne der Kinder", lacht die Mutter von drei Söhnen. Sie vollzogen den Abschied sehr bewusst, luden zum Beispiel Freunde ein letztes Mal in die alte Wohnung ein. Beim Räumen wurde alles durchgeschaut, Tagebücher wiedergelesen, in Fotoalben geblättert, Gefühle zugelassen. Und trotzdem: „Ich brauchte recht lange, bis ich die alte Wohnung loslassen konnte. Die Trauerphase dauerte länger, als ich gedacht hatte", schaut Sepp zurück.

Auch Margrit brauchte Zeit zum Ankommen: „Einmal nahm ich auf dem Rückweg von einem Spaziergang sogar den alten Garteneingang", erzählt die noch Teilzeit arbeitende Psychotherapeutin und zweifache Grossmutter. Jetzt, acht Monate nach dem Einzug, sind die beiden angekommen. „Wir haben zwar weniger Platz, aber neben der Wohnung gibt es Gemeinschaftsräume und auch einen Partyraum und den Innenhof. Zudem ist die rundum begehbare Dachterrasse eine Perle mit phantastischer Aussicht. Und der nahe Stadtraum ist unser viertes Zimmer", meint Sepp. Die architektonisch überzeugende Wohnung verfügt zudem über eine grosse überdachte Loggia in den Innenhof. Margrit engagiert sich für den Gemeinschaftsraum und beide geniessen sie die Alltagskontakte in der neuen Siedlung. „Es gibt bereits wieder freundnachbarschaftliche Kontakte", erzählt Margrit. Und was beiden besonders gefällt: die gute Durchmischung in der ganzen Überbauung: Familien mit Kindern, junge Paare, alte Paare, gleichgeschlechtliche Paare, Alleinstehende, Hochbetagte, Menschen mit Behinderungen... Bald kommt der erste Frühling im Himmelrich für die neuen Mieterinnen und Mieter, und dann werden wohl auch schon die ersten Vögel im Innenhof zwitschern. „Alles in allem: Die neue Wohnsituation passt wunderbar in unsere Altersphase."

Altern im Aalto-Hochhaus
Auch Edith Heimgartner (72) und der neun Jahre ältere Hugo Ottiger hatten sich überlegt, ins Himmelrich zu ziehen. Seit 16 Jahren wohnten sie gemeinsam im Dreilindenquartier „in einer charmanten, verwinkelten Wohnung, etwas schwierig in der Pflege und im dritten Stock ohne Lift gelegen", wie Edith den alten Wohnort beschreibt. Die Wohnung mit Seesicht war in keiner Hinsicht altersgerecht. „Wir mussten einsehen, dass wir dort nicht uralt und gebrechlich werden können", erzählt Edith, die bis vor zwei Jahren als Rechtsanwältin in einer Anwaltsgemeinschaft tätig war. So reifte langsam der Entschluss, sich nach etwas Neuem umzuschauen. „Obwohl ich noch fit zu Fuss und mit dem Velo bin, fassten wir aus präventiven Gründen den Entscheid, wohnungsmässig nochmals neu anzufangen", erinnert sich Hugo. Fürs Himmelrich reichte es nicht: Sie waren noch zu wenig lang Genossenschaftsmitglieder, um Aussicht auf eine Wohnung zu haben – dafür haben sie jetzt im Aalto-Hochhaus im Schönbühl eine Wohnung mit betörender Aussicht. Zudem wollten sie mehr Platz als die für Paare vorgesehenen 95 Quadratmeter auf 3 ½ Zimmer verteilt. Auch die Angst vor zu viel Lärm an der Bundesstrasse schreckte letztlich ab.

Gleichzeitig mit dem Bau des Himmelrichs wurde das 1968 vom finnischen Architekten Alvar Aalto geplante Hochhaus im Schönbühl von Grund auf renoviert. Am Tag des Denkmals 2018 gab es Gelegenheit, das sich in Renovation befindliche Gebäude zu besichtigen. Für Hugo und Edith war rasch klar, dass sie sich für eine der 95 Wohnungen bewerben wollten. Jetzt leben die beiden seit dem 2. September des letzten Jahres im 7. Stock des 16stöckigen markanten Gebäudes an der Langensandstrasse, übrigens das einzige Bauwerk des finnischen Stararchitekten in der Schweiz.

