Lebenserfahrung und Altersweisheit

Von Rudolf Wyss
Wir begegnen Ihnen auf der Strasse, im Bus und im Stau vor dem Postschalter, wo sie mit dem „Gelbe Büchlein“ ihren Zahlungsverkehr regeln. Man hat, als fünfte Person hinter dem gelben Stopp-Strich, also Zeit und fragt sich, welche Lebensgeschichten die Furchen in die Gesichter unserer älteren Bewohnerinnen und Bewohner gemeisselt haben.
Diese Neugier stand am Anfang eines ganz besonderes Projekt: Ein Buch über ältere Menschen in Meggen, in welchem sie ihre persönliche Geschichte erzählen. Wir trafen dabei auf eine Generation, für welche das Wort „Bescheidenheit“ noch eine Bedeutung hat. „Mein Leben ist doch nichts Besonderes“, hörten wir oft, als wir um ein Gespräch baten. In den Interviews haben sie, nach viel Überzeugungsarbeit, dann trotzdem über ihr Leben berichtet. Es waren Geschichten, die uns berührten und fesselten, uns beseelten und uns zum Staunen brachten. Denn trotz vielen Schicksalsschlägen und geprägt von Zeiten wie Krieg, Wirtschaftsdepression und Armut, bewahrten die porträtierten Seniorinnen und Senioren von Meggen stets ihren enormen Lebensmut.
Entstanden sind 21 Porträts von Menschen, die in Meggen aufgewachsen oder hierher gezogen sind. Der Bub aus dem Entlebuch, der es zum Goalie des FC Luzern schaffte und für eine bescheidene Gage – 30 Franken gabs bei einem Sieg – spielte; die Ingenbohler Schwester, welche als Mitglied der Generalleitung in Kriegs- und Entwicklungsländern unterwegs war; der junge Mann aus Gersau, welcher in der französischen Fremdenlegion diente und danach ein erfolgreicher Politiker wurde; der Bauernbub aus Luzern, welcher als internationaler Schiedsrichter Karriere machte, das Bauernmädchen, welches nach ihrer Heirat ein Arbeitsverbot als Hauswirtschaftslehrerin erhielt, der Urner Wirtesohn, welcher das erste Terrassenhaus in Meggen baute, das junge Mädchen aus Wien, welches ohne Eltern und unter grossen Entbehrungen den Zweiten Weltkrieg überlebte und danach zu einer Pionierin für die Hörsprach-Erziehung wurde, der Konditor-Confiseur aus Basel, der nach Ägypten zog und unter anderem die Hochzeitstorte für den damaligen König kreierte, die junge Frau aus Danzig, welche in den Kriegszeiten Flucht und Vertreibung erlebte und danach als Gärtnerin eine alpine Anlage im Botanischen Garten Frankfurt am Mai aufbaute; der Bauernbub aus Meggen, der mit unkonventionellen Ideen für den Fortschritt der Landwirtschaft kämpfte, die junge Frau aus der Ostschweiz, welche als Schneiderin auf der Stör war und für fünf Franken am Tag Kleider anfertigte, das Bauernmädchen aus dem Kanton Freiburg, die als Nurse in vielen Ländern und Familien tätig war.
Sie und die anderen Porträtierten widerspiegeln fast ein Jahrhundert erlebter Geschichte – individuell auf ihrem Lebensweg, verbindend in ihrem unerschütterlichen Glauben, den Herausforderungen und Schicksalen zu trotzen und das Leben lebenswert zu gestalten.
«Alternde Menschen sind wie Museen: Nicht auf die Fassade kommt es an, sondern auf die Schätze im Innern», sagte einst die französische Schauspielerin Jeanne Moreau. Das Ziel dieser Publikation war es denn auch, diese Schätze, welche sich hinter den Furchen der Gesichter verbergen, zu heben – als Lebensgeschichten für unsere und für nachfolgende Generationen, als Erzählungen von und für Generationen.

12. Februar 2014

(Das Buch „Lebenserfahrung und Altersweisheit“ - Autoren: Mirjam Müller-Bodmer und Rudolf Wyss - ist erhältlich bei der Gemeinde Meggen.)

Zur Person

Rudolf Wyss, geboren 1955 in Sarnen, ist Journalist und PR-Berater. Er arbeitete als Medienschaffender unter anderem bei Radio Pilatus als Newschef, bei den LNN als Ressortleiter und war bei TeleTell Realisator und Moderator des Reporttalks „Regiotalk“ sowie Chefredaktor. 2000 gründete er eine eigene Agentur, welche Firmen und Behörden in den Bereichen Medien, Marketing und Kommunikation berät und entsprechende Kampagnen konzipiert und realisiert. Seit 2011 ist er auch für Produktion und Regie des FCLTV bei den Heimspielen des FC Luzern verantwortlich. Rudolf Wyss lebt mit seiner Lebenspartnerin in Meggen.