
Cécile Bühlmann. Bild: Joseph Schmidiger
Sich lähmen lassen stärkt die Falschen
Von Cécile Bühlmann
Ich würde angesichts der aktuellen Weltlage eine abgrundtiefe Ohnmacht fühlen, ein Ausgeliefertsein, wie ich es noch nie gekannt hätte, schrieb ich in meiner letzten Kolumne.
Das war im Frühling und jetzt ist Sommer. Und die Weltlage ist nicht besser geworden, der Horror geht weiter. Kein Tag vergeht ohne Schreckensmeldung und Nachrichtenhören ist immer noch eine Zumutung, vor der man sich am liebsten verschonen würde. Dieser Zustand kann noch lange dauern und er macht nicht nur die direkt Betroffenen kaputt, sondern wirkt sich auf uns alle als Mitwisser*innen dieser Geschehnisse negativ aus. Die Folge ist eine markante Zunahme von Depressionen, Angstzuständen und Resignation.
Was kann man dagegen tun, wie wird eine Gesellschaft angesichts dieser Umstände doch wieder resilient? Was kann ich selber tun, dass mich das nicht fertigmacht und mir alle Kräfte raubt?
$Es gibt nicht eine für alle gültige Antwort darauf. Aber vielleicht zeigt die folgende Geschichte eine Möglichkeit, diesem Gefühl der Lähmung etwas entgegenzusetzen. Mir jedenfalls hat sie geholfen.
Ich war vor Kurzem an einer Lesung von Franziska Schutzbach im Luzerner Kleintheater. Sie ist eine renommierte Soziologin und feministische Aktivistin. Sie erzählte, wie ihr neuestes Buch «Revolution der Verbundenheit – wie weibliche Solidarität die Gesellschaft verändert» entstanden ist. Das Kleintheater war bis auf den letzten Platz besetzt. Mein Partner und ich waren mit Abstand die Ältesten, die Mehrheit waren Frauen zwischen 30 und 40. Franziska Schutzbach selber hat Jahrgang 1978 und sie trifft mit ihren Büchern und Auftritten ganz offensichtlich den Nerv einer jüngeren Frauengeneration.
Gebannt hörte das Publikum ihr zwei Stunden zu. Es war ein leidenschaftliches Plädoyer gegen die Rivalität unter Frauen, die sie als Grundlage patriarchaler Macht identifizierte. Es war ein Plädoyer für Nähe und Verbundenheit unter Frauen, für ein gegenseitiges Sichstärken, für ein gemeinsames Auflehnen gegen unterdrückerische Strukturen, wie das Patriarchat sie etabliert hat. Franziska Schutzbach sieht in der Verbundenheit unter Frauen eine revolutionäre Kraft, die patriarchale Strukturen verändern kann.
Die Begriffe «Frau» und «weiblich» versteht sie als historisch entstandene Zuschreibungen und Konstrukte und nicht als feststehende Identität oder «Natur». Diese Zuschreibungen findet sie problematisch und ermächtigend zugleich: problematisch, weil damit patriarchale Stereotype, biologistische Ideen und Diskriminierungen verbunden sind, ermächtigend, weil unter diesem Label weltweit wichtige emanzipatorische Kämpfe geführt worden sind und immer noch geführt werden.
Gegen den Schluss der Veranstaltung rief sie eindringlich dazu auf, dass wir Frauen uns von den aktuellen Ereignissen nicht kleinmachen lassen sollen, dass wir uns nicht lähmen lassen sollen, dass das ja genau das sei, was die Männer an der Macht wollen: unsern Widerstand brechen und uns auf den Platz verweisen, von dem wir Frauen aufgebrochen sind und uns unsere Freiheiten mühsam erkämpft haben.
Dieser Appell ist mir richtiggehend eingefahren. Er hat mich getriggert, weil ich bisher, allen Widerständen zum Trotz, nie aufgegeben hatte, an die gute Sache zu glauben und für sie zu kämpfen. Für die Sache der Frauen, für Menschenrechte, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, gegen den Klimawandel. Wieso soll es Trump und Musk und Putin nun gelingen, mir die Energie zu rauben und meinen Widerstand zu brechen? Das kann ich doch nicht zulassen!
Und es muss ja nicht die grosse Weltpolitik sein, die kann ich eh nicht verändern. Aber es gibt ihn immer noch, den Spielraum für ein Engagement. Ich kann in meinem Alltag die von Franziska Schutzbach gemeinte Verbundenheit leben, mit den Menschen um mich herum sorgfältig und einfühlsam umgehen, Anteil nehmen an ihrem Leben. Ich kann mutig dagegenhalten, wenn in einer Runde politischer Unsinn erzählt wird und nicht schweigen, wenn über andere Menschen abschätzig geredet und Stimmung gegen sie gemacht wird. Ich kann mich für bessere politische Verhältnisse hier in der Schweiz engagieren, an eine Gaza-Demo gehen, Aufrufe unterschreiben, Initiativen unterstützen, nicht zulassen, dass die Demokratie schlechtgeredet wird.
Seit dem Abend mit Franziska Schutzbach habe ich mir vorgenommen, mit meinen Freundinnen, Freunden und Bekannten über diesen Perspektivenwechsel zu sprechen. Wäre doch schön, zusammen eine Kraft zu entwickeln, die uns über diese düsteren Zeiten hinwegträgt. Mir selber hat es geholfen, die lähmende Ohnmacht ein Stück weit zu überwinden und wieder zum Handeln zu kommen.
30. Juni 2025 – cecile.buehlmann@luzern60plus.ch
Zur Person
Cécile Bühlmann ist in Sempach geboren und aufgewachsen. Sie war zuerst als Lehrerin, dann als Beauftragte und Dozentin für Interkulturelle Pädagogik beim Luzerner Bildungsdepartement und an der Pädagogischen Hochschule Luzern tätig. Von 1991 bis 2005 war sie Nationalrätin der Grünen, zwölf Jahre davon Fraktionspräsidentin. Von 1995 bis 2007 war sie Vizepräsidentin der damals neu gegründeten Eidg. Kommission gegen Rassismus EKR. Von 2005 bis 2013 leitete sie den cfd, eine feministische Friedensorganisation, die sich für Frauenrechte und für das Empowerment von Frauen stark macht. Von 2006 bis 2018 war sie Stiftungsratspräsidentin von Greenpeace Schweiz. Sie war bis 2024 Vizepräsidentin der Gesellschaft Minderheiten Schweiz GMS. Seit 2013 ist sie pensioniert.