Reden. Aber wie? Und woüber? Illustration: pixabay

«Wir müssen reden»

Eine gute Paarbeziehung fusst – unter anderem – auf guter Kommunikation. Und die darf auch mal ernsthaft sein. Doch wann ist eine Aussprache angesagt? Und wie macht man das genau?

Von Eva Holz

Abgesehen von den Zankereien im Kindesalter hatte ich keine Übung darin, ein Unbehagen direkt und unverblümt an jemanden zu adressieren. Harmonie war das höchste der Gebote. Bis ich Mitte zwanzig von meinem damals neuen Freund eines Besseren belehrt wurde. «Du, was du gerade vorhin im Beisein der andern gesagt hast, fand ich etwas daneben», sagte er in ruhigem Ton beim nächtlichen Heimspazieren nach der Einladung. Ich dachte: Jetzt ist es aus.

Es war nicht aus, der Freund wurde zu meinem Ehemann und ist es heute noch. Aber nach jenem Abend hiess es für mich: trainieren. Also auch mal selber Dinge auf den Tisch zu legen und zu erfahren, dass der Austausch darüber nicht das Ende der Beziehung bedeutet. Ihm gelang solches bereits mühelos, hatte er sich auf dem Weg zum Erwachsensein doch intensiv an seinen Eltern abgerieben und in politischen Diskussionen das Debattieren gelernt.

Trotz meiner Gewissheit, dass man sich mit jeder fairen Aussprache ein Stück näher kommt, kostet es mich noch immer Überwindung, einen wunden Punkt zu benennen – wenn es doch im Grossen und Ganzen gut läuft. Aber es lohnt sich.

Auch das Positive hervorstreichen
Nicht nur konstruktiv diskutierte Kritikpunkte nähren eine Beziehung, sondern auch ernst gemeinte Komplimente. Nach 35 Ehejahren freue ich mich noch immer über seine Aussagen wie: «Ich bin stolz auf dich, dass du diese berufliche Herausforderung angenommen hast.» John Gottmann, Psychologieprofessor an der University of Washington und Mitbegründer des Seattle Marital and Family Institute, hat laut «Psychologie heute» Paarkommunikation auf eine einfache Formel gebracht: Glückliche Paare gleichen negative Situationen durch positive aus – und zwar im Verhältnis 5:1. «Ein böses Wort wird durch fünf liebevolle Aussagen, Komplimente oder Gesten wieder ausgeglichen», wird er in der Fachzeitschrift zitiert. Und weiter: «Zuerst einmal muss man unterscheiden zwischen der generellen Kommunikation eines Paares und der Kommunikation in Konfliktsituationen. Der Austausch über eigene Wünsche und Vorstellungen, Pläne, Hoffnungen ist ein wichtiges Fundament für eine Beziehung. Und dazu gehört, dass man sich täglich austauscht und so Nähe zum Partner erlebt. Wer das nicht tut, für den besteht die Gefahr, dass man den Partner aus den Augen verliert.»

Die Mauer des Schweigens durchbrechen: Daran beissen sich viele die Zähne aus. Einige holen sich Beratung in Praxen oder nutzen Ratgeberspalten in Tageszeitungen. Im «Badener Tagblatt» gab die Psychologin und Kommunikationsspezialistin Irène Wüest aus Rain LU auf Anfrage einer Leserin folgende handfeste Tipps, um ein Gespräch in Gang zu bringen: Ich weiss nicht wirklich, was los ist. Ich habe das Gefühl, wir haben seit Wochen nicht mehr miteinander gesprochen. Hättest du heute Abend Zeit zu reden? Oder: Wir haben in letzter Zeit nicht besonders viel miteinander geredet. Ich vermisse dich. Oder: Können wir miteinander reden? Ich weiss, ich habe mich in letzter Zeit etwas distanziert. Ich weiss nicht genau, wie ich es erklären soll. Hättest du jetzt Zeit, dass wir miteinander darüber reden?

Im Austausch zu bleiben sei grundlegend, so die Beraterin. «Denn eine Beziehung ist wie eine Pflanze. Pflegst du sie, so wächst sie. Vernachlässigst du sie, dann trocknet sie aus.»

