Wie viele Betten in Pflegeheimen braucht es in Zukunft?

Unterschiedliche Meinungen zu Pflegebettenbedarf

Der Mangel an Pflegefachkräften könnte Auswirkungen haben auf den Bedarf an Pflegebetten in den Alterszentren. Das zeigt eine Umfrage bei Führungspersonen in diesem Umfeld.

Von René Regenass (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)

Ein Beitrag, der vor bald drei Jahren im «Tages-Anzeiger» für Aufsehen sorgte, ist von der Entwicklung offensichtlich überholt worden. Die klassischen Alters- und Pflegezentren würden verschwinden, sagte damals der Zürcher Gesundheitsdirektor Andreas Hauri. Im neusten OBSAN-Bericht hingegen wird prognostiziert, dass die Schweiz bis ins Jahr 2040 je nach Szenario 683 bis 921 zusätzliche Pflegeheime brauche (OBSAN steht für das Schweizerische Gesundheitsobservatorium, eine Institution von Bund und Kantonen).

Wie sieht es heute aus? Zuerst: Der OBSAN-Bericht ist reine Statistik. Er nimmt die Bevölkerungsentwicklung, also die Zunahme der älteren Bevölkerung – die Altersklasse 80plus ist zwischen 2010 und 2020 um 25 Prozent gewachsen –, und leitet daraus den Bedarf an zusätzlichen Pflegeheimen ab. Diese Rechnung geht an der Wirklichkeit vorbei.

Curaviva: Pflegebedürftigkeit wird grösser
Das sieht auch Markus Leser, Senior-Consultant von Curaviva, so. Der schweizerische Verband sieht sich als Dienstleister für Menschen im Alter. Leser verweist auf das Beispiel der Pflegeplatzplanung von Basel-Stadt. Der ambulante Sektor werde ständig ausgebaut, heisst es dort. Es brauche zudem ein breites Angebot beim betreuten Wohnen. Als Folge würde sich der Bedarf an Pflegebetten anpassen. Es könne nicht mehr nur auf die Demografie abgestellt werden. Bei Männern und Frauen, die dennoch einen Pflegeplatz bräuchten, werde die Pflegebedürftigkeit meist immer grösser, was genügend qualifiziertes Pflegepersonal voraussetze.

Monika Tröger, Leiterin des ärztlichen Dienstes bei Viva Luzern, verweist zuerst auch auf die demografische Entwicklung der Bevölkerung: Die Zunahme der Altersstruktur bei Demenzerkrankungen verlange mehr Pflegebetten und wahrscheinlich eine breitere Spezialisierung. Und die verkürzten Liegezeiten in den Akutspitälern fordere eine Vernetzung mit den Langzeitpflegeeinrichtungen.

Mehr altersgerechte Wohnungen nötig
Maria Thalmann, Betriebsleiterin von «Viva Dreilinden», vorher ebendort zuständig für Pflege und Betreuung, sieht zwei Seiten in der Bettenfrage. Es brauche mehr altersgerechte Wohnungen mit Dienstleistungen und mehr Betten für temporäre Aufenthalte nach Klinikaustritten für Menschen, die wieder nach Hause gehen können. Zudem würde die Zahl jener Frauen und Männer zunehmen, die eine spezialisierte Betreuung im Fall von demenziellen und psychischen Erkrankungen benötigten.

Für Cati Hürlimann, Leiterin des Pflegezentrums «Viva Rosenberg» und Mitglied der Viva-Geschäftsleitung, ist neben der Bettenfrage die Personalsituation entscheidend: «Es gibt zum Teil neue Faktoren, die wir beachten müssen: stärkere Spezialisierung im Heim, Ausbau der ambulanten Dienste, anderseits auch die Babyboomer-Jahrgänge, die sich in den nächsten Jahren auf den Bettenbedarf auswirken würden.»

«Sie kommen in einem schlechteren Gesundheitszustand»
Für Werner Sägesser, Leiter des privaten Pflegeheims Unterlöchli, hat sich die Situation in den letzten Jahren deutlich verändert. «Die Nachfrage nach Pflegeplätzen war vor fünf Jahren spürbar grösser. Heute können wir möglichen Interessenten innert ein paar Wochen eine Pflegebett anbieten.» Ein ähnliches Bild ergebe sich bei den Angeboten von Curaviva Luzern. Vor zwei bis drei Jahren seien auf Kantonsgebiet noch 80 bis 100 Betten zur Verfügung gestanden, heute sind es noch etwa 30 Betten. Dieser Trend entspreche nicht mehr den statistischen Werten. «Die Demografie zeigt mehr alte Menschen, die früher einen Pflegeplatz beansprucht hätten.» Doch heute werde vieles durch ambulante Dienste, durch Angehörige und Hausärzte abgedeckt. Er sehe dieses Bild bestätigt im «Unterlöchli», sagt Sägesser. «Die alten Frauen und Männer treten gegenüber früher in einem viel schlechteren Gesundheitszustand ein, was ihre Aufenthaltsdauer im Heim stark verkürzt.»

«Elisabethen-Park»: Pflegebetten zu 80 Prozent belegt
Hedy Gadient ist Zentrumsleiterin des neuen Elisabethen-Parks an der Bruchmattstrasse, der im Februar 2023 eröffnet worden ist. Das Thema der Auslastung und Bettenbelegung beschäftige sie ständig, sagt Gadient. Von den 85 Pflegebetten seien aktuell rund 80 Prozent belegt. Mehr Sorgen als die Auslastung bereite jedoch der akute Mangel an Pflegefachkräften. Hier liege das eigentliche Dilemma. Das Interesse an den Pflegeappartements mit 1,5- oder 2,5- Zimmern und kleiner Küche sei vorhanden. Auch die altersgerechten Mietwohnungen waren alle innert kürzester Zeit vermietet.

30. August 2023 – rene.regenass@luzern60plus.ch