
Der ehemalige Flugverkehrsleiter Bruno Stämmer ist auch ein begeisterter Bahnfahrer.
Vom Flugverkehrsleiter zum Chef de ménage
Bruno Stämmer zog letztes Jahr freiwillig in eine Alterswohnung im Tertianum. «Ein Schritt gegen die Vereinsamung», sagt der 84-Jährige, der früh Witwer wurde. Ein Porträt aus dem Buch «Im hohen Alter».
Von Eva Holz (Text) und Priska Ketterer (Bild)
Es gibt mindestens zwei Leitlinien, nach denen Bruno Stämmer sich in seinem Leben ausgerichtet hat. Erstens: Wenn es nicht mehr passt, muss man etwas ändern. Zweitens: Dinge, die sich nicht ändern lassen, soll man akzeptieren. Das tönt einfacher, als es ist. Doch der 84-Jährige ist bestes Beispiel dafür, dass dieser Weg gelingen kann. Jüngster Schritt: Im Herbst 2024 ist er aus seiner Mietwohnung in der Neustadt ausgezogen, weil ihm die Umgebung nicht mehr zusagte. «Obwohl ich ein begeisterter Bahnfahrer bin, hat mich der Zugverkehr vor dem Schlafzimmerfenster immer mehr gestört. Zudem wurden die Kontakte im Haus spärlicher. Nach dem Tod meiner Frau spürte ich auch eine zunehmende Trägheit meinerseits. Ich wollte aber nicht vereinsamen und sah mich nach einer anderen Wohnform um.»
Schneller als gedacht, ergab sich die Möglichkeit, in der Überbauung des «Tertianum» beim Verkehrshaus Luzern eine 2-Zimmer-Wohnung zu mieten. «Genau das Richtige», sagt Bruno Stämmer zufrieden, als wir ihn im neuen Domizil besuchen. Er kennt noch nicht alle Ecken und Leute, aber er ist zuversichtlich, dass er sich bestens einleben und vielleicht sogar auf eine Jassgruppe stossen wird. «Für mich stimmt es hier. Direkt vor der Wohnung gibt es einen ruhigen Sitzplatz. Ich lasse mich einmal am Tag fein bekochen und geniesse am Tisch Gesellschaft. Das ist doch toll!» Was sich nicht ändern lässt, sind die Essenszeiten am Abend. Serviert wird zwischen halb sechs und sieben Uhr. «Etwas später wäre mir schon lieber. Aber es ist, wie es ist», meint der Pensionär gelassen. Also zieht er es vor, mittags mit andern zu tafeln und abends in seiner eigenen Küche etwas zuzubereiten.
Fasziniert vom Fliegen und von Flugzeugen
Neue Wege gehen, wenn das Alte nicht mehr passt: dies war auch in seinem Beruf der Fall. Das Lehrerseminar brach Bruno Stämmer ab, weil er sich dort nicht am richtigen Platz fühlte. Die Stelle als Chemielaborant «war in Ordnung», aber echte Passion empfand er erst als Flugverkehrsleiter. Eine gründliche Ausbildung hatte er in Bern und in England genossen, um schliesslich 34 Jahre auf dem Flughafen Zürich im Dienst der zivilen Flugsicherung zu arbeiten, die man erst Radio Schweiz, dann Swiss Control nannte und die heute Skyguide heisst. Fasziniert von Flugzeugen und vom Fliegen, lag die eigene Reiselust nahe. Madeira, die Kapverden, Südamerika, Kuba, Guatemala hatten es ihm besonders angetan. «Wer Spanisch spricht, ist dort erst recht willkommen. Mir gingen stets die Türen auf, ich war für die Leute ein Amigo, kein Gringo.» Auch fernöstliche Destinationen wie Indien, Indonesien, Japan und die Südseeinseln haben ihn begeistert.
