Gute Freunde verlängern das Leben. Bild: Pixabay

Ohne Freundschaft läuft nichts

Wer Freundschaften pflegt, kommt leichter durchs Leben. Doch wirklich gut funktionierts nur bei Gleichberechtigung und Toleranz.

Von Eva Holz

Viele Freundschaften dauern ein Leben lang. Darüber habe ich mich allerdings schon gewundert. Meine Mutter etwa regte sich nämlich stets über eine ihrer besten Freundinnen auf, wenn diese ihr zum Geburtstag wieder feierlich Migros-Pralinés in einer Sprüngli-Schachtel überreichte. Aber die Busenfreundin deswegen blossstellen oder ihr gar die Freundschaft kündigen? Nein, soweit kam es nicht. Zu viel verband die beiden – mittlerweile Verstorbenen – über Jahrzehnte. Dass C. sie abermals zuckersüss über den Tisch zu ziehen versuchte, nahm meine Mutter schliesslich halb seufzend, halb schmunzelnd hin.

Freundschaften sind zum Geniessen da, klar, aber eben: Freundschaften strengen manchmal an. Gerade in aktuellen Zeiten, da vermehrt Kriege und Hass die Welt bewegen, kann unter Freundinnen und Freunden die vertraute Harmonie ins Wanken geraten. Wer hat das bessere Argument im Israel-Palästina-Konflikt? Wo ist genug mit Woke und Gender? Niemand scheint gefeit davor, die Moral für sich zu pachten und das Gegenüber auf einmal misstrauisch zu beäugen.

Tiefe Freundschaft ist strapazierfähig
Die Journalistin Claudia Schumacher kommt in einer «Tages Anzeiger»-Kolumne zu folgendem Schluss: «Corona, Klimakrise, Black Lives Matter und Ukraine-Krieg: Eigentlich haben wir seit einigen Jahren Übung darin, was es heisst, wenn das Politische emotional und auch privat wird. Wie gut wir und unsere Beziehungen jetzt durch diese neue Phase gesellschaftlicher Konflikte kommen, hängt auch davon ab, für was wir uns selbst täglich entscheiden: Wollen wir streiten – oder Verständigung und Austausch suchen? Wollen wir unser Umfeld möglichst meinungsgleich und unser Denken Bubble-reinhalten, oder können wir Widersprüche und Unsicherheiten auch mal aushalten für einen Wert, der vielleicht grösser ist, nämlich: dass wir miteinander verbunden bleiben?»

Verbunden bleiben. Das bedingt Strapazierfähigkeit. Und wenn es dann doch mal zu laut wurde, kann eine ernst gemeinte Entschuldigung die Wogen glätten. Ganz nach dem Motto: Was die Freundschaft nicht umbringt, macht sie stark. Gleichwohl ist es in gewissen Fällen besser, Beziehungen aufzulösen. Eine 65-Jährige schilderte mir: «In all den Jahrzehnten musste ich zwei Freundschaften aufgeben. Es waren Freunde, die sich negativ entwickelten, zunehmend hämisch und gegenüber Dritten unversöhnlich wurden. Dies einzusehen, dass unsere Grundhaltungen nicht mehr korrespondierten, war ein schmerzhafter, monatelanger Prozess. Zwei Freunde zu verlieren ist nicht viel in einem langen Leben. Trotzdem.»

Gute Freunde, längeres Leben
«Wer funktionierende soziale Beziehungen hat, ist zufriedener und gesünder als Menschen, die isoliert leben. So verringert sich etwa das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depressionen», schreibt Christiane Tovar auf planet-wissen.de. «Wer gute Freunde hat, scheint auch einen anderen Blick auf das Leben zu haben.» Weiter: «Mit vertrauten Menschen an der Seite werden Probleme als weniger bedrohlich empfunden. Ausserdem hat man an Tagen, an denen man Freunde trifft, ein höheres Selbstwertgefühl.»

Nicht überraschend, dass man jene Menschen zu Freunden macht, die denselben Humor haben.