Unterschiedliche Kommunikationskultur
Gerne redet man von einer unterschiedlichen Sprech- und Diskussionskultur zwischen Mann und Frau. Eher Mythos als Realität? Stefan Häseli, Kommunikationscoach, sieht es vereinfacht so: «Feminine Kommunikation zielt darauf ab, in erster Linie Beziehungen zu stärken. Maskuline dagegen dient primär der Informationsvermittlung. Natürlich ist es wichtig, dass Männer auch mal die Beziehung ins Zentrum rücken. Umgekehrt möchte ich Frauen verständlich machen, dass es uns Männern nicht immer um eine Beziehungsfrage geht. Manchmal möchten wir einfach wissen, was Sache ist.»

Zudem, so Häseli, würden Frauen eine Botschaft tendenziell öfter verklausulieren als Männer. «Die Frau sagt ihm am Abend, halb beiläufig, halb fokussiert: Du, morgen ist Müllabfuhr. Völlig klar, je länger die Beziehung dauert, desto schneller und klarer erkennt der Partner, was damit gemeint ist. Hier kommt die feminine Sprache ins Spiel. Die Frau will nicht so direkt Befehle erteilen. ‹Beziehungsschonendes Anordnen› könnte man da sagen. Ist weder richtig noch falsch, ist einfach so.» (Mehr dazu im Interview mit Stefan Häseli.)

Die Kommunikationstrainerin Nicole Stange erforscht seit 15 Jahren, wie Frauen mit Männern sprechen sollten, damit ihre Botschaft ankommt. Und sie hat darüber ein Buch geschrieben. In einem Interview mit der «Glückspost» erklärte sie: «Unsere Haltung bestimmt die Kommunikation – und unsere Kommunikation entscheidet über unser Glück! Was ist wichtig, wenn man mit Männern spricht? Eine Frau, die weiss, was sie will, und die weiss, was in der Kommunikation mit Männern funktioniert, bekommt, was sie will. Wissen Sie wirklich, was Sie wollen, bevor Sie es formulieren? Einen passenden Zeitpunkt wählen und auf den eigenen Ton achten. Klar sein funktioniert, der Befehlston eher weniger. Humor gewinnt immer! Es ist nicht nur entscheidend, was ich sage, sondern vor allem wie ich etwas sage.»

Welches ist das richtige Mass?
Studien zeigen, dass viele Menschen unzufrieden sind mit der Gesprächskultur in der Beziehung. Nicht selten geht es bei Auseinandersetzungen grob zu und her, und irgendwann können Paare in eine Abwärtsspirale geraten. Der bereits erwähnte amerikanische Beziehungsforscher John Gottman hat Gespräche streitender Paare auf Video aufgezeichnet und analysiert. Laut «Psychologie heute» hält er Paare dann für trennungsgefährdet, wenn sie ein Problemgespräch mit einem «groben Auftakt» einleiten, also zynisch oder sarkastisch werden, und im Streit dann zu jenen Mitteln greifen, die Gottman die «vier apokalyptischen Reiter» nennt: Kritik, Verachtung, Rechtfertigung und Mauern.

Demgegenüber sind Paare, die sich in langjährigen Beziehungen glücklich fühlen, meist in der Lage, sich gegenseitig ihre Gefühlswelt mitzuteilen und diese anzunehmen. Doch wie viel Offenheit ist das richtige Mass in der Liebe? Kommunikationswissenschafter Franz Thurmaier räumt mit einem populären Missverständnis auf: «Als Eheberater sage ich nicht, ihr müsst euch alles sagen, sondern: Es wäre schön, wenn ihr euch alles sagen könnt, was euch wichtig ist.» Jede Beziehung bestehe aus zwei Ichs und einem Wir, ergänzt im «Psychologie heute»-Bericht Paartherapeutin Sandra Konrad: «Eine glückliche Beziehung braucht sowohl Autonomie als auch Gemeinsamkeit. Offen zu sein meint nicht, dem anderen alles sagen zu müssen.» Die Fantasie sei die geheime Welt jedes Einzelnen. Jeder entscheide für sich, wie viel er dem Partner davon zeigen möchte. «Der Schlüssel ist Vertrauen. Nicht der gläserne Geliebte ist das Ideal, sondern der Freigeist, der nichts verheimlichen muss», so das schöne Fazit.

6. Februar 2020 – eva.holz@luzern60plus.ch

(Dieser Text erschien auch im Magazin «active&live».)