Der Politikergattin den Rücken freigehalten
Als Bruno Stämmer 1995 in Pension ging, war er Vater von zwei Töchtern im Primarschulalter. Fünf Jahre später, 2000, wurde seine 18 Jahre jüngere Frau Ursula Stämmer in den Luzerner Stadtrat gewählt. «Von dem Moment an war klar, dass ich zu 100 Prozent Haushalt und Kinder übernehme.» Seiner beruflich stark engagierten Lebensgefährtin den Rücken freizuhalten war nie in Frage gestellt. «Wenn man mich an offiziellen Anlässen nach meiner beruflichen Tätigkeit erkundigte, gab ich mich voller Genugtuung als Chef de ménage aus», sagt er schmunzelnd, «denn ‹Hausmann› tönte in den gehobenen Kreisen recht bieder.» Natürlich sei zu bedenken, dass er damals auf ein erfülltes Berufsleben zurückblicken konnte und gleichzeitig noch «Power» hatte. Im Gegensatz zu seinen pensionierten Kollegen kam er weiterhin einer verantwortungsvollen Aufgabe nach. Damals sass er auch in der Schulpflege und erfuhr von Sorgen und Nöten der Kinder, Eltern und Lehrerschaft. «Darüber hinaus hielt ich mich bewusst von der Politik fern.»
Immer top organisiert
Die Vollblutpolitikerin und der Hausmann: Das hiess Emanzipation auf beiden Seiten, Freiheiten und Toleranz inklusive. «Es liess sich nicht ändern, dass meine Frau nach der Arbeit spät nach Hause kam, weil immer noch etwas zu erledigen war», erzählt Bruno Stämmer. «Dafür hatte sie grosses Verständnis, dass ich über den Winter in den Süden wollte. Meinen Gelenken geht es in der Wärme einfach besser.» Haushalt und Familie seien dann jeweils speziell geregelt worden. «In Sachen Organisation waren wir top», betont der Witwer. Ursula Stämmer amtete bis 2016 als Stadträtin. 2020 erlag sie 62-jährig einem Krebsleiden. «Es ist traurig, dass Ursula viel zu früh gehen musste. Aber ich bin froh, dass ich sie bis fast zuletzt daheim betreuen durfte.»
Kann er sich vorstellen, an einem unlängst ins Leben gerufenen Witwertreffen mitzumachen? «Eher nicht. Was vorbei ist, ist vorbei. Ich schaue lieber nach vorn.» Dazu gehöre das Interesse am Heranwachsen seiner kleinen Enkelin Freya, die ihn mit den Eltern regelmässig besuchen kommt und die er gerne ab und zu hütet. Zu seinen Töchtern pflegt er ein schönes Verhältnis. Auf beide ist er ausgesprochen stolz. «Aber ich wollte nie, dass sie mich irgendwann pflegen müssen.»
Tai Chi vor dem Frühstück
Der Begriff «Seniorenresidenz» oder «Altersheim» hat für den 84-Jährigen keinen negativen Beigeschmack. Nicht zuletzt deshalb, «weil ich noch so viel in Eigenregie machen kann». Das heisst täglich in die Stadt spazieren oder vom nahen ÖV profitieren, auf dem Wochenmarkt einkaufen, kulturelle Veranstaltungen besuchen, Freunde treffen und Reisen unternehmen. «Vor vier Jahren habe ich mit Volleyball und Velotouren aufgehört. Die Kraft in den Beinen liess spürbar nach.» Das habe er – wen wunderts – akzeptieren können. Aber: Jeden Morgen vor dem Frühstück und dem Zeitunglesen ist Tai Chi im Tagesprogramm. Und welche Ziele verfolgt er als nächstes? Bruno Stämmer lacht: «Früher habe ich immer gesagt, ich wolle achtzig werden.» Jetzt, mit 84, sagt er, «ich will neunzig werden.» Und wenn dies nicht reibungslos gelingt, wird er gewiss etwas ändern. «Oder akzeptieren, wie es halt unausweichlich ausgeht ...»
28. April 2025 – eva.holz@luzern60plus.ch
Das Porträt stammt aus dem im März erschienenen, vom Forum Luzern60plus herausgegebenen Buch «Im hohen Alter». Das Buch mit allen 24 Porträts ist zurzeit nicht mehr in gedruckter Form erhältlich, kann aber auf der Webseite der Stadt Luzern heruntergeladen werden.