Eine erstaunliche Erkenntnis aus der Wissenschaft: Freunde sollen als lebensverlängernde Massnahme eine viel wichtigere Rolle spielen als die eigenen Kinder oder andere Verwandte. Das liege möglicherweise daran, dass man sich Freunde selbst aussuchen kann. In einer Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse (AWA) aus dem Jahr 2022 massen die Befragten ihren Freunden sogar mehr Bedeutung zu als einer glücklichen Partnerschaft. «Allerdings wirkt sich die Freundschaft nur dann positiv aus, wenn es sich dabei um eine vertrauensvolle und gleichberechtigte Beziehung handelt. Reine Zweckbündnisse oder Beziehungen, die nicht in die Tiefe gehen, haben keinen Einfluss auf die Lebenserwartung», so Tovar.

Von 3 bis 150 Beziehungen
Jeder Mensch habe plus minus drei enge «Herzensfreunde» und ein Dutzend weitere «Durchschnittsfreunde», so der Berliner Psychologe Wolfgang Krüger. «Mehr kriegen wir nicht hin. Schliesslich muss man Freundschaften aufbauen und pflegen. Das ist eine Lebensaufgabe», zitiert ardalpha.de den Buchautor. Der britische Evolutionspsychologe Robin Dunbar betont ebenfalls, dass sich nicht beliebig viele Sozialkontakte verarbeiten lassen. Immerhin hält er Menschen für fähig, mit rund 150 Freunden, Bekannten und Verwandten umzugehen.

Oftmals braucht es einen runden Geburtstag, ein Klassentreffen oder einen Todesfall, um sich wieder einmal zu sehen. So ist es mir unlängst passiert. Meine beste Jugendfreundin und ich waren uns vor Jahren irgendwie entglitten. Dann, beim Traueressen anlässlich der Beerdigung ihrer Mutter, lebte eine gewisse Nähe wieder auf, nicht aber die damals enge Verbundenheit. Dafür haben sich im Laufe der Zeit aus losen Begegnungen tiefe Beziehungen ergeben. «Bekanntschaften können sich zu Freundschaften vertiefen, und umgekehrt, Freundschaften zu Bekanntschaften ‹abkühlen›», bestätigt Psychologieprofessor Moritz M. Daum (siehe Interview «Freunde nehmen sich Zeit füreinander»).

Unterstützung wird immer wichtiger
Gerade mit zunehmendem Alter würden jene Beziehungen wichtig, die emotional und unterstützend sind, so Daum. Das bestätigen alle Personen, die ich für diesen Bericht anfragte. «Die vielen täglichen Kontakte im Berufsleben sind weggefallen, nicht aber mein Bedürfnis nach Begegnung, Austausch, Auseinandersetzung und Gemeinschaft», sagt ein 78-Jähriger. Ein anderer gibt zu bedenken: «Gespräche mit Freunden helfen nicht zuletzt, sich mit dem absehbaren Tod auseinanderzusetzen» (siehe Zitate «Das verstehen wir unter Freundschaft»).

Längst werden Freundschaften nicht mehr nur live gepflegt. Die sozialen Netzwerke ermöglichen den schnellen, spontanen Austausch in Wort und Bild, was Beziehungen durchaus befeuern und aufrechterhalten kann, aber die persönliche Begegnung wohl nicht ersetzt.

Wie immer die Ausprägung einer freundschaftlichen Beziehung sein mag: Jede Untersuchung belegt, dass den meisten Menschen gute Freunde und Freundinnen enorm wichtig sind. Ob das Lebensnest behaglich ist, hat also wesentlich mit dem Geflecht von Freundschaften zu tun. Und schön: Jedes Geflecht ist ein Unikat.

Teil 2: «Freunde nehmen sich Zeit füreinander»

Teil 3: Das verstehen wir unter Freundschaft

27. Februar 2024 – eva.holz@luzern60plus.ch

Diese dreiteilige Serie ist zuerst im Magazin «active&live» erschienen.