Stadtentwicklung – vom Mittelalter bis heute

Wie wurde die Stadt Luzern zu dem was sie heute ist? Der Historiker Ruedi Meier zeichnet die Stadtentwicklung seit der Gründung nach. Eine spannende Stadtführung für Einheimische.

Von Marietherese Schwegler (Text) und Joseph Schmidiger (Bilder)

Was willst du in die Ferne schweifen, wenn sich doch die eigene Stadt an einem strahlenden Samstagnachmittag anbietet, neu entdeckt zu werden. Der Historiker Ruedi Meier erläutert als kundiger Guide die Entwicklung der Innenstadt mit den diversen Wachstumsringen seit der Stadtgründung im 12. Jahrhundert bis heute. Sein früheres Amt als Luzerner Stadtrat und Sozialdirektor ist noch spürbar, bringt er doch neben der räumlichen stets auch politische und soziale Entwicklungen zur Sprache.

Eine rund 40-köpfige Gruppe von Interessierten trifft sich mit Ruedi Meier links der Reuss hinter dem Historischen Museum, in der „Kleinstadt“ also. Da schweift der Blick zur „Grossstadt“ auf der rechten Reussseite, oder zum Inneren Ring, der sich vom Mühlenturm bis zum Zur-Gilgen-Haus ausdehnte, begrenzt vom Löwengraben. Oben thront das ehemalige Salz- und Kornmagazin, heute als Zeughaus bekannt. Die Mauer auf Musegg, vom Nölliturm bis zum Weggistor, wurde erst im Lauf des 14./15. Jahrhunderts gebaut – auch aus Sicherheitsgründen. Zur Befestigung der Kleinstadt auf der linken Reussseite zählten u.a. das Burgertor, das Bruchtor und der Hirschengraben, in dem in alten Zeiten tatsächlich Hirsche gehalten wurden.

Dass die Stadt am Wasser gegründet wurde, hatte laut Meier gute Gründe. Fliessendes Wasser war schon damals eine wichtige Energiequelle, etwa für die Müllerei. Aber auch die Fischerei und der Transport von Getreide, Obst, Gemüse und Fleisch oder Holz über den See waren wirtschaftlich wichtig.

Alte Stadtpläne, z.B. der Martiniplan von 1597 aus der Vogelperspektive, zeigen die Gliederung der Gross- und Kleinstadt minutiös auf. Da ist zu sehen, wie zwischen den Häuserzeilen Gemüsebeete angelegt waren. Urban Gardening, heute voll im Trend, ist also keine Neuerfindung. Zur Selbstversorgung hielten sich die Stadtbewohner auch Kleintiere wie Schweine, Hühner und Hasen. Ruedi Meier erwähnt, wie die ursprünglichen Holzhäuser mehrfach Opfer von Bränden wurden. Deshalb wurde später Stein als Baumaterial vorgeschrieben.

Die Vorstadt

Schon früh entstand ausserhalb der „Kleinstadt“ nach und nach die Senti- oder St. Jakobvorstadt oder die Mindere Vorstadt, wie das heutige Gebiet ab Kasernenplatz und entlang der Baselstrasse damals hiess. „Mindere Vorstadt“, weil hier Menschen lebten, die zwar für das Wirtschafts- und Sozialgefüge der Stadt wichtig, aber relativ rechtlos waren. Es waren Zuwanderer vom Land, Gewerbler, aber auch die Prostitution war hier angesiedelt, ebenso der Schlachthof und des Henkers Arbeitsplatz. Aber auch diese Leute wurden geschützt, von der Sentimauer. Dem Gebiet blieben auch später eher Leute mit wenig Einkommen wie die Gastarbeiter treu; so nannte man es ab Mitte des 19. Jahrhunderts auch „Kleinitalien“ oder später „Little Chicago“.

Sozialpolitik im Heiliggeistspital

Das ehrwürdige Spital an der Obergrundstrasse, heute Teil des Stadthauskomplexes, wurde kurz nach 1600 gebaut. Ruedi Meier illustriert an diesem Bauwerk die damalige Sozialpolitik. Das Heiliggeistspital versah eine Mehrfachfunktion: Es funktionierte einerseits als Kurzunterkunft für Reisende und Obdachlose, wie eine Notschlafstelle, sagt Meier. Es diente ferner als Krankenstation für Leute mit nicht ansteckenden Krankheiten. Das Haus wurde auch zum Wohnheim für Witwen und arme Bedienstete im Alter. Schliesslich konnten Wöchnerinnen, die unehelich schwanger wurden, hier ihre Kinder gebären und Hebammen gleichzeitig ihr Handwerk praktizieren. Dass mit der nebenan liegenden Kapelle auch seelische oder spirituelle Bedürfnisse Platz hatten, weist auf ein ganzheitliches Menschenbild hin.

Der liberale Staat entsteht

Beim Krienbachschulhaus ist der nächste Halt. Ruedi Meier zeigt auf das heutige Parkhaus Kesselturm nebenan, so benannt nach der früheren Nutzung als Gefängnis. Im Krienbachschulhaus, zwischen 1850 und 1860 fast wie ein Palast gebaut, wurde die erste säkularisierte Schule der Stadt eröffnet. Mit dem modernen Staat wurde Bildung wichtig. Schulen, bis dahin Sache von Nonnen und Patres, wurden nun staatlich. Von den vielen Veränderungen, die der liberale Staat, aber auch der folgende Kulturkampf mit sich brachten, macht Historiker Meier auch die eine oder andere Geschichte an Bauten fest. Zum Beispiel an einer Villa an der Rütligasse, früher Sitz des päpstlichen Nuntius. Doch mit den radikalen politischen Spannungen im Kulturkampf wurden die Verbindungen der modernen Schweiz zum Vatikan für Jahrzehnte beendet, der Nuntius zog aus. Heute ist dies der Sitz der Bank Reichmuth.

Pilatusplatz – Bruchstelle der Stadtentwicklung

Ein Sprung noch in das späte 19. und das 20. Jahrhundert. Da ist die Stadt stark gewachsen: Hirschmattquartier, Pilatusstrasse, Obergrundquartier. Mehr als dreissig Jahre führte die Eisenbahn durch die heutige Pilatusstrasse. Beim Pilatusplatz entstanden repräsentative „Paläste und Fabriken“ der Bildung. Das Gelände mit dem Säli-, Pestalozzi- und Dulaschulhaus ist ein Zeichen für Fortschritt und Wachstum.

Dass selbst der technisch anmutende dunkelgrüne Brückenbau über die Obergrundstrasse aus den 1960er-Jahren einen Bezug zur alten Stadt aufweist, erklärt Ruedi Meier so: Der Bau soll so etwas wie ein modernes Stadttor darstellen und die Kleinräumigkeit der dahinter liegenden Kleinstadt schützen. Wie sich das geplante Hohe Haus auf dem heute noch unbebauten Gelände der ehemaligen Schmiede dereinst ausnehmen wird an dieser Bruchstelle? Ein Thema für spätere Stadtführungen. - 1. Mai 2018

Die Führung, organisiert von der Abteilung Alter und Gesundheit Stadt Luzern, wird nochmals angeboten am Samstag, 26. Mai. Treffpunkt 14 Uhr beim Historischen Museum.