
Bettina Ugolini ist Leiterin der Beratungsstelle «Leben im Alter» der Universität Zürich. Sie sprach zum Thema «Selbstbestimmung im Alter».
Rechtzeitig Prioritäten setzen
Die Botschaft zog sich wie ein roter Faden durch den Anlass: frühzeitig diskutieren und entscheiden, wie das Älterwerden verlaufen soll. Selbststimmung, solange das aus eigenem Willen möglich ist.Von Albert Schwarzenbach (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)
Das Thema «Selbstbestimmung im Alter» im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Das hohe Alter» schien den Nerv der Zielgruppe getroffen zu haben. Bis auf den letzten Platz war der Saal im Zentrum St. Michael in Littau am 3. April besetzt. Bettina Ugolini von der Universität Zürich steuerte ein Impulsreferat bei, unter der Regie von Barbara Stöckli diskutierten drei Hochaltrige und drei Personen aus Institutionen, die sich mit Betagten befassen.
Hilfe annehmen
Was will ich noch? Was kann ich noch? Und was tut mir gut? Dies sind Fragen, die sich stellen, wenn das Alter näher rückt. Wie gross bleibt die Autonomie, eigenständig zu handeln? Wie kann man weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilnehmen? Und wie geschieht all das mit Würde und Respekt? Das Leben im Alter sollte mehr sein als nur Putzen, Kochen oder Waschen.
Die Referentin postulierte, Hilfe zu suchen und anzunehmen, um den eigenen Spielraum zu vergrössern. Diesbezügliche Hemmungen hätten damit zu tun, dass es schwerfalle, die eigenen Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren. Wenn plötzlich die Spitex im Wohnblock auftauche, begännen die Nachbarn zu tuscheln: Jetzt seien die Mitbewohner auch schon so weit, sie bräuchten externe Hilfe – eine Tatsache, die negativ eingeschätzt wird. Denn seit der Kindheit sei es einem eingeimpft worden, dass alle Aufgaben ohne fremde Hilfe erledigt werden.
Auswählen und bestimmen
Bettina Ugolini erläuterte das Modell von Baltes und Baltes, das auf drei Säulen basiert: Selektion, Optimierung und Kompensation. Man könne eben nicht den Fünfer und das Weggli haben.
Selektion bedeutet, eigene Prioritäten zu setzen, auszuwählen, zu bestimmen, um zu einer erfüllenden Lebensqualität zu gelangen. Bei der Optimierung geht es darum, Ziele im Auge zu behalten, Pläne zu verwirklichen, sich Inhalten zu verpflichten. Und die Kompensation verlangt die Einsicht, dass die Kräfte nachlassen. Wer aktuell täglich 10'000 Schritte zurücklegt, kann möglicherweise ein Jahr später nur noch 8000 Schritte bewältigen. Bergtouren könnten nicht mehr auf eine Höhe von 2000 Metern führen, sondern nur noch auf 1000 Meter oder schrumpften später auf einen Rundgang in der näheren Umgebung zusammen.
Natürlich schmerzt es, wenn der Körper abbaut. Was früher möglich war, geht heute nicht mehr. Darum sollten Aktivitäten ausgewählt werden, die nicht so anspruchsvoll sind. «Man muss fischen, wenn man nicht jagen kann», lautet sinngemäss ein Sprichwort. Selbstbestimmt durchs Leben gehen, solange es geht und die Herausforderungen annehmen. Und das müsse nicht in jedem Fall bedeuten, möglichst bis zum Lebensende in den eigenen Wänden zu verbringen. Wenn die eigenen Kräfte nachlassen oder die Partnerin oder der Partner stirbt, könne auch eine Zeit im Altersheim bereichernd sein, wenn der Eintritt rechtzeitig geplant werde. «Hilfe annehmen ist nichts anderes, als sich selbst helfen», zog Bettina Ugolini im viel beklatschten Referat Bilanz.
Schnuppern in den Luzerner Heimen
Im anschliessenden Podiumsgespräch beschrieben drei Hochaltrige, wie sie ihr Leben sinnfüllend gestalten. Ob im Tertianum oder im Alters- und Pflegeheim Unterlöchli – auch mit 84 oder mit 87 Jahren ist noch viel möglich. Simon Gerber von Pro Senectute betonte, dass die Zukunft im Alter geplant werden sollte, bevor ein Sturz einen kurzfristigen Wechsel in ein Pflegeheim unumgänglich mache. Andrea Wanner lud zum Schnuppern in den Heimen von Viva Luzern ein und Carla Tavares stellte Vicino vor – Orte der Begegnung in den Quartieren.
Gibt es Rezepte für ein glückliches selbstbestimmtes Alter? Wie sehen das die drei Hochbetagten auf dem Podium? «Beweglich bleiben», sagte Rita Maeder. «Neuen Freiraum schaffen», empfahl Bruno Stämmer. Und Myrtha Matthey freute sich über einen Lebensabschnitt, in dem «man nichts mehr machen muss».
7. April 2025 – albert.schwarzenbach@luzern60plus