Ferien nach dem Zügelstress
„Ich hatte mich irgendwie schon innerlich von der alten Wohnung gelöst, bevor der Umzugstermin feststand", erzählt der pensionierte Heimleiter Hugo Ottiger. Das fast tägliche Fitnesstraining, nämlich die 13 Prozent Steigung mit dem Velo von der Stadt hinauf an die Hitzlisbergstrasse entfällt jetzt, auch den 1200er BWM-Töff hat er verkauft. „Mensch, werde wesentlich!" war das Motto, trotzdem war das Loslassen nicht schmerzfrei. Gerne hätten sie Möbel weitergegeben, doch lange nicht alles fand Abnehmer. Ein intaktes Bettgestell aus Holz hat Hugo eigenhändig zersägt und im Ökihof entsorgt, einiges ging ins Brocki. „Es tat uns leid, dass Liebhaberstücke plötzlich wertlos waren", bedauert Hugo. Da genügend Zeit war, um den Umzug vorzubereiten, „verbrachten wir viele Wochen zwischen Ökihof und Brocki", erinnern sie sich.

Dass Räumen und Zügeln im höheren Alter auch ein anstrengender Kraftakt und wortwörtlich nicht schmerzfrei ist, musste der 81-Jährige schmerzlich erfahren. Sein bereits zweimal operierter Rücken brauchte in der Pack- und Räumungsphase eine Cortisonspritze. Kurz nach dem Umzug gönnten sich die beiden, die seit 33 Jahren ein Paar sind, eine Woche Erholung im Südtirol. 16 Jahre hatten sie an der Hitzlisbergstrasse als Konkubinatspaar gewohnt, 16 Jahre hatte Hugo vorher allein als Heimleiter im zürcherischen Regensberg in einem Riegelhäuschen gewohnt. „Nochmals 16 Jahre, dann wäre ich 97", rechnet Hugo und ergänzt: „Wer weiss?".

Rundum glücklich
Nach fünf Monaten in der neuen Wohnung ziehen sie Bilanz: „Wir sind froh, nicht im Himmelrich zu wohnen", sagen beide. Sie geniessen die Ruhe und die Seenähe, die Migros im Haus und die gute ÖV-Anbindung. Die Gedanken an die alte Wohnung „in der Schutzzone 1 mit Blick aufs KKL" werden immer weniger. „Ich bin nicht so die Nostalgikerin", sagt Edith. Und Hugo ergänzt: „Wir sind rundum glücklich." Natürlich gibt es immer noch einiges, das am neuen Ort gewöhnungsbedürftig ist: Man braucht einen Badge, um ins Haus und in den Keller und den Veloraum zu gelangen, im Treppenhaus darf rein gar nichts herumstehen oder herumliegen und wie am hochmodernen Backofen die Uhr von Sommerzeit- auf Winterzeit umgestellt werden muss, ist schon wieder vergessen. Die Nähe zu den Nachbarn ist sicher geringer als im Himmelrich, es gibt keine organisierten Anlässe durch einen soziokulturellen Animator oder eine Animatorin, es braucht mehr Eigeninitiative: Hugo hat eine Zeichnung gemacht mit allen Wohnungen und darin die Namen eingetragen der Leute, die er bereits kennt. Es werden immer mehr. Und beide haben zusammen mit einem befreundeten Paar im Haus Anfang Januar einen Apéro im Aufenthaltsraum organisiert, zu welchem rund 50 Mitwohnende kamen. Vor allem aber geniessen sie täglich die „Innenfreiheit", wie Hugo sagt, die grosszügige Raumgestaltung, den Balkon, das Licht und den weiten Himmel. Auch ohne Himmelrich. - 30. Januar 2020
hansbeat.achermann@luzern60plus.ch